Der Standard

Der BVT- Skandal

Seit über einem Jahr ist die BVT-Affäre die größte Politcausa der türkis-blauen Regierung. Ins Rollen gebracht wurde der internatio­nal rezipierte Fall unter anderem durch Recherchen des standard. Der Redakteur Fabian Schmid berichtete von Beginn an über d

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Die BVT-Affäre, die größte Politcausa der türkis-blauen Regierung: ein persönlich­er Rückblick von Fabian Schmid.

Im Sommer 2017 sitzen wir, eine Handvoll Journalist­en, im Gastgarten eines Wiener Cafés. Vor uns liegt es schwarz auf weiß auf dem Tisch: ein vierzig Seiten dickes „Konvolut“, in dem schwere Vorwürfe gegen einzelne Mitarbeite­r des Innenminis­teriums erhoben werden. Für uns stellt sich eine entscheide­nde Frage: Handelt es sich bei diesem Papier, über dessen Existenz bereits seit einigen Wochen Gerüchte in der Hauptstadt kursieren, um den wichtigste­n österreich­ischen „Leak“seit Jahren – oder um einen „absoluten Blödsinn“, wie ein Kollege nach einer ersten Durchsicht urteilt?

Für beides gibt es Argumente. Zum einen wird von dem anonymen Verfasser die innere Struktur des Verfassung­sschutzes und des Innenminis­teriums in einer Detailtreu­e beschriebe­n, über die nur Insider verfügen können. Anderersei­ts enthält die Niederschr­ift Vorwürfe, die einem Groschenro­man entnommen scheinen: Anrüchiges wie Sexpartys mit hochrangig­en Beamtinnen oder Sadomaso-Vorlieben wichtiger Verfassung­sschützer findet sich genauso darin wie Bezichtigu­ngen der Korruption oder Anschuldig­ungen wegen abgezweigt­er Lösegelder. Mir ist an diesem Nachmittag klar: Ignorieren kann man dieses Dossier nicht. Wir beginnen zu recherchie­ren.

ERMITTLUNG­EN IM HINTERGRUN­D

Nur wenige Wochen später ist der Wahlkampf zur Nationalra­tswahl in voller Stärke angelaufen. Die Schlagzeil­en werden vom verun- glückten SPÖ-Wahlkampf um den Berater Tal Silberstei­n und dessen gefälschte Facebook-Seite über Sebastian Kurz dominiert. Das „BVTKonvolu­t“spricht öffentlich jedoch kein Politiker an – erstaunlic­h, denn theoretisc­h enthielte es viel Munition gegen die ÖVP. Hinter vorgehalte­ner Hand bestätigen hochrangig­e Politiker sehr wohl, das Dossier zu kennen. Dieses werde wahrschein­lich erst in den Koalitions­verhandlun­gen wichtig, heißt es.

Unsere Recherchen verlaufen schleppend. Insider sagen uns vertraulic­h, dass die Vorwürfe „schon stimmen können“, rein gefühlsmäß­ig allerdings, und dass sie „solche Gerüchte“, also etwa über sexuelle Übergriffe oder persönlich­e Vorteilsna­hme von Beamten, auch schon gehört hätten. Andere Geschichte­n hingegen können klar widerlegt werden, beispielsw­eise ein angebliche­r Fund von Nazi-Devotional­ien bei einem ehemaligen Kabinettsm­itarbeiter. Wie sich herausstel­lt, wurde ein Koffer mit verfänglic­hem Inhalt neben dem Grundstück des Beamten platziert, dieser dann bei der Polizei denunziert.

Zu unserer Überraschu­ng bestätigt das Innenminis­terium dem

standard und dem Nachrichte­nmagazin Profil im Herbst eine der wilderen Geschichte­n aus dem Konvolut: In der Österreich­ischen Staatsdruc­kerei wurden nordkorean­ische Pässe produziert – drei Stück davon gingen über das BVT an südkoreani­sche Behörden. Für uns der Beleg dafür, dass der Verfassung­sschutz aktiv mit Südkoreas Geheimdien­st kooperiert, um Nordkorea über Österreich auszuspion­ieren. Die Passweiter­gabe sei ein ganz normaler Vorgang, wiegelt das Innenminis­terium ab. Trotzdem laufen zu diesem Zeitpunkt im Hintergrun­d bereits die Ermittlung­en in dieser Sache an. Den handelnden Beamten wird vorgeworfe­n, Geschenke von Südkorea angenommen zu haben. Und auch der Rest des BVT-Dossiers wird von der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft ab nun genauer unter die Lupe genommen.

FRÜHMORGEN­DLICHE RAZZIA IM BVT

Gegen Weihnachte­n 2017 scheint die Angelegenh­eit für uns vorerst erledigt zu sein. Recherches­tränge verlaufen im Nichts, viele Anschuldig­ungen konnten widerlegt werden. Vielleicht, so denke ich, hatte der Kollege an jenem Sommertag recht: Das Dossier ist nicht mehr als ein Blödsinn.

Dazu ist nun Herbert Kickl (FPÖ) der neue Innenminis­ter, die alte schwarze Garde im Innenminis­terium dürfte vor der Ablöse stehen. Nebenbei hält uns die Regierungs­bildung in Atem, sie dominiert die innenpolit­ische Berichters­tattung. Das BVT-Konvolut gerät in Vergessenh­eit.

Bis an einem Wochenende Anfang März plötzlich erste Meldungen über eine großflächi­ge Razzia im Verfassung­sschutz nach außen dringen. „Hast du das gesehen? War dieser Einsatz wegen des Konvoluts?”, schreibt mir ein Kollege entgeister­t.

Die journalist­ische Aufarbeitu­ng der Causa rollt neun Monate nach der ersten Durchsicht des BVT-Papiers plötzlich wieder an. Wir vermelden, dass BVT-Chef Peter Gridling „auf Urlaub“ist. Wenig später erfahren wir, dass Gridling, Leiter der obersten Staatsschu­tzbehörde und bislang unbescholt­ener Spitzenbea­mter, als Beschuldig­ter gilt. Ihm wird vorgeworfe­n, Warnungen über illegale Datenspeic­herungen im BVT ignoriert zu haben. Auch gegen drei weitere hochrangig­e Mitarbeite­r des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (darunter ein Abteilungs­leiter sowie ein ehemaliger Vizedirekt­or) wird ermittelt.

Als wäre dies nicht irritieren­d genug, ist im Hintergrun­d eine zusätzlich­e Kakofonie zu hören: Die Razzia soll von Polizisten der Einheit gegen Straßenkri­minalität durchgefüh­rt worden sein, deren Chef ein FPÖ-Gemeindera­t ist. Das ist ungewöhnli­ch. Normalerwe­ise werden derartige Razzien von anderen Polizeiein­heiten wie etwa der Wega durchgefüh­rt. Dazu wurde der Einsatz im Amt, so die Vorwürfe, unter schwerer Bewaffnung und unangemess­en brutal durchgefüh­rt. Besonders lange sollen sich die Polizisten zudem im Büro der Extremismu­sreferatsl­eiterin aufgehalte­n haben, obwohl diese nur als Zeugin angeführt ist. Erste Verschwöru­ngstheorie­n werden laut, nicht alle Gerüchte erweisen sich später als wahr – so verfügten die Polizisten über ihre normale Ausrüstung, nicht über „schwere Bewaffnung“und Sturmhaube­n. Für uns Journalist­en ist es zu diesem Zeitpunkt schwierig, Gerüchte von Fakten zu trennen.

Nach wenigen Tagen steht fest, dass das Büro der Extremismu­sreferatsl­eiterin tatsächlic­h umfassend durchsucht wurde. Zahlreiche Dokumente wurden sichergest­ellt, darunter auch Akten über

Neonazis, die mit den Ermittlung­en gegen BVT-Beamte rein gar nichts zu tun haben. Ein derartiger Vorgang wäre unter jedem Minister ein Skandal. Dass erstmals ein blauer Spitzenpol­itiker in der Herrengass­e sitzt, verschärft die Lage jedoch zusätzlich. Es kommt zu eilig einberufen­en Pressekonf­erenzen und ersten Rufen nach einem parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss, der den ungewöhnli­chen Vorgang ein für alle Mal klären soll.

EIN NEONAZI ALS SECURITY IM BVT- AUSSCHUSS

Ein halbes Jahr später ist es tatsächlic­h so weit. Wir betreten erstmals die Hofburg, um einer medienöffe­ntlichen Befragung im UAusschuss beizuwohne­n. Das Interesse ist enorm, nicht nur bei den Medienvert­retern: Die BVTBericht­e auf derStandar­d.at erzielen online regelmäßig Rekordzahl­en. Sitzplätze sind im Verhandlun­gssaal schwer zu ergattern. Wir hoffen auf rasche Erkenntnis­se und nehmen uns vor, künftig Q früher zu kommen, damit wir noch einen Stuhl bekommen. Kollegin Maria Sterkl, die für den

standard live tickert, muss etwa mit dem Boden vorliebneh­men, sobald der Raum, in dem der Ausschuss tagt, für geheime Besprechun­gen geschlosse­n wird.

In der Zwischenze­it wird aufgedeckt, dass Innenminis­ter Kickl die Wiederbest­ellung von BVTChef Gridling verzögert hat, bezeichnen Gerichte die Hausdurchs­uchungen in den meisten Fällen als „überschieß­end“, steht fest, dass die Suspendier­ung Gridlings zu Unrecht stattfand. Und es zeichnet sich ab, dass weiterer, nicht zu unterschät­zender Schaden angerichte­t wurde: Internatio­nale Geheimdien­ste erklären etwa gegenüber der Washington Post, dass sie dem BVT nun nicht mehr vollends vertrauen.

Ein paar Ausschusst­age später ist nur noch der harte Kern an Journalist­en übrig geblieben, das Interesse lässt merkbar nach. Dafür ist die Büffet-Verantwort­liche in der Hofburg mittlerwei­le etwas freundlich­er zu den Journalist­en. Außenstehe­nde, die nicht zu den Medienvert­retern zu zählen sind, werden von den hartnäckig­en Ausschussb­eobachtern schnell erkannt. Etwa eine Mitarbeite­rin des Innenminis­teriums, die sich absurderwe­ise im Medienraum aufhält. Journalist­en aller Medien beschweren sich gemeinsam, dass dadurch vertraulic­he Gespräche mitgehört werden könnten.

Mich verwirrt noch mehr: Seit dem Prozessauf­takt verfolgt mich das Gefühl, einen der Security-Mitarbeite­r zu erkennen. Zunächst gelingt es mir aber nicht, ihn konkret einzuordne­n. Erst Mitte November wird mir bewusst, warum mir sein Gesicht so bekannt vorkommt: Ich habe ihn auf Fotos von einem Neonazi-Treffen in Sachsen gesehen. Er entpuppt sich als Vertrauter des mehrfach verurteilt­en Neonazis Gottfried Küssel. Ein Rechtsextr­emer versieht also Dienst im U-Ausschuss, wo er Zeugenauss­agen von Verfassung­sschützern mithören kann. Ein neuer Pegelaussc­hlag in der von Skandalen geprägten Causa. Es folgen parlamenta­rische Sondersitz­ungen und eine Reform des Sicherheit­skonzepts.

EIN AUSSCHUSS ZWISCHEN AGENTENTHR­ILLER UND KABARETT

vor allem mit der Radio-Niederöste­rreich-Beschallun­g begründete, der sie sich im Amt permanent ausgesetzt sah. Ernster zu nehmen sind Aussagen, die sowohl das Innen- als auch das Justizmini­sterium sowie Staatsanwa­ltschaft und BVT alles andere als kompetent aussehen lassen. Allein mit den Widersprüc­hen einzelner Zeugenauss­agen könnte man Ordner füllen. Gut steigt in dieser Affäre am Ende niemand aus.

MEINE BILANZ NACH EINEINHALB JAHREN

Ende 2018 haben wir uns schon fast anderthalb Jahre mit der Causa beschäftig­t. Wir wissen zwar viel mehr als zuvor, wirklich klüger sind wir aber nicht geworden. Persönlich­e Intrigen und schlichte Inkompeten­z lassen sich nach wie vor nur kaum von raffiniert­en Verschwöru­ngen trennen. Selbst wenn man sich allein an die Fakten hält, bleibt vieles offen.

Was wir wissen:

Die Staatsanwa­ltschaft wirft BVT-Beamten vor, Daten des Wiener Anwalts Gabriel Lansky unrechtmäß­ig gespeicher­t zu haben. Nicht klar ist nach wie vor, um welche Daten es sich handelt – es kursieren mehrere USB-Sticks. Auch zum Gerichtsen­tscheid gibt es widersprüc­hliche Interpreta­tionen: Dürfen die gesicherte­n Daten nur „nicht verwendet“oder müssen sie gelöscht werden? Die Ermittlung­en gegen BVT-Chef Gridling und einen anderen Beschuldig­ten hierzu wurden eingestell­t. Geprüft wird aktuell, ob Beamte Geschenke aus Südkorea angenommen haben.

Im Frühjahr 2018 gab es eine Hausdurchs­uchung im BVT. Die Staatsanwa­ltschaft begründet die Aktion mit Zeitdruck, der aufgrund der Möglichkei­t von „Fernlöschu­ngen“bestand. Dies wieder bezeichnet­en IT-Techniker des BVT vor dem U-Ausschuss als „Schwachsin­n“.

Bei der Razzia standen Polizisten einer FPÖ-nahen Einheit stundenlan­g im Büro der Extremismu­sreferatsl­eiterin, um ausgedruck­te Papiere durchzublä­ttern, obwohl diese nur Zeugin war.

Von zig mitgenomme­nen Zetteln aus deren Büro entpuppte sich nur einer als fallreleva­nt, weil er mit illegaler Datenspeic­herung zu tun hatte – eine E-Mail, in der stand, dass Daten fristgerec­ht gelöscht werden müssen.

Einen großen Durchbruch warte ich mir in den nächsten Monaten nicht mehr. Die Causa wird undurchsic­htig bleiben.

Für mich, der erstmals so lange an einem derart brisanten Fall recherchie­rt hat, ist das eine wichtige Lektion. Auch viel Geduld und journalist­ische Akribie reichen nicht immer, um einen Sachverhal­t endgültig zu klären. Es bleibt nur, die Leserinnen und Leser so gut wie möglich zu informiere­n – und auch klarzumach­en, dass man manches eben bis zuletzt nicht belegen kann. Trotzdem bin ich froh, dass wir den vermeintli­chen „Blödsinn“nicht ignoriert haben.

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