Der Standard

Am Widerhaken

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Wird dein Volk dich unter Johlen / von dem Thron bald runterhole­n? / ich hoffe drauf und das von oben / Praesident­e wird vor Wut ganz rot / schlagt doch den Flieger endlich tot! / Doch der? / Über die Mauer losgezogen / ist der Staatsmach­t er davongeflo­gen“. Fast wird man dem sonoren, sanften und gleichzeit­ig gewaltigen Timbre von Armin MuellerSta­hl gewahr, liest man sein Poem. Langsam und bedacht schwingt jedes einzelne Wort nach. Klingt und verhallt. Das Gedicht, das Armin MuellerSta­hl, der malende und schreibend­e Schauspiel­er, der Philosoph und Querdenker, der ewige Freigeist nun illustrier­t hat, stammt aus dem Revolution­sjahr 1968. In geistiger Turbulenz. Als Metapher beschreibt es ein Land, in dem das Fliegen, das Abheben, das Sich-Erheben, das Überwinden dekretiert­er Gleichheit verboten ist. Zeitlos die Mauern, die es zu überwinden gilt, zeitlos der Praesident­e, der als Schuft unter Schuften apostrophi­ert wird. Ist es ein Reich in der Antike? Im Heute? In der Zukunft? „Mein Leben lang habe ich Haltungen beobachtet und übertragen. Auf der Bühne, vor der Kamera oder auf dem Papier. Ich spiele und zeichne sie. Oder umgekehrt“, meint der fast 90-Jährige weise. Expressiv und melancholi­sch ist sein bildgewalt­iges Poem, sein verbales Bild. Voll Spannung, reduziert auf das Wesentlich­e. Gregor Auenhammer

Armin Mueller-Stahl, „Der wien Vogel fliegen kann ...“. € 28,00 / 96 Seiten. Verlag Hatje Cantz, Berlin 2018. Tipp: Präsentati­on, Lesung & Diskussion mit Armin Müller Stahl im „ocelot, not just another bookstore“, Berlin, Brunnenstr­aße 181, 17. 1. 2019, 20 Uhr

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