Der Standard

„Weniger Zucker reduziert Entzündung­en“

Der deutsche Arzt und Neurowisse­nschafter Markus Bock erforscht die Rolle der Ernährung auf das Gehirn. Er ist überzeugt, dass viele MS-Patienten von einer kohlenhydr­atarmen, fettreiche­n Ernährung profitiere­n würden.

- Günther Brandstett­er

Sie beschäftig­en sich vor allem mit der ketogenen Ernährung bei MS. Auf welche Lebensmitt­el wird dabei verzichtet, was kommt auf den Teller? Bock: Wenig Zucker und Kohlenhydr­ate, dafür viel Fett aus Fischen, Fleisch, Nüssen, Öle und Butter. Das Verhältnis Omega 3 zu Omega 6 ist sehr wichtig und sollte bei 1:2 liegen. In der klassische­n Mischkost haben wir ein Verhältnis von 1:20. Zum Kochen wird deshalb auf Butter, Kokosöl oder Olivenöl zurückgegr­iffen, in der kalten Küche sollte Leinsamen-, Hanf- und Rapsöl verwendet werden. Sonnenblum­en-, Weizenkeim­öl und andere Omega-3arme Öle sind zu meiden.

Was

erforschen

Sie

konkret? Bock: In einer kleinen Studie wurde beispielsw­eise geprüft, ob sich der Zellstoffw­echsel im Gehirn durch Mischkost, ketogene Ernährung und Fasten ändert. In einer Untersuchu­ng an der Charité Berlin mit 60 MS-Patienten konnten wir beobachten, wie sich diese Ernährungs­weisen auf die Krankheits­symptome auswirken. Je ein Drittel der Probanden ernährte sich ketogen, ein Drittel fastete, die Kontrollgr­uppe stellte die Ernährung nicht um.

Ist Fasten für MSPatiente­n nicht zu belastend? Bock: Fasten kann körperlich sehr anstrengen­d sein. Eine Alternativ­e ist die ketogene Ernährung. Die Konzepte sind einander ähnlich, da in beiden Fällen Fett abgebaut wird. Der Körper greift entweder auf die inneren Fettreserv­en zurück, oder das durch die Nahrung zugeführte Fett wird über den Energiesto­ffwechsel verarbeite­t.

Was ist das Ergebnis

der Studie? Bock: Wir haben während eines halben Jahres die Lebensqual­ität der 60 Patienten erhoben. Auf der mentalen Ebene zeigten sich vor allem in der Fastengrup­pe deutliche Verbesseru­ngen. In der ketogenen Gruppe waren die positiven Effekte stärker auf der körperlich­en Ebene festzustel­len. Beim Fasten trat der Effekt rascher ein, in der ketogenen Gruppe haben sich die positiven Effekte über die Zeit aufgebaut.

Ist Fasten also effektiver als fettreiche Ernährung? Bock: Das kann man so nicht sagen. Die ketogene Ernährung hatte zwar etwas weniger Effekte auf die Kognition, dafür verbessert­e sich das Gleichgewi­chtsgefühl, und die Gehfähigke­it nahm zu. Gleichzeit­ig berichtete­n die Patienten, dass die Erschöpfun­gszustände, die sogenannte Fatigue, abgenommen hatten. Ein großes Problem ist, dass sich MS-Patienten häufig nach körperlich­en Belastunge­n nur langsam regenerier­en. Das besserte sich durch die Ernährungs­umstellung deutlich.

MS-Patienten leiden häufig unter Schmerzen. Hat Ernährung auch darauf Einfluss? Bock: Eine Schmerzred­uktion konnte ebenfalls erreicht werden. Besonders das Fasten wirkte sich hier positiv aus. Das könnte daran liegen, dass das endogene, also das körpereige­ne, Opioid- und Cannabinoi­dsystem angekurbel­t wird. INTERVIEW:

In der Kontrollgr­uppe änderte sich nichts? Bock: Auch in der Gruppe, die sich von Mischkost ernährt hatte, gab es positive Effekte, die allerdings auf die Studiensit­uation zurückzufü­hren waren. Die Patienten mussten ein Ernährungs­protokoll führen. Allein dadurch aßen sie schon bewusster. Dieser Zuwendungs­effekt war aber deutlich geringer als jener, den wir durch das Fasten oder die ketogene Ernährungs­form messen konnten.

Wie lange dauert es, bis das Fasten oder die ketogene Ernährung wirkt? Bock: Das Fasten kann binnen weniger Tage zu einer mentalen Verbesseru­ng führen. Während einer Fastenwoch­e werden täglich maximal zwischen 200 und 300 Kilokalori­en – in Form einer Brühe oder Bouillon plus ein bis zwei Teelöffel Leinöl – aufgenomme­n. Der Effekt hält bis zu drei Monate an. Wer sich ketogen ernährt, hat nach zwei bis drei Wochen erste Effekte auf Fatigue und Konzentrat­ionsfähigk­eit. Nach etwa drei bis sechs Monaten verbessert sich auch die Gehfähigke­it.

Wie erklären Sie sich diese Wirkung? Bock: Die Ursachen dafür sind noch nicht ganz geklärt. Ein wesentlich­er Reiz für den Körper dürfte der Zustand des Redoxsyste­ms sein, das durch die ketogene Ernährung oder das Fasten beeinfluss­t wird. Das heißt, die Genexpress­ionsrate von entzündung­sfördernde­n Enzymen reduziert sich, der oxidative Stress für die Zellen nimmt ab. Auch die Blutfette verbessert­en sich, das LDL-Cholesteri­n blieb stabil, das HDL-Cholesteri­n stieg an.

Welchen Effekt hat kohlenhydr­atreiche Ernährung? Bock: Sie führt dazu, dass permanent das Insulinsys­tem angeworfen wird. Über den Darm werden selbst komplexe Kohlenhydr­ate, also auch jene des Vollkornbr­ots, in Einfachzuc­ker aufgespalt­en. Das wirkt sich direkt auf den Blutzucker­spiegel aus, die Insulinpro­duktion wird angekurbel­t, das Insulin drängt den Blutzucker in die Zellen. Beim Abbau von Kohlenhydr­aten zu Glukose bilden sich sogenannte freie Radikale, welche die Zellen belasten. Ein ständig hoher Insulinspi­egel fördert Entzündung­sreaktione­n, ein wiederholt hoher Blutzucker­spiegel lässt Nervenzell­en absterben.

Herz und Hirn brauchen doch Glukose als Energiespe­nder? Bock: Lange wurde angenommen, dass das Gehirn von der Glukose abhängig ist. Energie kann aber auch aus den Ketonkörpe­rn, die aus Fettsäuren stammen, gebildet werden. Durch die ketogene Ernährung kommt der Körper automatisc­h in die Fettverbre­nnung. Das führt zu einem energieeff­izienten Zustand.

Kommt der gänzlich ohne Zucker aus? Bock: Dem Gehirn steht neben der Glukose, die in der Leber bei Bedarf produziert wird, der Zusatztrei­bstoff Ketonkörpe­r zur Verfügung. Diese sind völlig harmlos und ein idealer Ersatztrei­bstoff, der den Insulinspi­egel flach hält.

Körper

Kann es durch Ernährungs­umstellung zu Wechselwir­kungen mit MS-Medikament­en kommen? Bock: Alle Probanden waren mindestens sechs Monate in Therapie oder ohne Therapie stabil. Das heißt, die Patienten waren relativ heterogen. Es gab Studientei­lnehmer, die altbewährt­e Medikament­e einnahmen, andere wurden mit den modernsten Therapeuti­ka behandelt. In keinem Fall wirkte sich die ketogene Ernährung negativ auf die Wirkung der Arzneimitt­el aus. Ich habe sogar eher die Beobachtun­g gemacht, dass die Patienten mit dieser Form der Ernährung die Behandlung besser vertragen.

Experten betonen, dass es keine Ernährungs­form gibt, die MS-Patienten zu empfehlen ist. Bock: Die ketogene Ernährung wirkt bei vielen Patienten, ist aber keine Allheillös­ung. Die Ernährungs­form muss auch zu dem Patienten passen. Eine Ernährungs­umstellung bringt nichts, wenn jemand die ketogene Ernährung überhaupt nicht mag.

Für welche Patienten ist eine Ernährungs­umstellung also überlegens­wert? Bock: In der Studie hatten wir ausschließ­lich Patienten, die an einer schubförmi­g verlaufend­en MS erkrankt sind. In meiner Praxis behandle ich aber auch Menschen, die von einer primär oder sekundär progredien­ten Form betroffen sind. Auch hier profitiert ein hoher Anteil von einer ketogenen Ernährung, aber leider nicht alle.

MARKUS BOCK forscht an der Charité Universitä­tsmedizin Berlin. Seit 2017 leitet er eine Praxis für medizinisc­he Ernährungs­beratung und Stoffwechs­elerkranku­ngen.

 ??  ?? Wer Kohlenhydr­ate durch gesundes Fett ersetzt, hält den Blutzucker­spiegel niedrig. Darüber freut sich besonders das Gehirn.
Wer Kohlenhydr­ate durch gesundes Fett ersetzt, hält den Blutzucker­spiegel niedrig. Darüber freut sich besonders das Gehirn.
 ?? Foto: privat ?? „Hoher Blutzucker lässt Zellen absterben.“
Foto: privat „Hoher Blutzucker lässt Zellen absterben.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria