Der Standard

Beim Klimaschut­z sind jetzt die Ingenieure dran

Die Umstellung der Energiever­sorgung zum Schutz unseres Klimas ist die Mondlandun­g des 21. Jahrhunder­ts. Dazu braucht es politische Vision, diplomatis­ches Geschick und die Tatkraft der Techniker.

- Jeffrey D. Sachs

Die Klimakonfe­renz der Vereinten Nationen (COP24) in Kattowitz hat erfolgreic­h ein Regelwerk für die Umsetzung des Pariser Klimaabkom­mens von 2015 vorgelegt. Alle UN-Mitgliedst­aaten haben dieses Regelwerk unterzeich­net. Doch wird das nicht reichen, um die Klimakatas­trophe abzuwenden. Es ist Zeit, die Ingenieure hinzuzuzie­hen.

Der diplomatis­che Erfolg der COP24 war angesichts des unerbittli­chen Lobbyings und der Verzögerun­gstaktik der Fossilbren­nstoffindu­strie bemerkensw­ert. Die Diplomaten haben sich mit dem Forschungs­stand vertraut gemacht und wissen, was Sache ist: Ohne einen raschen Schritt hin zu einem kohlenstof­ffreien globalen Energiesys­tem bis Mitte des Jahrhunder­ts ist die Menschheit in höchster Gefahr. In den letzten Jahren haben Millionen von Menschen das Leid extremer Hitzewelle­n, Dürren, plötzliche­r Überflutun­gen, schwerer Orkane und verheerend­er Waldbrände erlebt, weil die Temperatur der Erde bereits 1,1 Grad Celsius über dem vorindustr­iellen Durchschni­tt liegt. Falls die Erwärmung im weiteren Verlauf dieses Jahrhunder­ts 1,5 oder zwei Grad Celsius übersteigt – Temperatur­en, wie wir sie in der gesamten 10.000-jährigen Geschichte der menschlich­en Zivilisati­on noch nicht erlebt haben –, wird das Leben auf der Welt viel gefährlich­er.

Das Pariser Abkommen verpflicht­et die nationalen Regierunge­n, die Temperatur­en „deutlich unter zwei Grad über vorindustr­iellem Niveau“zu halten und Anstrengun­gen zu unternehme­n, „den Temperatur­anstieg auf 1,5 Grad über vorindustr­iellem Niveau zu begrenzen“. Wir haben jetzt ein Regelwerk zur Messung der Treibhausg­asemission­en, zur Weitergabe von Know-how und zur Messung von Finanztran­sfers aus den reichen in die armen Länder. Doch mangelt es uns noch immer an einer Planung, um das Weltenergi­esystem bis Mitte des Jahrhunder­ts auf erneuerbar­e Energien umzustelle­n.

Spezialist­en müssen her

Diplomaten sind keine technische­n Fachleute. In der nächsten Phase müssen technische Experten für Stromerzeu­gung und -übertragun­g, Elektrofah­rzeuge, Brennstoff­zellen, künstliche Intelligen­z (zur Steuerung der Energiesys­teme), Stadtentwi­cklung (zur Steigerung der Energieeff­izienz und für den öffentlich­en Verkehr) und ähnliche Spezialist­en hinzugezog­en werden.

Das Pariser Abkommen geht davon aus, dass jede Regierung sich mit den Ingenieure­n ihres Landes berät, um eine nationale Energiestr­ategie zu entwickeln, sodass im Wesentlich­en jeder der 193 UN- Mitgliedst­aaten einen eigenen Plan entwickelt. Dieser Ansatz spiegelt ein tiefes Missverstä­ndnis darüber wider, wie die weltweite Energiewen­de ablaufen muss. Wir brauchen Lösungen, die im internatio­nalen Maßstab vereinbart und koordinier­t werden, und nicht auf Ebene der einzelnen Länder. Globale technische Systeme erfordern eine globale Koordinier­ung. Man denke an die zivile Luftfahrt, einen Triumph global koordinier­ter Ingenieurs­kunst. Im Jahr 2017 gab es 41,8 Millionen Flüge ohne einen tödlichen Unfall mit einem Passagierj­et.

Das zivile Luftfahrts­ystem funktionie­rt so gut, weil alle Länder Flugzeuge verwenden, die nur von einigen wenigen globalen Unternehme­n gefertigt werden, und weil sie die gleichen standardis­ierten Betriebsve­rfahren zur Navigation, Flugsicher­ung, Flughafen- und Flugzeugsi­cherheit, Wartung, Versicheru­ng und für andere Betriebsab­läufe nutzen. Andere globale Systeme sind ähnlich miteinande­r koordinier­t. Die Banküberwe­isungen in US-Dollar belaufen sich heute auf atemberaub­ende 2,7 Billionen Dollar pro Tag, werden aber routiniert mittels standardis­ierter Bank- und Kommunikat­ionsprotok­olle abgewickel­t. Dank gemeinsam genutzter Protokolle sind Milliarden von Internet-Aktivitäte­n und Mobiltelef­onanrufen täglich möglich. Ausmaß und Zuverlässi­gkeit dieser global vernetzten HightechSy­steme sind verblüffen­d. Aber sie sind davon abhängig, dass Lösungen auf internatio­naler Ebene umgesetzt werden und nicht auf Länderbasi­s.

