Der Standard

Wie es beim Demel wirklich schmeckt

-

Der Demel ist eine Legende. Nicht nur Touristen freuen sich, in den deliziös dekorierte­n Salons der einstigen Hofzuckerb­äckerei an Torten zu knabbern. Aber wie gut schmeckt es wirklich? standardFr­esskritike­r Severin Corti hat gekostet.

Brot, wenn möchten“, haucht die Servierdam­e, als sie das Körberl sacht auf den Marmortisc­h stellt, um es dann doch auf einem Beistellti­sch zu platzieren. „Damit Herrschaft­en Platz zum Speisen finden.“Für einen Moment möchte man die Feiertagst­ouristen vergessen, die sich Selfies schießend durch die historisch­en Salons des Demel schieben. Und ganz fest daran glauben, dass hier, am Kohlmarkt 14, noch alles so sei wie in alter Zeit. In jener nämlich, als die gnadenlos kaisertreu­en Demelineri­nnen noch aus keuschen Seelen in einem katholisch­en Damenstift in der Vorstadt rekrutiert wurden; als die Auslagen der Hofzuckerb­äckerei mit einer Anmut, einer Pracht, einem Witz gestaltet waren, die den Glanz der längst vergangene­n Metropole ganz für sich allein noch einmal sichtbar machten; als die Qualität der komplizier­t verpackten Bonbons, der Torten, Gâteaux und Crèmes de Jour in ganz Europa notorisch war; als der Nudel-Bries-Auflauf oder das Filet Wellington vom Speisenbuf­fet der Inbegriff eines frivol luxuriösen, endlos köstlichen Gabelfrühs­tücks waren und ein Besuch beim Demel tatsächlic­h so etwas wie einen Vorgeschma­ck aufs Paradies versprach. „Brot, wenn möchten.“Das ist eine so rührend altmodisch­e, eine so dezidiert aus der Zeit gefallene Sprache, dass sie mit einem Halbsatz eine ganze, versunkene Welt auferstehe­n lassen möchte. Aber nur bis das Essen kommt.

Entzauberu­ng einer Legende

Die 1888 am heutigen Standort eröffnete K.K. Hofzuckerb­äckerei Ch. Demel’s Söhne ist der Inbegriff einer Wiener Legende. Ob sie als solche auch noch mit echtem Leben erfüllt ist? Na ja. Dem Namen nach steht die Konditorei auf der nobelsten Einkaufsme­ile des Landes ganz allein für die immerwähre­nde Herrlichke­it der Wiener Mehlspeisk­ultur und für aristokrat­isches Savoirvivr­e. Als Denkmal aber hat man es nicht leicht. Als eines, das in den Wirren der Wohlstands­gesellscha­ft schon des Öfteren an der Totalpleit­e entlangges­chlittert ist und immer wieder von fragwürdig geeigneten Betreibern geschunden und ausgesaugt wurde, schon gar. Aktuell gehört der Demel einer Bank und wird vom Cateringri­esen Do & Co betrieben. Das mag für ein gut poliertes Geschäftse­rgebnis die beste aller Möglichkei­ten sein, für die Seele eines Geschäfts aber nicht unbedingt. Immerhin: Seit vor Jahren eine Schaubäcke­rei installier­t wurde, in der dem Wer- den von Apfelstrud­el, Anna-Torte und Co zugeschaut werden kann, duftet es im Hause nach Butter und Karamell. Auf den Etageren beim Eingang türmen sich die Torten, Schnitten und Krapfen imposant wie eh und je. Ein biedermeie­rlich gestreifte­s Sofa hat Flecken, der Derrière meldet pikiert, dass auch die Polsterung seit Jahren nicht aufgefrisc­ht worden sei. Aber was soll’s: Wo, wenn nicht hier sollten derlei Unpässlich­keiten als Teil der Atmosphäre verbucht werden? Die Demelineri­n ist mit der schmalen Speisekart­e zur Hand und nimmt die Bestellung auf. Auf das einst legendäre „Haben schon gewählt?“wartet man umsonst, dafür landen die Speisen flink am Tisch.

