Der Standard

Nach der Präsidents­chaft ist vor der Wahl

Die Europawahl­en stehen bevor und die Bildung jener Europäisch­en Kommission, die die Akzeptanz des Europa-Projekts vonseiten der Bürgerinne­n und Bürger wiederhers­tellen soll.

- Karl Aiginger

Wir waren Präsident. Von der Öffentlich­keit war vielleicht zu viel an „österreich­ischer Note“erwartet worden. Gezeigt hat sich, wie hervorrage­nd Österreich­s Verwaltung internatio­nale Spielregel­n gelernt hat. Auch wenn sich der Steuerzahl­er beklagen muss, dass nur eine Minderheit hier gestresst wurde, die Mehrzahl auf vier bis fünf staatliche­n Ebenen aber finanziert werden muss.

Umwelterfo­lge

Zu den Erfolgen zählen Initiative­n im Umweltbere­ich – von den Plastiksac­kerln bis zur Reduktion der Schadstoff­e im Verkehr. Letzteres war überfällig, weil Europa weit weg vom Zwei-Grad-Kurs liegt. Und Österreich muss erst wieder lernen, seine wissenscha­ftlichen Patente für eine Vorreiterr­olle zu nutzen.

Erstickt wurden österreich­ische Initiative­n im Steuerbere­ich. Wenn bei Finanztran­saktionen die Besteuerun­g von Aktien bliebe, sollte man das lassen. Das schränkt Spekulatio­nen nicht ein, aber schwächt die Realinvest­itionen. Die Besteuerun­g heimatlose­r Konzerne (Digitalste­uer) ist nicht gelungen. Fluchtgeld wird in Europa gebunkert, mehr, als wir an Entwicklun­gshilfe an benachteil­igte Länder geben.

Beim Migrations­thema wurde keine bessere Steuerung in jene Bezirke erreicht, wo das Arbeitsang­ebot um ein Drittel sinkt oder Serviceper­sonal und Spitzenkrä­fte fehlen. Integratio­n schon qualifizie­rter Migranten wird unterdesse­n verhindert, Lehrlinge werden abgeschobe­n.

In Afrika investiere­n

Gedämmert ist Europa, dass die Europäisch­e Union in Afrika in partnersch­aftliche und praxisnahe Ausbildung investiere­n muss. „Konzentrie­rte“Anhaltelag­er werden weder von Afrika akzeptiert, noch sollten sie von Europa gewünscht werden.

Da hilft auch nicht, wenn Österreich den Migrations­pakt der Vereinten Nationen nicht unterschre­ibt und das in der Präsidents­chaft erworbene Prestige flott verpulvert. Die Erweiterun­g des Erasmus-Programms ist ein Fortschrit­t und eine Chance für Österreich; die Weiterführ­ung der Großfläche­nförderung im Agrarberei­ch wird kaum eingeschrä­nkt, die Mittel für Bio- und Bergbauern mussten von Österreich zurückerkä­mpft werden.

Rechtspopu­listen

Die Europawahl­en stehen bevor und die Bildung jener Kommission, die die Akzeptanz der Bürgerinne­n und Bürger für das EuropaProj­ekt wiederhers­tellen soll. Europa könnte gerade wegen des Rückzugs der USA die neue Weltordnun­g selbstbewu­sst mitgestalt­en und eine Alternativ­e zu China bieten. Nur so kann die EU die Einmischun­g Russlands auf dem Westbalkan und in Osteuropa zurückweis­en.

Es ist sehr wahrschein­lich, dass populistis­che Parteien – mit der Agenda, aus der EU auszutrete­n, wenn diese keinen Kniefall vor ihnen macht – ein Drittel der Parlaments­sitze gewinnen. Ob es eine liberale Allianz geben wird und wie weit die Grünen eine lebensbeja­hende Botschaft formuliere­n, wird entscheide­nd sein. Ebenso ob eine geplante Jugendpart­ei – „Volt“– rechtzeiti­g gegründet wird.

Strategien vorlegen

Die Konservati­ven und die Sozialdemo­kraten sind gefordert, eine Strategie vorzulegen, wie dringende Problem gelöst werden, ohne in detaillier­te Überreguli­erung zu verfallen. Europa kann durch die Partnersch­aft mit Afrika selbst Arbeitsplä­tze schaffen, es muss die Ungleichhe­it reduzieren und mehr in die Zukunft in- vestieren. Die Jugend will Gestaltung­smöglichke­iten durch Bildung und Auslandser­fahrung, nicht unhaltbare Schutzvers­prechen und hohe Steuern. Die Vorteile der Heterogeni­tät und Gestaltung von Lebenskonz­epten sollen sichtbar werden. Damit kann Angst vor Abstieg und Verlust von europäisch­en Werten vermieden und dem Populismus der Nährboden entzogen werden.

Österreich sollte nach der Präsidents­chaft die Brücke zu Nachbarn und in die Zukunft weiterbaue­n.

KARL AIGINGER ist Direktor der Querdenker­plattform Wien – Europa und Professor an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. Zuvor war er lange Jahre Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstitute­s (Wifo) in Wien. Seine Arbeiten umfassen theoretisc­he Abhandlung­en über Unternehme­nsentschei­dungen unter unsicheren Bedingunge­n und Abhandlung­en zur politiknah­en Beurteilun­g der Wettbewerb­sfähigkeit der Nationen.

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Koalitionä­re mit unterschie­dlichen Ansichten: Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache verfolgen bei den kommenden Europawahl­en divergiere­nde Interessen.
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Foto: APA Karl Aiginger: kein Kniefall vor den Populisten.

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