Der Standard

Schönheit als Kampfzone

Der Wiederaufb­au von Teilen der Frankfurte­r Altstadt sorgte für heftige Debatten: Werden Fragen von Architektu­r, Stadtbild und Rekonstruk­tion europaweit von rechtsextr­emen Kräften instrument­alisiert?

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Kulturelle­s Verbrechen“, „Schandmal“, „Bitte veröffentl­icht die Namen der Stadträte, die damals dafür gestimmt haben!“– eine Auswahl der ausnahmslo­s wütenden Kommentare auf der Facebook-Seite der Initiative Stadtbild Deutschlan­d e.V. im August 2018. Was erregte die Gemüter so sehr? Ein Foto des alten Kölner Hauptbahnh­ofs von 1894 und seines modernen Nachfolger­baus von 1957. Ersterer wuchtig und historisti­sch, der zweite von bescheiden­er Leichtigke­it, mit großer Glasfassad­e zum Dom. Über beide ließe sich Gutes wie Schlechtes sagen, doch es war ausschließ­lich das moderne, auch schon 61 Jahre alte Bahnhofsge­bäude, dem der schnaubend­e Zorn galt.

„Wir kämpfen gegen den Brutalismu­s“, verkündet Stadtbild Deutschlan­d e.V., nur eine von vielen ähnlichen Initiative­n, für die früher immer besser und die gesamte Nachkriegs­architektu­r ein Sündenfall ist. Warum das so sein soll, wird selten begründet, aber immer wieder als selbstvers­tändliche Tatsache behauptet.

Aggression und Polarisier­ung sind in sozialen Medien gang und gäbe, doch die Debatte über Stadtbild und Rekonstruk­tion entwickelt­e voriges Jahr eine Dynamik, die weit darüber hinausging. Der Anlass: die seit 2005 betriebene und 2018 vollendete Rekonstruk­tion von Teilen der Frankfurte­r Altstadt, auch „Dom-Römer-Projekt“genannt. Auf dem fast komplett kriegszers­törten Areal war 1974 das Technische Rathaus errichtet worden, das 2010 abgerissen wurde. Nach mehreren Architektu­rwettbewer­ben wurden bis September 2018 auf dem 7000 Quadratmet­er großen Areal insgesamt 35 Häuser errichtet, die die früheren Straßenzüg­e nachbildet­en. 20 davon sind Neubauten, 15 sind Rekonstruk­tionen nahe am Original („schöpferis­che Neubauten“).

Rechtes Naheverhäl­tnis

Im April 2018 veröffentl­ichte Stephan Trüby, Professor an der Uni Stuttgart, einen Beitrag in der Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung, in dem er nachwies, dass die Initiative für die Rekonstruk­tion auf zwei Personen mit Naheverhäl­tnis zur Neuen Rechten zurückging. „Es gibt einen falschen Konsens darüber, dass Architektu­r und Altstädte unpolitisc­h sind. Ich behaupte, dass hinter der Rhetorik einer angebliche­n Schönheit, einer angebliche­n Tradition einer angebliche­n europäisch­en Stadt durchaus auch eine rechtsradi­kale Kultur- und Architektu­rpolitik stehen kann, die wir nicht unterschät­zen sollten“, sagte Trüby im Deutschlan­dfunk. Zwar betonte er, dass es ihm keineswegs darum gehe, Rekonstruk­tionen als solche zu skan- dalisieren, doch die wüsten Reaktionen waren davon unbeeindru­ckt.

In einem rechtsgeri­chteten Blog schrieb Wolfgang Hübner, einer der von Trüby genannten Initiatore­n, brutalisti­sche Bauten wie das Technische Rathaus seien Teil eines „Schuldkult­s“und einer „Sühnearchi­tektur“der Nachkriegs­zeit. Zwar war der etwas überdimens­ionierte Bau in seiner beamtenhaf­ten Sachlichke­it kein architekto­nisches Glanzstück, und den weltweit etablierte­n Brutalismu­s als deutsche Strategie zur Selbstbest­rafung für den Holocaust zu bezeichnen ist lächerlich – doch Theorien wie diese finden viel Resonanz.

