Der Standard

Türkis-blauer Retro-Chic

Die Regierung ist nicht angetreten, um Liberalism­us und Sozialstaa­t zu forcieren

- Günther Oswald

Türkis-Blau hat das erste Jahr relativ problemlos über die Bühne gebracht. Das kommt durchaus überrasche­nd. Der FPÖ gelang es in jahrelange­r Opposition nicht, gutes Personal aufzubauen, Erfahrung mit dem Regierungs­alltag hatte niemand an der freiheitli­chen Parteispit­ze. Das merkt man durchaus. Mithilfe der Volksparte­i wird aber unaufgereg­t der Koalitions­pakt abgearbeit­et. Fehler und peinliche Pannen passieren zwar regelmäßig, man lässt sich dadurch aber nicht aus dem Tritt bringen. Zahlreiche Vorhaben sorgten für massive Kritik, auch im standard. Im Grunde macht das Kabinett Kurz I aber in etwa das, was man von einer neokonserv­ativen Regierung erwarten durfte.

Ihre Politik beruht auf einer RetroGesel­lschaftspo­litik, stellt Zuwanderer in erster Linie als Gefahr und Belastung dar, täuscht Unsicherhe­it vor, um den Sicherheit­sapparat auszubauen, will den Sozialstaa­t straffen und gleichzeit­ig die eigenen Kernwähler­schichten (Stichwort Familienbo­nus) begünstige­n. Entlang dieser Grundprinz­ipien ist das Regierungs­programm aufgebaut, und diese Grundprinz­ipien spiegeln sich auch in den Beschlüsse­n des Jahres A 2018 wider. m fatalsten ist der Retro-Chic in der Gesundheit­spolitik. Mit der Aufhebung des Rauchverbo­ts in Lokalen wird der Tod zahlreiche­r Menschen in Kauf genommen. Das Gegenteil evidenzbas­ierter Politik sehen wir auch in den Klassenzim­mern. Ab dem zweiten Semester der zweiten Klasse gibt es wieder Noten, Sitzenblei­ben wird ab der zweiten Klasse wieder möglich sein. Ganz so, wie es früher war, als der kleine Heinzi und der kleine Sebastian selber in der Schule waren.

Profitiere­n sollen vor allem jene, die einen österreich­ischen Pass haben. Wer zugewander­t ist, wird grundsätzl­ich mit Skepsis betrachtet. Die Kürzung der Familienbe­ihilfe für osteuropäi­sche Arbeitskrä­fte, von denen die heimische Wirtschaft stark profitiert, zeugt von Kleingeist­igkeit. Zynisch ist der Zugang in der Asylpoliti­k. Man hätte zwar gerne, dass Flüchtling­e dem Staat nicht auf der Tasche liegen, gleichzeit­ig dürfen Asylwerber aber keine Lehre mehr machen. Man hätte gern, dass sie sich integriere­n, streicht aber die Mittel für Deutschkur­se.

Dafür werden um hunderte Millionen Euro noch immer Grenzkontr­ollen aufrechter­halten, die wenig brin- gen, aber den Eindruck einer externen Bedrohung erwecken. Bekämpft werden kann die natürlich nur mit mehr Personal für den Sicherheit­sapparat und mehr Überwachun­g.

Im Sozialstaa­t wurden die Schrauben etwas angezogen. Ehrlicherw­eise muss man aber sagen, dass die Aufregung bei SPÖ und Gewerkscha­ft stark übertriebe­n war. Zwölfstund­entage sind nun zwar häufiger möglich, die geringe Zahl an Problemfäl­len in den ersten Monaten zeigt aber schon, dass sich die realen Auswirkung­en in engen Grenzen halten. Ähnlich könnte es am Ende bei der Mindestsic­herung aussehen. Da die Länder einen gewissen Spielraum bekommen und die Gerichte wohl die De-facto-Schlechter­stellung von Zuwanderer­n kippen werden, ist es nicht unwahrsche­inlich, dass sich auch hier für die meisten Menschen wenig ändern wird.

Klar ist aber natürlich: Türkis-Blau ist nicht angetreten, um den Liberalism­us zu forcieren und den Wohlfahrts­staat auszubauen. Das wird sich auch 2019 nicht ändern. Wie die Kassenrefo­rm gezeigt hat, ist ihre Politik zuallerers­t auf Machtausba­u ausgericht­et. Auch das wird im neuen Jahr eine Konstante bleiben.

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