Prozess um Bauchstich vor Schule für Erpresser
Zwei Teenager wegen Mordversuchs und schwerer Erpressung auf Anklagebank
Korneuburg – Dass das Opfer eines möglichen Mordversuchs gemeinsam mit seinem Angreifer auf der Anklagebank sitzt, ist ungewöhnlich. Beim Prozess eines Geschworenengerichts unter Vorsitz von Rainer Klebermaß gegen den 16jährigen Erstangeklagten K. und seinen ein Jahr jüngeren Kontrahenten O. tritt dieser Fall ein. Denn K. soll am 2. Mai vor einer Schule in Wien-Währing seinen Gegner mit zwei Stichen lebensgefährlich verletzt haben – nachdem ihn das Opfer erpresst hat.
Optisch könnten die beiden Teenager unterschiedlicher kaum sein. K. wird blass und im Anzug mit weißem Hemd aus der Untersuchungshaft vorgeführt. O. ist eineinhalb Köpfe größer als er, trägt am Kopf einen Boxer-Cut mit rasierten Schädelseiten und an den Füßen Sportschuhe, auf denen in großen Lettern der Markenname prangt.
Laut Staatsanwalt Lambert Schöfmann beginnt die Geschichte am 11. April 2018. O. wurde an diesem Tag von der Schule suspendiert, da er mit einem Lehrer um ein Handy gerangelt hatte. Übrigens nur ein paar Wochen nachdem er von einem Gericht zu zwölf Monaten bedingt wegen Beteiligung an einem Raub verurteilt worden ist.
O.s ältere Schwester kam in die Schule, Erstangeklagter K., für den im Vorjahr eine gefährliche Drohung gegen einen Mitschüler mit einer Diversion endete, soll sich positiv überrascht über ihre optische Erscheinung geäußert haben. Wie, darüber liegen die Aussagen auseinander. „Ich habe gesagt, dass sie gut aussieht und hübsch ist“, beteuert der Erstangeklagte vor Gericht. O. wurde von Klassenkollegen dagegen zugetragen, K. habe seine Einschätzung und Zukunftshoffnungen deutlich derber formuliert: „Die ist geil, die würd’ ich gerne ficken!“
Der Zweitangeklagte fühlte sich in seiner Ehre verletzt, das habe nichts mit seiner Religion zu tun, behauptet der in Österreich geborene Ägypter. „Für mich ist meine Schwester einfach wichtig.“– „Verlangt dein Ehrgefühl, dass du ihn schlägst?“, will Klebermaß wissen, erhält aber nur eine ausweichende Antwort.
Denn O. kontaktierte den vor vier Jahren mit seiner Mutter aus Kroatien zugewanderten K., um die Angelegenheit zu besprechen. Zu dem Treffen kam K. mit einem Butterflymesser. Aus Angst, sagt er. Er zückte die Waffe, wurde entwaffnet. Im Gegenzug schlug O. ihn und nahm mit dem Mobiltelefon ein Video auf. „Ich musste sagen, dass ich ein Hurensohn bin und er mich gefickt hat“, erinnert sich der Erstangeklagte.
Die Ehre des Jüngeren war damit offensichtlich noch nicht wiederhergestellt. Denn bald darauf wollte er auch Geld von ihm. Laut O.s Darstellung ist er wohl der höflichste Erpresser aller Zeiten. „Ich habe ihm angeboten, ob er mir vielleicht Geld geben möchte“, schildert er das Telefonat mit K. bezüglich der zweimaligen Übergabe von 200 Euro.
Die Hoffnung, das Problem mit 200 Euro aus der Welt geschafft zu haben, erfüllte sich für den Erstangeklagten nicht. Beim nächsten Kontakt habe O. mit Schlägen gedroht, falls er nicht weitere 200 Euro übergäbe, O. bestreitet diese Drohung. Schließlich forderte der Erpresser am 29. April gar 1.700 Euro am 2. Mai. „Er hat gesagt, wenn ich nicht zahle, bringt er mich mit meinem Butterflymesser um“, behauptet der Erstangeklagte. O. dagegen sagt, nur in diesem Fall habe er Schläge angedroht. Das Geld hatte K. am 2. Mai nicht, dafür nahm er in der Früh ein Küchenmesser mit 20Zentimeter-Klinge auf den fast einstündigen Schulweg von Niederösterreich nach Wien mit. „Ich wollte ihn gar nicht stechen, sondern nur einschüchtern“, versucht der 16-Jährige, die Geschworenen zu überzeugen.
Artikuliert hat er diesen Wunsch nicht mehr, als er vor der Schule auf O. traf. Wortlos zog er das Messer und rammte es dem Opfer in den Bauch. „Ich kann mir selber nicht erklären, warum ich das gemacht habe, mein Kopf war komplett leer“, sagt er nun dazu. An einen zweiten Stich will er sich nicht erinnern können, gegeben hat es ihn. Leid tue ihnen die Sache beiden, sagen die Angeklagten.
Die Urteile standen bei Redaktionsschluss noch aus.