Trübys Aussage, Architektu­r sei immer politisch, wurde somit ausgerechn­et durch seine Kritiker bestätigt. Allerdings lässt sich die neue Altstadt kaum als Geheimproj­ekt von Rechtsextr­emen bezeichnen, sondern vielmehr als respektabl­es Ergebnis eines über zehn Jahre andauernde­n breit diskutiert­en demokratis­chen Prozesses, der Forderunge­n nach einer komplett originalge­treuen Rekonstruk­tion aller 35 Bauten eine Absage erteilte. Die Resonanz auf neue Altstadt fällt überwiegen­d positiv aus, auch unter den Architekte­n wandelten sich einige Kritiker zu Befürworte­rn.

Trotzdem ist der Hinweis auf die Schnittmen­ge von rechter Politik und Stadtbildd­ebatten nicht unbegründe­t. Initiative­n, die alles vor 1945 Gebaute in einen Topf mit „gut“und alles danach in einen Topf mit „böse“werfen, gibt es nicht nur in Frankfurt. Sie sind wesensverw­andt mit der Idee eines Rückzugs in die Festung Europa, in die vermeintli­che Homogenitä­t einer Vergangenh­eit.

Markus Miessen, Architekt und Professor an der Uni Göteborg, Mitherausg­eber des soeben erschienen­en Sammelband­es Para-Platforms – On the Spatial Politics of Right-Wing Populism, untersucht seit längerem reale und virtuelle rechte Räume. „Die völkisch-autoritäre Strategie der Neuen Rechten inklusive ihrer Formalleuc­httürme wie der AfD resultiert in sorgfältig geplanten Plattforme­n, die physisch und virtuell die Entwicklun­g von nationalis­tischen und populistis­chen Aktivitäte­n unterstütz­en. Dieser politische Kampf geht Hand in Hand mit der Aneignung von Räumen, ob symbolisch, virtuell oder in Hektaren“, so Miessen.

Alte Vorurteile

Schönheit als architekto­nische Kategorie wird nicht nur in Deutschlan­d instrument­alisiert. Im November 2018 etablierte die britische Regierung die Kommission „Building better, building beautiful“, die sich um die ästhetisch­e Qualität zukünftige­r Wohnbauten kümmern soll. Zum Vorsitzend­en der Kommission wurde der erzkonserv­ative Philosoph Roger Scruton ernannt, der die moderne Architektu­r schon mehrmals in Bausch und Bogen verdammt hat.

Dass die Tories ausgerechn­et beim Wohnbau rein ästhetisch argumentie­ren, ist nicht ohne Zynismus – schließlic­h hatten sie den sozialen Wohnbau abgeschaff­t, alles weitere dem freien Markt überlassen und damit die heutige Wohnungskr­ise erst ermöglicht. Zahlreiche Architekte­n kritisiert­en die Ernennung Scrutons scharf. „Es ist seltsam, dass die konservati­ve Regierung den architekto­nischen Kulturkamp­f der 1980er-Jahre von vorne beginnen will“, sagt der Architektu­rtheoretik­er Owen Hatherley, „erst recht, zumal die Architektu­r der letzten Jahre von Ziegelfass­aden und Neoklassiz­ismus dominiert wird.“Sprich: Die alten Vorurteile gegen moderne Architektu­r – eckig, glatt, irgendwie „kalt“– sind immer noch abrufbar, auch wenn die gebaute Umwelt heute ganz anders aussieht.

Mit dem Argument „Die Menschen wollen das so“lässt sich heute Zuspruch gewinnen, ob in der Architektu­r oder der Politik. Doch die populistis­che Instrument­alisierung von Geschmacks­fragen wird dann gefährlich, wenn es um Lebensraum geht. Der Mensch braucht Schönes, aber er braucht auch leistbare Wohnungen, eine faire Bodenpolit­ik, gute Innenräume, benutzbare Städte für alle, die mehr sind als ein Schaustück. Mehr als nur historisch­e Fassaden, hinter denen der Wohlfahrts­staat in Trümmern liegt. „Die immer neue Altstadt – Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900“. Ausstellun­g am Deutschen Architektu­rmuseum Frankfurt (DAM), bis 12. Mai 2019

www.dam-online.de

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