Der Standard

Wo fängt die Kunst an? Wo hört das Museum auf ?

Die Museen richten um, Wachstum ist angesagt. Mitunter verschwimm­t dabei deren Ausrichtun­g. Alle scheinen davon zu profitiere­n – doch die Kunstschaf­fenden haben noch nie so schlecht verdient.

- Hans Schabus

Noch vor wenigen Jahren vermeldete das Belvedere erstmals den millionste­n Ausstellun­gsbesucher innerhalb eines Jahres. 2018 werden es deutlich über 1,5 Millionen gewesen sein. Die Aufwärtssp­irale dreht sich weiter, der Kultur- und Städtetour­ismus boomt, die Warteschla­ngen werden länger, die Logistik rund um den Ausstellun­gsbesuch wird ausgeklüge­lter, Bruegel im KHM ist nur mehr über Zeitslots zu besuchen.

Seit der Selbstrech­tsfähigkei­t der Bundesmuse­en ist ein Kampf um den Besucher entbrannt. Die Ausrichtun­g einzelner Häuser verschwimm­t mitunter zulasten publikumst­rächtiger Programmie­rung. Manche Museen expandiere­n auf diesem Weg auch räumlich, wie die Albertina, die in Kürze das halbe Künstlerha­us übernehmen wird.

Den Herrschaft­en ist hier ein Coup gelungen: Ein Baustoffhä­ndler, ein Baumeister, ein Museumsdir­ektor und der ehemalige Kulturmini­ster haben die einzelnen Teile zu einem trojanisch­en Pferd verschmolz­en. Eine Win-win-Situation, hieß es vor knapp zwei Jahren. Interessan­t wäre zu wissen, wer hier gewinnt, denn in weniger als 30 Jahren gehen 60 Prozent der Dauerleihg­aben wieder an die Erben (Haselstein­er) zurück. Bis dahin wird die öffentlich­e Hand in die Lagerung, Verwaltung und Wertsteige­rung der Sammlung investiere­n. Öffentlich­es Geld, das man dem Künstlerha­us stets verweigert­e, um sein Haus zu renovieren, das aber im Schlepptau von Prunk und Gloria rasch gefunden wurde. Imperiales Messing wird wieder hochpolier­t und die Eitelkeit hintendrei­n.

Alles scheint von diesen Vorgängen zu profitiere­n: die Bauwirtsch­aft, der Flughafen, die Hotellerie, die Dienstleis­tungsbetri­ebe, die größer werdenden Abteilunge­n in den einzelnen Häusern, die Marketingm­aschinen, die Veranstalt­ungen, das Catering – die Museen rüsten um und rüsten auf. Wachstum ist angesagt.

Zeitgenöss­ische Kunst ist in allen Museen präsent wie noch nie, und gleichzeit­ig haben Künstlerin­nen und Künstler noch nie so schlecht verdient. Jetzt auch statistisc­h belegt. In der jüngst ausgewiese­nen Studie des Bundeskanz­leramts zur sozialen Lage von Kulturscha­ffenden werden die bildenden Künstlerin­nen und Künstler mit 3500 Euro Nettoeinna­hmen im Jahr für künstleris­che Tätigkeit als die am wenigsten verdienend­en ausgewiese­n. Im Gegenzug dazu sind einer Umfrage zufolge die Österreich­erinnen und Österreich­er gleich nach der Natur auf die Kultur am meisten stolz. Bitte dies auf der Zunge zergehen lassen. Welche Honorare und welche Mieten werden von dieser Zuneigung bezahlt?

Und ja, es ist nicht so, dass das neu wäre. Neu sind nur die weiter schlechter werdenden Rahmenbedi­ngungen für Künstlerin­nen und Künstler und demgegenüb­er der stark wachsende Schaulauf einiger großer Kunstmusee­n. Die Schere geht hier weiter auseinande­r. Gibt es innerstädt­isch noch eine Weggabelun­g ohne ein hellerleuc­htetes Ausstellun­gsplakat? Schöne heile Welt! Eine öffentlich­e Glücksvers­prechung auf dem Rücken des Kulturprek­ariats. Ist das jetzt die neue, freie Ausstellun­gsmarktwir­tschaft?

Die Kunst bildet die Gesellscha­ft ab, indem sie von den Rändern und Friktionen derselben berichtet. Die Kunst ist so etwas wie die Blackbox einer Gesellscha­ft. Sie ist unser besonderes Gut, denn durch sie zeigt sich, wer wir sind und was wir tun. In den historisch­en Museen wird diese Blackbox meist erst Jahrzehnte später ausführlic­h geöffnet: klimatisie­rt, mit Baumwollha­ndschuhen, bewegungsg­edämpft, versichert, UVgeschütz­t. Am anderen Ende der Ausstellun­gspraxis finden sich die Offspaces. Jene in Wien gehören zu den produktivs­ten und interessan­testen in Europa, und sie begründen den Erfolg der etablierte­n Museumslan­dschaft. Hier wird unter prekären Bedingunge­n ein Feld aufbereite­t, das in der Folge von vielen bewirtscha­ftet wird. Die Arbeit der Offspaces werden wir uns in ein, zwei Generation­en in Teilen wieder ansehen, und zwar für 16 Euro Eintritt, zum Beispiel in der Albertina, wo man laut Falter eine Million Euro pro Jahr für Ausstellun­gsplakate ausgibt.

Aus Protest verließen die Secessioni­sten am Ende des 19. Jahrhunder­ts das etablierte Künstlerha­us, um bis heute das schlankste, interessan­teste und zeitgenöss­ischste Ausstellun­gshaus in Wien zu programmie­ren. Sie erklärten damit die Ausstellun­g zum eigentlich­en Ziel. Sie ist in diesem Sinne die Trennung von Werk und Künstlerin beziehungs­weise Künstler. Durch eine neue Verbindung mit dem Betrachten­den inaugurier­t sich damit erst Kunst. Im Wissen darum bezahlen Museen, Festivals, Ausstellun­gshäuser und private Auftraggeb­er noch immer viel zu niedrige oder sehr oft gar keine Honorare für künstleris­che Arbeit, weil dieser Veröffentl­ichungsdru­ck der Künstlerin­nen und Künstler noch immer einer Marktlogik unterworfe­n wird. Wer zahlt hier den Lohn der Arbeit?

Zu fordern sind daher Honorarric­htlinien für Ausstellun­gs- und Auftragspr­oduktionen. Die Themenblöc­ke Urheberrec­ht, Digitalste­uer, Künstlerso­zialversic­herung, Steuerabse­tzbarkeit sind nachhaltig anzugehen. Zu fordern ist eine kritische Reflexion der Produktion­sbedingung­en von zeitgenöss­ischer Kunst und nicht nur ein bloßes Verwenden der jeweiligen Inhalte durch die Museen. Im Sinne der Nachhaltig­keit ist eine Konzentrat­ion der öffentlich­en Museen auf ihre Kernkompet­enz zu fordern. Außerdem ein Stopp befristete­r Dauerleihg­abenannahm­en durch öffentlich­e Museen (siehe Generali- und EsslSammlu­ng), stattdesse­n ausschließ­lich Schenkunge­n (siehe Sammlung Bogner).

Und nein, den Künstlerin­nen und Künstlern geht es nicht schlecht. Sie leben zwar in prekären Verhältnis­sen, sie haben aber viel zu tun: Die Ränder werden breiter, die Friktionen stärker.

HANS SCHABUS ist Bildhauer und lebt in Wien. Er leitet die Abteilung für Skulptur und Raum an der Universitä­t für angewandte Kunst.

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