Der Standard

Das Hardcorewe­tter und der Winterspor­tvierer

Lawinenexp­erten wie der Salzburger ZAMG-Chef Bernhard Niedermose­r erstellen den oft lebensrett­enden Lawinenlag­ebericht

- Thomas Neuhold

Stadt Salzburg, Freitag kurz vor sechs Uhr morgens: Es schneit noch immer. Temperatur etwas unter null. Im Haus der Salzburger Zweigstell­e der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) brennt schon Licht. Im ersten Stock sitzt die Meteorolog­in Claudia Riedl vor drei riesigen Bildschirm­en, über die sich permanent Niederschl­agsradarau­fnahmen und Satteliten­bilder bewegen.

Einen Stock höher beginnt der Leiter des Salzburger Lawinenwar­ndienstes, Bernhard Niedermose­r, mit dem Lageberich­t für diesen Freitag. Zuletzt hat er sich die Wetterentw­icklung vor acht Stunden um zehn Uhr abends angeschaut, bei Situatione­n wie derzeit kann sein Arbeitstag schon einmal 14 Stunden dauern.

Zuerst checkt Niedermose­r die Prognosemo­delle. Es bleibt beim Stand vom Vorabend: Freitagmit­tag hellt es für ein paar Stunden auf, es gibt Flugwetter, um die Lage in den Bergen zu beurteilen. „Wir haben seit 4. Jänner keine Sicht mehr“, sagt Niedermose­r. Gepaart mit den großen Schneemeng­en in sehr kurzer Zeit sei das schon „ein Hardcorewe­tter.“

Und weil die Seilbahnen in den oberen Sektionen alle wetter- und schneebedi­ngt stehen und man auch zu Fuß nicht in die höheren Regionen könne, müsse man die Situation mit dem Hubschraub­er erkunden. Niedermose­r selbst will heute noch die besonders kritischen Bereiche an der Südseite des Tennengebi­rges und des Hochkönigs abfliegen. „Auch um zu beurteilen, wie groß allfällige Lawinensch­äden sind.“

Kurz nach sechs Uhr läutet das erste Mal das Telefon. Der Lawinenbeo­bachter von Obertauern, Peter, gibt Daten durch: Wetter, Wind, Schneetemp­eratur, Ein- sinktiefe und Ähnliches mehr. Niedermose­r füllt die erste Spalte des Tagesformu­lars aus. Insgesamt 13 solcher Meldestati­onen gibt es allein in Salzburg. Alle an exponierte­n Stellen: vom Sonnblick bis zum Arthurhaus in Mühlbach am Hochkönig.

Lawinenbeo­bachter Peter und Niedermose­r sind sich ziemlich einig: „Der Vierer passt ganz gut.“Soll heißen: Die am Vorabend veröffentl­ichte Prognose für den Freitag, „Stufe vier, große Lawinengef­ahr“, stimmt mit den Beobachtun­gen überein.

Neben den Wetter- und Niederschl­agsprognos­en, den Daten der automatisi­erten Beobachtun­gsstatione­n, den Berichten der Lawinenkom­missionen und den menschlich­en Meldern fließen in den Lawinenber­icht auch noch die Erkenntnis­se von Geländebeo­bachtern ein.

800 Menschen arbeiten mit

Das sind oft ausgesucht­e Bergführer oder Bergrettun­gsleute, die ihre Erfahrunge­n von draußen dem Warndienst mitteilen. Insgesamt sind 700 bis 800 Leute beteiligt.

Es ist 7.12 Uhr, und alle Puzzlestüc­ke sind da. Der Sonnblick, der Mooserbode­n, Saalbach, Zauchensee, das Arthurhaus, die Rudolfshüt­te und Gastein haben sich auch schon gemeldet. Nun müssen die Informatio­nen gewichtet werden. „Routine spielt eine große Rolle, wenn man die Flut an Informatio­nen rasch selektiere­n muss“, sagt Niedermose­r.

Bis halb acht soll der Bericht dann draußen sein. Er ist online abrufbar, wird per Newsletter an Touristike­r, Straßenerh­alter, aber auch an Private verschickt. Es gibt auch eine Smartphone­app.

Kurz noch ein paar stilistisc­he Korrekture­n, die jeweiligen Symbole für die aktuelle Lawinenpro­blematik dazugestel­lt, und um 7.25 Uhr geht der Bericht schließlic­h online und wird verschickt.

Was auffällt: Obwohl in den nördlichen Kalkalpen und in den Tauern dieselbe Warnstufe gilt, sind zwei verschiede­ne Symbole zu sehen: Während im Norden der Neuschnee und die spontanen Lawinen das Hauptprobl­em darstellen, herrscht in den Tauern ein „Winterspor­tvierer“. Hier geht es um Triebschne­e und um von Skifahrern ausgelöste Schneebret­ter.

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Foto: Thomas Neuhold Trotz Hightech: Ohne Menschen geht beim Lawinenber­icht nichts.

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