Richter befürchten Anstieg der Kriminalität
Mögliche Nebenwirkung der Sozialreformen
Wien – Richtervereinigung, Gerichte und Sozialarbeiter warnen wegen der Regierungspläne zur Reform der Mindestsicherung vor steigender Kriminalität in Österreich. Hintergrund: Straftätern, die zu mehr als sechs Monaten bedingter oder unbedingter Haft verurteilt werden, soll künftig für die Dauer der Freiheitsstrafe auch die Mindestsicherung gestrichen werden. Experten halten von diesem Vorhaben der türkis-blauen Regierung allerdings wenig, wie aus dem derzeit laufenden Begutachtungsverfahren hervorgeht, das noch bis 10. Jänner dauert.
Straftätern werde dadurch der Wiedereinstieg in ein geordnetes Leben und die Resozialisierung erschwert, der Rückfall in die Kriminalität werde wahrscheinlicher, lautet die Kritik. Die Sicherung bestehenden Wohnraums während der Haft sei für den Wiedereinstieg enorm wichtig. Die Mindestsicherung leiste hier einen wesentlichen Beitrag.
Rund 20 Prozent der Personen im Strafvollzug bezogen schon vor ihrer Inhaftierung Sozialhilfe oder Notstandshilfe und konnten ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten. Jeder zweite Haftentlassene steht ohne Jobperspektive da, etwa 35 Prozent weisen existenzbedrohende Schulden auf.
Nach der Haft droht Obdachlosigkeit
Die Fachgruppen Strafrecht und Jugendstrafrecht in der Richtervereinigung argumentieren, den Betroffenen drohe nach der Haft Obdachlosigkeit. Armut und Perspektivlosigkeit seien aber wesentliche Faktoren bei der Entstehung von Kriminalität.
„Der Gesetzesentwurf schafft die Voraussetzungen, die betroffenen Personen verstärkt in diese Randbereiche zu drängen und als Konsequenz unmittelbarer Notlage die Gefahr von Rückfall und weiterer Kriminalität zu fördern“, schreibt die Richtervereinigung. Die Folgekosten – allen voran Haftplätze – würden das Einsparungspotenzial bei Sozialleistungen übersteigen und die entstehenden Mehrkosten auf die Justiz überwälzen.
Ähnlich die Argumentation des Oberlandesgerichts Innsbruck: „Eine vermehrte Perspektivlosigkeit durch den zeitweisen Entzug einer Grundsicherung birgt die ganz konkrete Gefahr in sich, dass es zu einem vermehrten Rückfall und somit zu einer Steigerung der Kriminalität kommt.“
Die Interessengemeinschaft der Sozialarbeiter an den Justizanstalten warnt mit ähnlichen Argumenten vor den Reformplänen. (APA)