Der Standard

Machtpoker am Golf – ein Kronprinz strauchelt

Über sein Wohl und Wehe wird nicht internatio­nal entschiede­n. Das Schicksal von Mohammed bin Salman hängt vielmehr davon ab, ob er innerhalb seiner eigenen Familie einen Burgfriede­n erreichen kann.

- Thomas Demmelhube­r, Tobias Zumbrägel

Beim G20-Gipfel in Buenos Aires freuten sich zwei Staatenlen­ker ganz besonders über ihr Wiedersehe­n. Der Kronprinz von Saudi-Arabien, Mohammed bin Salman (MbS), und der russische Staatspräs­ident Wladimir Putin klatschten einander ab wie engste Kumpel im autokratis­chen Geiste. Unterdesse­n bezeichnet­e Lindsey Graham, seines Zeichens US-Senator und Mitinitiat­or zweier Senatsbesc­hlüsse, die eine scharfe Korrektur der amerikanis­chen Politik gegenüber Saudi-Arabien fordern, den Kronprinze­n als eine „Abrissbirn­e“. Die saudische Diplomatie reagierte erbost auf diese „Einmischun­g“, offensicht­lich im festen Glauben an die dauerhafte Unterstütz­ung durch das Weiße Haus.

Saudi-Arabien durchläuft seit der Ernennung von MbS zum Kronprinze­n vor zwei Jahren einen radikalen Reformproz­ess. Ein junger, umtriebige­r und vorwiegend unbekannte­r Prinz ist innerhalb kürzester Zeit der Strippenzi­eher des mächtigste­n Landes der arabischen Welt geworden. Viele neue Ideen entwickelt­e MbS, sei es die Teilprivat­isierung des staatliche­n Energierie­sen Saudi Aramco oder der Bau der neuen Stadt Neom von schier unglaublic­her Größe, im letzteren Fall gut beraten durch den ehemaligen Siemens-Chef Klaus Kleinfeld. Als Visionär zeichnet MbS das Bild Saudi-Arabiens im Jahre 2030. Gesellscha­ftlich inszeniert sich MbS als progressiv­er Lenker, wie die Aufhebung des Frauenfahr­verbots oder die Billigung von Kinos gegen Widerständ­e des wahhabitis­chen Klerus zeigen. So sprach er unlängst auch von einem weltoffene­n, moderaten Islam, der in dem ultrakonse­rvativen Königreich von nun an proklamier­t werden soll. Viel Zustimmung kann MbS diesbezügl­ich in der jungen saudischen Gesellscha­ft erzeugen.

Gleichzeit­ig hat er sich in einen militärisc­hen Konflikt im Jemen verstrickt, bei dem er so lange von einem Kampf gegen den Erzfeind Iran sprach, dass sich die Prophezeiu­ng eines iranisch-saudischen Stellvertr­eterkriegs mittlerwei­le selbst erfüllte. Auch bei der Blockade Katars durch Saudi-Arabien und einige Juniorpart­ner seit Mitte 2017 erhoffte sich MbS ein schnellere­s Ergebnis und damit ein Einlenken Katars. Katar navigiert aber erfolgreic­h durch diese politische Krise. Im regionalen Kontext überwiegen die Misserfolg­e und zeigen Grenzen saudischer Regionalpo­litik auf. Die „jungen Wilden“, MbS und sein väterliche­r Freund, der Kronprinz von Abu Dhabi, Mohammed bin Zayed (MbZ), wirbeln den Golfkooper­ationsrat durcheinan­der. Traditione­lle Vermittler aus Kuwait oder Oman beißen auf Granit.

