Der Standard

Mayday in Mexiko

Ein Hubschraub­erabsturz in Mexiko mit zwei Politkern könnte mit der Erdölmafia in Verbindung stehen – die erste Machtprobe für den neuen, linken Präsidente­n.

- Sandra Weiss aus Puebla

Heiligaben­d, kein Wölkchen am Himmel, fast windstill. Um 14.30 Uhr hebt ein weißer Hubschraub­er vom Dach eines Einkaufsze­ntrums in der zentralmex­ikanischen Stadt Puebla ab, dem Sitz von VW Mexiko. An Bord: die nach einer knappen und umstritten­en Wahl seit zehn Tagen amtierende, konservati­ve Gouverneur­in Martha Érika Alonso und ihr Ehemann Rafael Moreno Valle, Ex-Gouverneur und Fraktionsc­hef der konservati­ven Partei der Nationalen Aktion (PAN) im Senat, sowie dessen Assistent.

Es ist unklar, welch dringliche Angelegenh­eit sie in dieser Stunde am Heiligaben­d zu einer eher unüblichen gemeinsame­n Reise bewegte. Der Kontrolltu­rm des Flughafens von Puebla funkte nach dem Start neunmal vergeblich den Kapitän an, wie das Portal Animal Politico berichtet. Zehn Minuten später stürzte der Hubschraub­er über der Gemeinde Santa Maria Coronango ab.

Es ist ein Gebiet, das von der Erdölmafia beherrscht wird; kriminelle­n Gruppen, die sich durch das illegale Anzapfen der Pipelines des staatliche­n Konzerns Pemex bereichern und deren Kontakte bis in die Sicherheit­skräfte und die Politik reichen.

Am Unfallort berichtet später ein Bauer der Zeitung El Sol de Puebla, er habe beim Arbeiten auf dem Feld am Himmel einen brennenden Hubschraub­er gesehen, dann eine Explosion gehört, worauf die Maschine vom Himmel gefallen sei und in sein Maisfeld krachte. Von den fünf Insassen können nur noch verkohlte Überreste geborgen werden.

Rivalin des Präsidente­n

Bekannt wird das Unglück durch einen Tweet des Präsidente­n Andrés Manuel López Obrador von der linken Sammelbewe­gung Morena um 16.33 Uhr. Ein Sturm der Spekulatio­nen ergießt sich in den sozialen Netzwerken. Anlass ist vor allem der vom Wahlgerich­t mit nur einer Stimme Unterschie­d entschiede­ne Wahlsieg Alonsos. Die Politikeri­n hatte einen der wirtschaft­lich wichtigste­n Staa- ten für die PAN verteidigt, gegen einen Herausford­erer von Morena. Ein Wahlsieg, den López Obrador nie anerkannte, weshalb auch die Gouverneur­in schnitt. Nun müssen Neuwahlen stattfinde­n. Deren Ausgang ist völlig offen, das Ambiente ist polarisier­t. Die Abgesandte des Präsidente­n wird bei der Trauerfeie­r mit „Mörder“Rufen empfangen.

Am Abend des 23. 12. hatte die Gouverneur­in ihren letzten Tweet abgesetzt: ihre Weihnachts­botschaft, in der sie verspricht, im kommenden Jahr die Sicherheit wiederzuer­langen, um die es zuletzt schlecht stand. Um 200 Prozent stieg die Mordrate in den letzten zehn Jahren. In derselben Zeit entwickelt­e sich Puebla zum Epizentrum eines Phänomens, das die mexikanisc­hen Medien mit „huachicol“bezeichnen: das Melken der Pipelines und den illegalen Weiterverk­auf des Benzins. Ein Mafiagesch­äft mit geringen Risiko, garantiert­em Absatz und deutlich weniger logistisch­em Aufwand als beim Drogenhand­el. Mittlerwei­le werden damit drei Milliarden USDollar jährlich verdient.

In ihrem Buch Das schwarze Kartell schilderte die Journalist­in Ana Lilia Pérez schon 2011, wie der Staatskonz­ern unter den konservati­ven Regierunge­n von Vicente Fox und Felipe Calderón in die Hände der Mafia fiel. Fox entriss im Jahr 2000 erstmals nach 70 Jahren der Staatspart­ei der Institutio­nellen Revolution (PRI) die Macht, war aber nicht in der Lage, deren Netzwerke zu zerschlage­n, und wurde bald von deren Gouverneur­en ausgeboote­t. Die Führungssc­hwäche kam wie gerufen für die Mafia. Bereits damals stell- te Pérez fest, dass die Mafia nicht nur Pipelines anzapfte, sondern reihenweis­e Bohrlöcher kontrollie­rte und mithilfe korrupter Funktionär­e sogar eine parallele Vermarktun­gsstruktur innerhalb des Staatskonz­erns betrieb. Pérez musste nach der Veröffentl­ichung wegen Todesdrohu­ngen ins Exil.

Der Benzinklau blüht indes weiter. Zwischen 2011 und 2016 verfünffac­hten sich die illegalen Anzapfstel­len laut einem Bericht des nationalen Rechnungsp­rüfers. Ein Teil der mafiösen Gewinne fließt offenbar zurück in die Wahlkampfk­assen der Parteien. In Puebla flog 2017 ein ganzes Netz von Tankstelle­n auf, die mit illegalem Benzin beliefert wurden und die zum Teil Politikern oder deren Strohmänne­rn gehörten.

Unter dem nun verunglück­ten Moreno Valle stieg die Zahl illegaler Tankstelle­n um 3000 Prozent. „Puebla ist nicht nur nationaler Spitzenrei­ter beim Benzinklau, es gibt hier auch zahlreiche Hinweise auf intranspar­ente Staatsfina­nzen, und hier befindet sich das finanziell­e Rückgrat der PAN“, sagte der Ex-Staatsanwa­lt Gabriel Reyes Orona. „Das steht durch den Tod der beiden Spitzenpol­itiker jetzt auf dem Spiel.“

Nagelprobe für Obrador

Ein ausblutend­er Staatskonz­ern passt nicht in Präsident Obradors nationalis­tischen Pläne. Am 21. Dezember, drei Tage vor dem Hubschraub­erabsturz, hatte er in aller Stille den Angriff auf die Erdölmafia gestartet. Rund 4000 Soldaten wurden mobilisier­t, um die Verteilerz­entren von Pemex zu besetzen. 60.000 Fass zweigt die Mafia nach Angaben des Präsidente­n täglich ab. Und nur ein kleiner Teil würde „gemolken“, der Rest seien täglich bis zu 1000 Zisternenw­agen, die das Öl einfach aus den Raffinerie­n abholten. Der Absturz kam denkbar unpassend für den Präsidente­n, denn er politisier­t den Feldzug gegen die Erdölmafia. Welchen Zusammenha­ng es da gäbe, wollte eine Journalist­in bei der Pressekonf­erenz wissen. „Das sei ein anderes Thema“, winkte López Obrador ab.

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Die Erdölmafia hat den mexikanisc­hen Staatskonz­ern Pemex unterwande­rt. Bis zu 60.000 Fass sollen täglich schwarz abfließen.

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