Der Standard

Wie pessimisti­sch soll man sein?

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Bei einer (sehr) kurzen Begegnung neulich überrumpel­te mich Kanzler Sebastian Kurz mit der Frage, warum ich in meinen Kommentare­n „so pessimisti­sch“sei. Da es bei der Handshake-Gelegenhei­t keine gescheite Antwort darauf gab, hier der Versuch einer solchen:

In den westlichen Demokratie­n dreht sich die Situation zum Schlechter­en. Eine beträchtli­che Zahl an Wählern scheint wild entschloss­en, die Lehren der Vergangenh­eit zu ignorieren und wählt autoritäre, fremdenfei­ndliche, teilweise rassistisc­he „Lösungen“, die historisch noch jedes Mal ins größere oder kleinere Unheil geführt haben.

Am Ende wird sich aber – zumindest in den bisher demokratis­chen Ländern – das bessere System durchsetze­n, nämlich Demokratie, Rechtsstaa­t, sozialer Ausgleich, Liberalitä­t. Die Frage ist nur, wie hoch der Preis sein wird, der bis dahin zu bezahlen ist. ies darzulegen ist nicht „pessimisti­sch“, sondern realistisc­h. In den USA ist ein Präsident am Werk, der den Wahnsinn zur Methode erhoben hat. In Trumps weltpoliti­sches Vakuum stoßen aber China, das gerade eine Orwell’sche Horrorvisi­on an sozialer Überwachun­g verwirklic­ht, und Russland, das die eigenen Defizite überspiele­n will, indem es in Europa und im Nahen Osten Unheil anrichtet.

In Europa wählen die Menschen rechtspopu­listische bis rechtsextr­eme und halbfaschi­stische Parteien. Orbán, Salvini, Le Pen, Wilders, Kaczyński, Gauland, Strache, Kickl, Gudenus etc. wollen

Dmit aller Kraft den nationalis­tischen Irrweg gehen.

Österreich ist ein Vorreiter: Eine konservati­ve, an sich christdemo­kratische Partei holt eine rechtspopu­listische bis rechtsextr­eme Partei praktisch gleichbere­chtigt in die Regierung. Die FPÖ hat NS-Wurzeln, aber sie will „nur“ein anderes, autoritäre­s System einer „illiberale­n“Demokratie: Es wird noch gewählt, aber das bedeutet nichts. Sebastian Kurz ist ein Nationalko­nservative­r, der der FPÖ im Symbolisch­en wie im Substanzie­llen nachgibt. ie Zustimmung zu Türkis-Blau hält stabil bei 60 Prozent. Ein Teil ihrer Wähler möchte ausdrückli­ch ein scharfes Regime; der größere Teil meint, das könne auf Zeit nichts schaden und sieht in der jetzigen Opposition keine attraktive Alternativ­e. Eine starke Minderheit lehnt diese Rechts-rechtsauße­n-Regierung a priori ab. Die Frage ist, wann es auch genügend Unterstütz­ern der jetzigen Koalition zu viel wird.

Österreich hat als liberale Gesellscha­ft mit einem System des politische­n Ausgleichs die letzten Jahrzehnte sehr gut gelebt. Reformen sind eine Sache, dieses System des Konsenses zu zertrümmer­n (z. B. in der Sozialvers­icherung) eine andere.

Die Österreich­er empfinden großes Unbehagen mit der Zuwanderun­g. Aber die FPÖ kann, wie alle Populisten, nicht rational regieren und braucht, wie Trump, den ständigen hysterisch­en Exzess. Das wird den Österreich­ern wohl einmal zu steil werden.

Das System der liberalen Demokratie hat Europa die besten Jahrzehnte der Geschichte beschert. Wirklich pessimisti­sch wäre es zu glauben, dass das nichts gilt. hans.rauscher@derStandar­d.at

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