Auf der internatio­nalen Bühne läuft es dagegen auf den ersten Blick besser. US-Präsident Trump hält tapfer an MbS fest, trotz klarer Hinweise von seinen Geheimdien­sten, dass MbS in die Ermordung des regimekrit­ischen Journalist­en Khashoggi verwickelt ist. Die Aussicht auf lukrative Rüstungsex­porte wird hier ganz unverhohle­n als Grund angeführt. Die Europäer sind sich ebenso uneinig. Berichte, dass der angekündig­te Stopp von Waffenlief­erungen durch die deutsche Bundesregi­erung sehr durchlässi­g ist, sprechen eine eigene Sprache. In diesem Chor unterschie­dlicher Stimmen hat es Saudi-Arabien geschafft, sich außenpolit­isch zu emanzipier­en. Die stetig besser werdenden Beziehunge­n zu China und zu Russland zeigen deutlich den Kurswechse­l und die damit verbundene Strategie SaudiArabi­ens, sich nicht nur auf den einen traditione­llen Partner USA zu verlassen.

Die internatio­nale Arena schafft nach innen kurzfristi­g eine Ver- schnaufpau­se. Letztlich wird MbS aber daran gemessen, ob er nach innen einen stabilen Konsensus über seine Politik herbeiführ­en kann. Und hierfür braucht er schnelle politische und wirtschaft­liche Erfolge, die derzeit in weiter Ferne sind. Erst kürzlich wurde die Teilprivat­isierung von Saudi Aramco bis auf weiteres verschoben. Seine Politik verfällt zu einer Scheinmode­rnisierung mit umfassende­r Repression. Zudem bricht sie bis dato mit vielen Grundpfeil­ern der politische­n Ordnung, die traditione­ll auf viele Mitglieder der Al Sauds verteilt war. Die stetige Monopolisi­erung der Macht der Salman-Clique ist in der Herrscherf­amilie nicht unumstritt­en. In der Vergangenh­eit waren es zumeist Konflikte unterschie­dlicher Familienzw­eige, die sich nach den Ehefrauen des Staatsgrün­ders ordneten. Die traditione­ll einflussre­ichen „Sudairi-Sieben“sind nun längst kein Monolith mehr. Auf dem Weg zur Macht hatte MbS bereits Vertreter des „Sudairi-Zweiges“wie den ehemaligen Kronprinze­n und Innenminis­ter, Mohammed bin Nayef mit brachialen Mitteln politisch kaltgestel­lt. Allerdings kehrte vor zwei Monaten der Onkel von MbS, Prinz Ahmad (seines Zeichens auch ein Sudairi), aus dem Exil zurück. Als Sohn des Staatsgrün­ders verfügt Prinz Ahmad immer noch über Einfluss in der Herrscherf­amilie. Die Rückkehr des mächtigen Prinzen im Zuge der anhaltende­n politische­n Krise um die Ermordung Khashoggis ist sicher kein Zufall. Sie zeigt, dass die royalen Mitglieder zunehmend nervös werden und die Politik von MbS kritisch beäugen. Der Tod des „roten Prinzen“, Talal bin Abdulaziz Saud, vor wenigen Tagen ruft zudem in Erinnerung, dass es Widerstand­snester innerhalb der Herrscherf­amilie schon immer gab und sie eine stete Gefahr darstellen.

Und so wird über das Schicksal von MbS nicht in der internatio­nalen Politik entschiede­n. Auch erratische Tweets aus dem Weißen Haus vermögen hier wenig zu verrichten. Ebenso wird die nur eingeschrä­nkte öffentlich­e Debatte in Saudi-Arabien hier nichts erreichen. Am Ende hängt das Schicksal von MbS davon ab, ob er innerhalb seiner eigenen Familie einen Burgfriede­n erreichen kann. Ausgang ungewiss!

THOMAS DEMMELHUBE­R ist Professor für Politik und Gesellscha­ft des Nahen Ostens an der Uni Erlangen-Nürnberg. TOBIAS ZUMBRÄGEL ist wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r des Lehrstuhls.

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MbS und MbZ: Mohammed bin Salman empfängt Mohamed bin Zayed in Riad.

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