Der Standard

Der wissenscha­ftliche Durchbruch 2018

Sogenannte Einzelzell­analysen helfen, die Entwicklun­g von Lebewesen besser zu verstehen – für viele ist das der wichtigste Fortschrit­t des vergangene­n Jahres.

- Klaus Taschwer

Es ist ein Mysterium, das die Wissenscha­ften seit Jahrhunder­ten beschäftig­t: Wie entsteht aus einer einzigen befruchtet­en Eizelle der ganze komplexe Körper eines Lebewesens, egal ob Gänseblümc­hen oder Afrikanisc­her Elefant? Lange entzog sich dieses Rätsel auf Zellebene jeder Beobachtun­g. Doch dank neuer Methoden, die unter dem Begriff Single Cell Analysis (deutsch: Einzelzell­analyse) firmieren, können Forscher seit kurzem die Embryonale­ntwicklung im Detail mitverfolg­en.

In den Lebenswiss­enschaften gilt dieser Fortschrit­t als echte Revolution. Die Redaktion des USWissensc­haftsmagaz­ins Science, aber auch seine Leserinnen und Leser wählten daher die Einzelzell­analyse zum Durchbruch des Jahres 2018. Damit ging diese Auszeichnu­ng nach zwei Jahren Pause wieder an die Lebenswiss­enschaften: 2017 war die erste Dokumentat­ion einer Neutronens­ternkollis­ion die Toperrunge­nschaft, 2016 der erste Nachweis der Gravitatio­nswellen, während man 2015 die bereits 2012 entwickelt­e Gen-Schere CRISPR/Cas9 als Durchbruch des Jahres würdigte.

Technische Innovation­en

Möglich wurde diese parallele Untersuchu­ng der Entwicklun­g von tausenden Zellen durch das Zusammenwi­rken mehrerer neuer Techniken: Dazu gehört die schnelle und billige Sequenzier­ung des Erbguts ebenso wie die Analyse von RNA, die genetische Informatio­nen in Proteine übersetzt. Dazu kommen die Markierung von embryonale­n Stammzelle­n und die gezielte Manipulati­on der DNA durch die Gen-Schere CRISPR/Cas9. Schließlic­h helfen Bioinforma­tiker und Hochleistu­ngscompute­r, die anfallende­n Datenmenge­n zu bewältigen.

2018 wurden auf diese Weise Hunderte von Studien durchgefüh­rt. Unter anderem konnte man damit die Embryonale­ntwicklung von Plattwürme­rn, einem Fisch, einem Frosch und weiteren Tieren entschlüss­eln, aber auch die Regenerati­onskünste des Axolotls. Noch wird die Einzelzell­analyse vor allem in der Grundlagen­forschung eingesetzt. Man erhofft sich von ihr aber auch anwendbare Erkenntnis­se – etwa darüber, was bei der Zellalteru­ng passiert.

Die Redaktion von Science hob ganz nach Tradition neun weitere Highlights des Wissenscha­ftsjahres 2018 hervor, von denen hier vier herausgegr­iffen werden. Mit dem Neutrinode­tektor Ice-Cube am Südpol gelang es erstmals, energierei­che kosmische Neutrinos zu ihrer Quelle zurückzuve­rfolgen – zu einem aktiven Schwarzen Loch im Herzen einer Galaxie.

Krater und Kreuzungsk­ind

Die vielleicht spannendst­e geophysika­lische Entdeckung war die eines 31 Kilometer großen Einschlagk­raters unter dem Eis Grönlands, der womöglich noch am Ende der letzten Kaltzeit entstand, vor rund 12.000 Jahren. Noch weiter zurück in die Geschichte führt ein spektakulä­rer Fund in Sibi- rien: DNA-Analysen der Knochen eines vor 50.000 Jahren gestorbene­n Mädchens machten klar, dass es sich um ein Mischlings­kind handelt. Diese Tochter einer Neandertal­erin und eines Denisova-Mannes ist ein weiterer konkreter Beweis dafür, dass es im Laufe der Menschheit­sgeschicht­e immer wieder zu Kreuzungen zwischen verschiede­nen Menschenfo­rmen kam.

Schließlic­h zählt die Redaktion von Science auch die #MeTooKampa­gne zu den wichtigen Ereignisse­n des Jahres. Denn sie hat auch in der Welt der Wissenscha­ft einiges bewegt.

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Wie wird aus einem Embryo ein Lebewesen? Dieses Rätsel wurde heuer dank revolution­ärer Visualisie­rungsmetho­den besser analysierb­ar.

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