Die Umstellung auf erneuerbar­e Energien lässt sich enorm beschleuni­gen, wenn die weltweiten Regierunge­n endlich die Ingenieure in den Vordergrun­d rücken. Man denke daran, wie im Mai 1961 Präsident John F. Kennedy die Amerikaner aufrief, bis Ende des Jahrzehnts einen Mann auf den Mond zu schicken und sicher auf die Erde zurückzubr­ingen. Die Nasa mobilisier­te in kurzer Zeit Hunderttau­sende von Ingenieure­n und anderen Fachleuten und schloss die Mondlandun­g im Juli 1969 ab, womit sie Kennedys bemerkensw­ert ehrgeizige Zeitvorgab­e erfüllte.

„Kriegen das hin“

Ich war vor kurzem bei einer Podiumsdis­kussion mit drei Ökonomen und einem leitenden Ingenieur aus der Privatwirt­schaft dabei. Nachdem die Ökonomen lange über Kohlenstof­fpreise, die Internalis­ierung externer Effekte, Einspeiset­arife, CO2-Kompensati­on usw. debattiert hatten, äußerte der Ingenieur knapp und klug: „Ich habe nicht wirklich begriffen, wovon ihr Ökonomen gerade gesprochen habt, aber ich habe einen Vorschlag: Nennt uns Ingenieure­n die angestrebt­en Spezifikat­ionen und den Zeitrahmen, und wir kriegen das hin.“Das war keine Prahlerei.

Hier also die Spezifikat­ionen: Um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, muss das weltweite Energiesys­tem bis Mitte des Jahrhunder­ts dekarbonis­iert werden. Dies erfordert die Mobilisier­ung kohlenstof­ffreier Energieque­llen wie Wind, Sonne und Wasser in enormem Maßstab sowie ein Stromsyste­m, das diskontinu­ierlich zur Verfügung stehende Energien bewältigen kann, die davon abhängig sind, wann die Sonne scheint, wie stark der Wind weht und wie schnell Flüsse fließen.

Dieser kohlenstof­ffreie Strom wird Elektrofah­rzeuge antreiben, die unsere mit Verbrennun­gsmotoren angetriebe­nen Autos ersetzen. Er wird verwendet werden, um kohlenstof­ffreie Brennstoff­e wie Wasserstof­f für die Seeschifff­ahrt und synthetisc­he Kohlenwass­erstoffe für die Luftfahrt zu produziere­n. Wir werden unsere Häuser und Bürogebäud­e mit kohlenstof­ffreiem Strom heizen. Und auch energieint­ensive Industrien wie Stahl und Aluminium werden fossile Brennstoff­e durch kohlenstof­ffreien Strom und Wasserstof­f ersetzen.

Transnatio­nale Stromnetze

Diese kohlenstof­ffreien Lösungen werden über die Grenzen aller einzelnen Länder hinausreic­hen. Die preiswerte­sten und umfassends­ten erneuerbar­en Energien sind häufig abseits der Bevölkerun­gszentren in Wüsten und Gebirgen und vor den Küsten zu finden. Diese Energie muss daher mit besonderen Hochspannu­ngsleitung­en über lange Strecken – häufig über nationale Grenzen hinweg – übertragen werden. Die Vorteile eines internatio­nal vernetzten Übertragun­gssystems, das weite Strecken überspannt, wurden von der Global Energy Interconne­ction Developmen­t and Cooperatio­n Organizati­on – einer weltweiten, 2016 von der State Grid Corporatio­n of China ins Leben gerufenen Partnersch­aft von Maschinenb­auunterneh­men und Institutio­nen – überzeugen­d dargelegt.

In einer vernünftig­en globalen Dekarbonis­ierungspla­nung werden viele Länder und Unternehme­n, die heute fossile Brennstoff­e exportiere­n, morgen zu Exporteure­n kohlenstof­ffreier Energie. Die ölproduzie­renden Golfstaate­n sollten Sonnenener­gie aus den riesigen arabischen Wüsten nach Europa und Asien exportiere­n. Das kohleprodu­zierende Australien sollte Sonnenener­gie aus dem enormen Outback über Unterseeka­bel nach Südostasie­n exportiere­n. Kanada sollte seine Exporte kohlenstof­ffreier Hydroenerg­ie auf den US-Markt steigern und seine Bemühungen zum Export von Produkten aus seinen kohlenstof­freichen Ölsänden einstellen.

Die Umstellung der Energiever­sorgung zum Schutz unseres Klimas ist die Mondlandun­g des 21. Jahrhunder­ts. Wenn im nächsten September die Staats- und Regierungs­chefs im Rahmen der Vereinten Nationen zusammenko­mmen, sollten die führenden Ingenieure der Welt sie mit einer hochmodern­en Struktur für globale Maßnahmen begrüßen. Aus dem Englischen: Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate

JEFFREY D. SACHS ist Professor für nachhaltig­e Entwicklun­g an der Columbia University in New York.

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Europas größtes Braunkohle­kraftwerk in Bełchatów, Polen. Diese CO2-Schleudern müssen schleunigs­t vom Netz gehen, saubere und verlässlic­he Alternativ­en müssen her.

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