Der Standard

Kreuzfahrt­en und Themenurla­ube boomen wie nie zuvor, eine Chance für das königliche Spiel und eine Nische für Schachgroß­meister.

- Von ruf & ehn

Von den unendlich vielen Orten, an denen Schach gespielt werden kann, ist das Schiff wohl einer der ungeeignet­sten. Der Boden schwankt, manchen wird schlecht, andere verfallen in Melancholi­e und müssen sich ständig betrinken.

Dennoch ist das Schiff natürlich ein magischer Raum, von Sebastian Brants Narrenschi­ff bis zu Melvilles Pequod ist es aufgeladen mit einer mächtigen kulturelle­n Tradition, dem sich auch das Schachspie­l nicht entziehen kann. Das Schiff ist ein Labor der Existenz, das Spiel an Bord sorgt für Ruhe und Kurzweil, wo Flaute, Sturm und der immergleic­he Horizont bei den Passagiere­n wahlweise Langeweile oder Todesangst erzeugt. So kommt Czentovic in Stefan Zweigs Schachnove­lle zu seiner Partie gegen den amerikanis­chen Millionär McConnor, so spielen die zwei legendären Gentlemen ihre Partie in der Bar der Titanic „with stiff upper lip“fertig, ohne sich von Tod und Untergang stören zu lassen, während sich die anderen in Panik in die Rettungsbo­ote stürzen.

Schiffsrei­sen sind derzeit beliebt wie nie zuvor, ein Trend, den sich seit einigen Jahren auch Schachmeis­ter zunutze machen. Bereits zum fünften Mal veranstalt­et der deutsche Großmeiste­r Jörg Hickl Schachturn­iere auf See. Dieses Jahr führt die Reise auf der Norwegian Escape von New York durch die Karibik bis an die mexikanisc­he Küste. Die Schachpass­agiere spielen ein offizielle­s Turnier mit Eloauswert­ung in sieben Runden, jeden Tag folgen Analysen der Partien. An Bord kümmern sich neben Hickl der Internatio­nale Meister Erik Zude und die Großmeiste­rin Sarah Hoolt, beide erfahrene Schachtrai­ner, um das schachlich­e Wohl der Passagiere. Eine Besonderhe­it hat das Turnier der Kreuzfahre­r freilich: Bei Anlandunge­n kann man, statt spielen zu müssen, eine Runde aussetzen und den Landausflu­g genießen. Das über 300 Meter lange Kreuzfahrt­schiff verfügt zudem über dutzende Bars und Lounges, täglich gibt es dichtes Unterhaltu­ngsprogram­m, also ganz so ernst sind die Schiffspar­tien nicht. Für die SchachBegl­eitcrew ist die Fahrt harte Arbeit, ein Nebeneinko­mmen, das die unsichere freiberufl­iche Existenz ein wenig absichert, wenn die Preisgelde­r einmal ausbleiben. „Die Kunst geht nach Brot“, sagt Hofmaler Conti in Lessings Emilia Galotti, und was für Maler gilt, gilt wohl auch für Schachspie­ler. Sie gehen in diesem Fall an Bord.

Wie stark Cheftraine­r Hickl spielt, zeigt sein Königsangr­iff gegen Artur Jussupow.

Hickl – Jussupow Bremen 1998

In den Eröffnunge­n ging Jörg Hickl stets eigene Wege: Mit Schwarz „hickelt“er sich gern mit 1… d6 ein, mit Weiß vertraut er, wie hier, auf seltene Abspiele der Réti-Eröffnung.

Jussupow wendet den erstmals von Emanuel Lasker 1924 gezeigten zentralen New Yorker Aufbau an.

Weiß befragt den Läufer. Die erste schwierige Entscheidu­ng. Soll man den Läufer stehen lassen und sich mit 11... Se5 12.g4 Te8 13.g5 Se4 14.f4 auf einen Königsangr­iff einlassen oder mit 11... Le5 12.d4 Lb8 den Läufer bewahren? Das schlechtes­te Feld für den Läufer. 12... Le7 oder 12… Te8 waren notwendig.

Ein Blitz aus heiterem Himmel, der auf dem taktischen Trick 13… Kxg7? 14.Dg4+ nebst Dxb4 basiert. Doch scheinbar hat Schwarz eine gute Ausrede: Gewinnt eine Figur, denn wenn sich der Springer zurückzieh­t, folgt Lxc3. Doch Weiß hat ganz andere Pläne, er opfert einfach die Figur.

Ein böser Zug, der Schwarz ins Verderben stürzt. Es droht 16.Dg5+ nebst Matt und falls 15... Sxh5?? folgt das hübsche Matt 16.Sh6.

Die Pointe des Springerop­fers! Schwarz muss die Figur zurückgebe­n, will er nicht matt werden.

Materiell steht die Sache gleich, doch Schwarz leidet an der fürchterli­chen Schwäche der Diagonale a1-h8. Auch 18... Sc5 19.Dxc6 Sce4+ 20.Ke1 hilft nicht wirklich.

Lässt sich den Turm einsperren, doch auch 19... Tg6 20.Thd1 Sb6 21.Df4 gab Weiß entscheide­nden Vorteil. Oder 20... Dg7 21.Df4 Kg8 22.Kf1 Txg3 23.hxg3 mit Verlustste­llung. Zum selben Resultat führt 21... Tc8 22.Kf1 Txg3 23.hxg3.

Natürlich ging auch sofort 22.Kf1. Wickelt mit Mehrqualit­ät ab. Vor 24.hxg3 Te4 25.Dd6 d4 26.Txc5! Sxc5 27.Df8+ Sg8 28.Dxc5 musste Weiß keine Angst haben. Oder 25... Te4 c4 27.Df8+ Sg8 dxc4 29.Dc5. 26.Dd6 28.bxc4

Denn 27... Sc3 28.Td3 d4 29.exd4 cxd4 30.Ta6 ändert nichts. Auch 29.Tf6 Te6 30.Txe6 fxe6 31.Db8+ Dg8 32.Dxg8+ ging schon.

Das große Finale: Auf 30…. Dxh6 folgt 31.Th1, auf 30… Sh7 31.Tdh1 und ebenso auf 30… Kg8 31.Tdh1 mit der Drohung Th8+, deshalb 1– 0 Df72. Txc6 Lc62.

Td6 Sd8!!1. Vorwoche):( 2890 Lösungen:

 ??  ?? In Gedanken mit prächtiger Sicht am Brett an Bord: Schach auf dem Kreuzfahrt­sschiff. 16.Dg4! 16… Lxd2+ 17.Kxd2 Tg8 18.Dxa4 Txg2 Dg8?! 22.Df4 22... c5 23.Kf1 Txg3 24.Lxf6+
In Gedanken mit prächtiger Sicht am Brett an Bord: Schach auf dem Kreuzfahrt­sschiff. 16.Dg4! 16… Lxd2+ 17.Kxd2 Tg8 18.Dxa4 Txg2 Dg8?! 22.Df4 22... c5 23.Kf1 Txg3 24.Lxf6+
 ??  ?? 15… 30.Txh6+! beliebig S/Sxd6/ Dh7!!1. 2892:
15… 30.Txh6+! beliebig S/Sxd6/ Dh7!!1. 2892:
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1.c4 c6 2.Sf3 d5 3.e3 Sf6 4.b3 Lg4 5.Lb2 5… e6
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Sxf6 Te5 28.Kg2 Sg5 29.Tc6 29...
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19.Ke2
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