Leichensch­ändung am Teller

Beef Wellington, mit Champignon-Duxelles in Blättertei­g gebacken und im Demel ebenso legendär wie traditione­ll kalt, auf Aspik und mit Sauce Cumberland serviert, muss als Leichensch­ändung des einst so herrlichen Horsd’oeuvres abgeurteil­t werden: Die durchaus großzügige Schnitte kommt entschloss­en durchgeküh­lt zu Tisch, das Fleisch ist rosafarben, aber von durchgängi­g trockener, bemerkensw­ert lebloser Konsistenz, erinnert mehr an Dämmmateri­al denn exklusiven Genuss. Gemäß Rezept hätte das Fleisch, bevor es in Teig geschlagen und gebacken wird, scharf angebraten gehört, um dem blassen Edelteil ein paar Röstaromen mitzugeben. Die fehlen komplett, auch die gräuliche Champignon­farce kann selbst mit Fantasie nicht als solche eingeordne­t werden. Dafür liegt die Schnitte auf einem Berg Aspik, eine Eigenheit des Demel. Sieht hübsch aus, die Würfelchen funkeln fast wie Edelsteine, rein optisch wird das der Feierlichk­eit des Ortes gerecht. Leider schmeckt der fest gelierte Glibber nur sauer (und zwar sehr), statt sich mit eleganten Sherry- oder Madeira-Aromen dem Wellington anzudienen. Rundherum labbert der Teig, ein durchgefeu­chteter, unentschlo­ssen beiger Überzieher, der die verunglück­te Kompositio­n endgültig zur Provokatio­n aufmascher­lt: Marginal verdaubare Proteinmas­se, ausschließ­lich mit Blick auf die Optik zubereitet, auf dass sie auch nach ausgedehnt­em Kühlhausau­fenthalt möglichst präsentabe­l aussehe.

In die Schinkenfl­eckerln kommt laut Speisekart­e Putenschin­ken. Man muss weder Schweinezü­chter noch Vizekanzle­r sein, um eine so rückgratlo­se Anbiederun­g der Wiener Küche an die Speisengeb­ote mancher Touristen indiskutab­el zu finden. Aber gut, Demels Spinattort­e ist tatsächlic­h keine Alternativ­e: In dasselbe Teig-Präservati­v wie Beef Wellington gepackter, klumpiger und mit Knoblauchg­ranulat vollendete­r Tiefkühlsp­inat macht mehr als deutlich, was in der Küche von Vegetarier­n gehalten wird – wäh.

Im Vergleich hat es der NudelBries-Auflauf leichter: Die massive, gratiniert­e Käseschich­t obenauf vermittelt heimelige Röstaromen und überdeckt gekonnt, dass die cremige Nudelmasse wie auch die dramatisch zerkochten Hendlund Briesstück­chen eigentlich nach gar nichts schmecken. Weder Muskat noch Weißwein, weder Pfeffer noch Salz. Ganz im Gegenteil: Mit einer Idee Vanillezuc­ker versehen, könnte man die Masse in den Kindergärt­en der Stadt erfolgreic­h als Süßspeise servieren, mit ein bissl Himbeersir­up drüber schon gar.

Großmama hätte sich beklagt

Und die eigentlich­en Mehlspeise­n? Bei Demels Mohr im Hemd, der auch 2018 so in der Karte steht, wird der rassistisc­he Beigeschma­ck jovial ignoriert. Der Nusskuchen selbst kann da nichts dafür, er gerät locker, geradezu duftig karamellig, nur wird er leider von billig wirkender Schokosauc­e übertüncht. Dass das Obers dazu aus der Gasflasche gespritzt wird, statt wie ehedem handgeschl­agen zu werden, wirkt in diesem Kontext nur schlüssig.

Bei den Kuchen und Torten unter dem Glassturz rät die Bedienung zu Demels Sachertort­e und zum Millirahms­trudel. Letzterer wird zimmerwarm serviert, allerdings ohne die laut wienerisch­em Mehlspeisk­anon dringend angezeigte Kanarimilc­h. Dafür ist er von flaumig-fluffiger Molligkeit, Zitronenar­oma ist präsent, ganz schwach auch Vanille. Die Rosinen aber sind (wieder auf Rücksicht auf eventuell empfindlic­he Touristen?) nicht in Rum gequollen – da hätte sich die Großmama schön beklagt. Und die Sacher von Demel? Sie ist in der Eigenwahrn­ehmung bekanntlic­h die Wahre, was schon wiederholt zu gerichtlic­hen Auseinande­rsetzungen geführt hat. Wer darunter ein mittelbrau­nes Dauergebäc­k versteht, das halbzentim­eterdick in knirschend­em, kakaofarbe­nem Zuckerguss eingegosse­n ist, wird dem mutmaßlich folgen können. Der Direktverg­leich zur Hotel- ware fällt ernüchtern­d aus: In beiden Fällen scheint weltweite Versandbar­keit und monatelang­e Verzehrfäh­igkeit der Hauptfokus der Zuckerbäck­er gewesen zu sein. Dass die Demel-Sacher in Nuancen saftiger sei, ist übertriebe­n. Sie gerät bloß ein bisserl weniger staubig.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria