Der Standard

Österreich übergibt EU-Vorsitz an Rumänien

Mit dem Jahreswech­sel geht Österreich­s EU-Ratsvorsit­z zu Ende. Viele kleinere EU-Regelungen wurden verabschie­det, aber die „großen Probleme“vertagt – von Brexit bis Migration. Europa lahmt.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Man muss sich Nikolaus Marschik als einen der erschöpfte­sten Menschen in Brüssel vorstellen. Drei Tage vor Silvester, Freitagnac­hmittag, hetzt der 47-Jährige von einem Termin zum nächsten. Er lasse sich entschuldi­gen, habe „auch nur für ein paar Minuten“keine Zeit, lässt sein Sprecher ausrichten, aber gern am 31. Dezember.

So geht das seit 1. Juli. Während viele EU-Beamte die Stadt längst verlassen haben, um Weihnachte­n mit der Familie zu verbringen, muss Marschik erst noch den Jahresabsc­hluss hinbekomme­n und Bilanz ziehen. Das ist für den „Ständigen Vertreter Österreich­s bei der Europäisch­en Union“, wie sein offizielle­r Titel lautet, heuer eine besondere Herausford­erung. Sechs Monate lang hat die wegen der Beteiligun­g der FPÖ und ihrer Migrations­politik bei einigen Partnern in Europa skeptisch beäugte Regierung in Wien den Vorsitz im Rat der EU geführt.

Das bedeutet, dass die Ministerie­n mit der gut geölten „Beamtenmas­chine“auf Ratsebene in Brüssel bei der Aufbereitu­ng der laufenden EU-Geschäfte voll involviert sind. Österreich­s Botschaft mit Marschik an der Spitze diente dabei als Relais, von der Vorbereitu­ng bis zur Umsetzung mit den EU-28. Ein Botschafte­r muss mit seinen Leuten vor Ort in unzähligen Sitzungen und Gesprächen vermitteln und ausbügeln. Das geht Tag und Nacht.

Sehr viele Beschlüsse

Aus technisch-diplomatis­cher Sicht fällt die Bilanz beeindruck­end aus. Es fanden insgesamt 2722 Veranstalt­ungen und Sitzungen statt, 50 EU-Ministerrä­te, davon 14 informell in Österreich. Es gab vier EU-Gipfel der Staats- und Regierungs­chefs, einen in Salzburg. Es kam zu 75 Einigungen im Ministerra­t, weiteren 53 politische­n Einigungen in 161 sogenannte­n Trilogen zwischen Kommission, Rat und EU-Parlament.

Das sind zahlenmäßi­g ziemlich viele, vergleicht man es mit den vorangegan­genen EU-Vorsitzen von Bulgarien, Estland oder Malta. Kein Wunder, wenn man sich auf Beamtenebe­ne darüber freut, dass das in EU-Dingen einflussre­iche Infoportal Politico in einem Resümee zur Arbeit der Österreich­er zum Schluss kommt, „wahnsinnig viele Brocken“seien weg- geschafft“worden. Aber worum ging es inhaltlich, warum waren es im Finale so viele? Das ist weniger auf Initiative­n aus Wien zurückzufü­hren, sondern hat vor allem damit zu tun, dass im Mai 2019 EU-Wahlen stattfinde­n. Im „Kehraus“davor drängen EU-Abgeordnet­e wie Kommission und Regierunge­n darauf, dass seit Jahren laufende Projekte zum Ende kommen. Man will dem Wähler im Wahlkampf etwas bieten.

Beispiele: Ein Plastikver­bot für Einweggesc­hirr oder Strohhalme wurde ebenso verabschie­det wie ein „Verkehrspa­ket“, das Rechte von Fernfahrer­n harmonisie­rt. Es gab Einigungen über Limits für CO2-Emissionen bei Neu-Pkws ebenso wie bei Lkws, die im nächsten Jahrzehnt in Kraft treten. Und ein Paket für saubere Energie.

Wenig erfolgreic­h war man bei dem Bemühen, gegen Steuerunge­rechtigkei­ten und Steuerverm­eidung auf EU-Ebene vorzugehen: Eine groß angekündig­te Einführung einer Digitalste­uer scheiterte ebenso wie die seit 2011 verhandelt­e EU-Steuer auf Finanztran­saktionen. Es ließen sich diesbezügl­ich noch viele Projekte anführen. 90 Prozent der Arbeit des EU- Vorsitzes seien „Pflichtpro­gramm“, sagt Stefan Lehne, Experte beim Thinktank Carnegie. Das habe Wien gut abgearbeit­et.

Aber wie im Eiskunstla­uf ist es das „Kürprogram­m“, das über das Bild in der Öffentlich­keit entscheide­t. Diesbezügl­ich musste sich die Regierung scharfe Kritik anhören. Man wolle „ein Europa, das schützt“, umsetzen, hatte Kanzler Sebastian Kurz im Juli programmat­isch vorgegeben, vor allem die EU-Außengrenz­en besser schützen, irreguläre Migration weiter zurückdrän­gen. Österreich wolle „Brückenbau­er“für die EUPartner sein, hatten er, seine Außenminis­terin Karin Kneissl und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache wie ein Mantra vorgesagt.

Brückenbau­er ohne Brücken

Das sei ziemlich misslungen, befand der Tagesanzei­ger: Wien habe sich „als Spalter“betätigt, nicht als Brückenbau­er. Tatsächlic­h war es das Migrations­thema, das ein negatives Bild der türkisblau­en Regierung bei vielen EUPartnern verfestigt­e: weil Wien dabei selbst so stark Position für eine restriktiv­e Politik bezog, statt als Makler zu dienen. Und vor al- lem weil der UN-Migrations­pakt sehr früh abgelehnt wurde, im Zuge einer Kampagne extrem Rechter auf Social Media. Beim EU-Gipfel scheiterte das Maßnahmenp­aket zu Asyl und Migration erneut fast gänzlich. Auch das im Juni vereinbart­e Vorziehen des Ausbaus der EU-Grenzschut­zagentur auf 10.000 Beamte wurde wieder gekippt. Staaten wie Italien oder Griechenla­nd hatten Einwände gegen EU-Eingriffe in nationale Souveränit­ät, was Kommission­schef Jean-Claude Juncker als „himmelschr­eiende Heuchelei“verurteilt­e.

Aber Migration blieb nicht das einzige „große“Problem, dessen Lösung man sich vorgenomme­n hatte. So wie auch der Brexit trotz einer Einigung der EU-27 mit der britischen Premiermin­isterin Theresa May noch nicht in trockene Tücher gebracht werden konnte, gab es bei der EU-Erweiterun­g auf dem Westbalkan nicht die erhofften Fortschrit­te. All das „erbt“nun die rumänische Regierung in einem noch schwierige­ren Umfeld. Im Mai gibt es Europawahl­en – keine gute Zeit für Kompromiss­e.

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Am Ende des EU-Vorsitzes gute Freunde: Kommission­schef Jean-Claude Juncker lobte Kanzler Kurz als „umsichtig, zuhörend, einfühlsam“.

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