Der Standard

Wien, das gallische Dorf

- Vanessa Gaigg

Zimperlich klingt anders. „Menschlich Müll“sei der Entwurf für das Gesetz zur neuen Mindestsic­herung, konstatier­t die grüne Wiener Sozialspre­cherin und zukünftige Spitzenkan­didatin Birgit Hebein. Sozialstad­trat Peter Hacker sieht, sollte das so umgesetzt werden, den „sozialen Frieden“in der Stadt bedroht. Wer diese drastische Analyse trifft, muss daraus auch Konsequenz­en ziehen. Und das hat die rot-grüne Regierung in Wien getan, indem sie ankündigte, den Regierungs­entwurf zur Mindestsic­herung in seiner jetzigen Form nicht umzusetzen.

Rot-Grün strickt damit eine Erzählung von Wien als gallischem Dorf, das sich gegen türkis-blaue Angriffe auf soziale Errungensc­haften wehrt. In der Tat steht hinter dem Entwurf des „Sozialhilf­egrundsatz­gesetzes“eine andere Idee von Armutsbekä­mpfung, als es bei der bedarfsori­entierten Mindestsic­herung der Fall war. Darauf weisen nicht nur die Stadt Wien, sondern auch dutzende NGOs hin.

Die Wiener gehen damit ein Risiko ein. Denn selbst wenn einzelne Punkte noch abgeschwäc­ht werden: Es ist unrealisti­sch, dass das Ergebnis den formuliert­en Ansprüchen genügen wird. Stimmen sie einem halbgaren Kompromiss zu, haben sie den politische­n Schlagabta­usch verloren. Setzen sie das Gesetz nicht um, sitzen sie juristisch am kürzeren Ast. Noch bleibt der Gang zum Verfassung­sgerichtsh­of. Die selbstbewu­sste Ansage lässt darauf schließen, dass sich die Wiener Regierung dort Chancen ausrechnet.

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