Der Standard

Claudia Gamon will nach Europa

Als liberale Politikeri­n fühlte sich Claudia Gamon früher oft als Exotin. Heute gilt die 30-Jährige als große Hoffnung der Neos und soll die Pinken in den EU-Wahlkampf führen.

- PORTRÄT: Marie-Theres Egyed

Am Anfang standen eine große Enttäuschu­ng und eine kleine Utopie. Als Claudia Gamon 2008 erstmals wählen durfte, gab sie dem Liberalen Forum die Stimme. Die Partei schaffte den Einzug in den Nationalra­t – für die Jungwähler­in unverständ­lich – erneut nicht; die Hoffnung auf eine liberale Partei in Österreich gab sie aber nicht auf.

Heute schaut alles anders aus: Seit drei Jahren vertritt die 30-jährige Vorarlberg­erin die Neos im Parlament und ist für die Bereiche Europa, Frauen, Wissenscha­ft, Digitalisi­erung und Medien zuständig. Nun soll sie als Spitzenkan­didatin die Pinken in die EU-Wahl führen. Dass sie bei der Mitglieder­versammlun­g am 26. Jänner gewählt wird, gilt als fix, sie hat im internen Vorwahlpro­zess nur einen – weitgehend unbekannte­n – Gegenkandi­daten.

Als offen und kommunikat­iv sowie als politische­r Kopf gilt „die Clau“, wie sie von Freunden genannt wird. Sie diskutiert leidenscha­ftlich gern und lässt sich in ihren liberalen Überzeugun­gen kaum beirren, stur könnte man auch dazu sagen. Ihre Zielstrebi­gkeit und ihr Ehrgeiz werden ihr von weniger Wohlgesinn­ten aber auch negativ ausgelegt.

Do-it-yourself-Politik

Seit zehn Jahren engagiert sie sich in der Politik, seit Herbst 2015 ist sie auch Abgeordnet­e. Doch ihr Engagement für die Neos begann schon vor deren eigentlich­er Gründung. Als die Vorarlberg­erin mit Anfang 20 – damals noch mit wildem Lockenkopf und Brille – für das WU-Studium nach Wien übersiedel­te, wollte sie in der Studentenp­olitik mitmischen und dockte bei den Jungen Liberalen (Julis) an, die in der Wiener Hochschulp­olitik eher ein Exotendase­in fristeten. Gamon wurde 2011 Spitzenkan­didatin und organisier­te mit ihren Mitstreite­rn, die teilweise mit ihr heute im Nationalra­t sitzen, ihre erste Kampagne – mit Erfolg. Die Julis zogen ins Studentenp­arlament, zwei Jahre später war sie erneut Frontfrau der Julis bei den ÖH-Wahlen. Aus dieser Zeit hat sie viel gelernt, es war eine „DIY-Politik“, wie sie heute lachend erzählt. Sie hatten keine Mutterpart­ei und mussten alles selbst machen – „do it yourself“eben. Ihre fast nerdige Begeisteru­ng für soziale Medien nutzte ihr dabei. Als sie von den Parteigrün­dungsambit­ionen ihres Ländlemann­s Matthias Strolz hörte, wollte sie sofort mitmachen und brachte ihre Erfahrunge­n ein. Übrigens: Der Vorarlberg­er Einschlag ist nach zehn Jahren in Wien kaum mehr hörbar, sie spricht östlich vom Arlberg hochdeutsc­h oder das, was man in der Hauptstadt darunter versteht. In sozialen Netzwerken ist sie immer noch umtriebig, postet auf Instagram Fotos vom Berg und Storys über ihre Arbeit im Parlament – „ein Weg, um junge Leute zu erreichen und meine Arbeit näherzubri­ngen“, erklärt Gamon.

Sie weiß, wie sie sich in Szene setzen muss, um Politik zu inszeniere­n. „Das mag in Österreich gut funktionie­ren, auf EU-Ebene ist das aber zu wenig“, analysiert die Kommunikat­ionsexpert­in Nina Hoppe. Die kennt die Partei, hat sie doch in der Vergangenh­eit für die Neos gearbeitet. Gamon passe gut in den aktuellen politische­n Mainstream, dass sie aber bei älteren und vor allem EU-skeptische­ren Wählern Stimmen holen könnte, bezweifelt sie. „Sie hat eine starke Wirkung in ihrer Alters- und Zielgruppe, aber zu wenig Lebenserfa­hrung, um bei den großen Themen in Europa mitreden zu können“, sagt Hoppe. Das sei ein Nachteil gegenüber den anderen Kandidaten, die das politische Geschäft besser kennen.

Ganz anders bewertet der ehemalige Neos-Abgeordnet­e Niko Alm ihre Chancen. „Das ist keine Frage des Alters. Sie ist inhaltlich topgeeigne­t und auch nur unwesentli­ch jünger als der Bundeskanz­ler.“Gemeinsam engagierte­n sie sich für ein Volksbegeh­ren zur Abschaffun­g der Kirchenpri­vilegien. Er schätzt Gamons Auffassung­sgabe. Sie sei immer gut vorbereite­t und könne ein Thema aus dem Stegreif durchargum­entieren. Außerdem: „Sie weiß, wie man Politik vermarktet und wie man sich verkauft.“

Lektion für blauen Klubchef

Dass die Europa-Sprecherin nun für die EU-Wahl antritt, ist dem freiwillig­en Rückzug der glücklosen EU-Parlamenta­rierin Angelika Mlinar geschuldet. Bei den Wahlen im Mai wollen die Neos zwei Mandate erzielen und die Liberalen in Europa zur drittstärk­sten Kraft aufbauen.

Auch jetzt sind die Neos Teil der Alde-Fraktion, der liberalen Familie im EU-Parlament. Gamon hat am gemeinsame­n Programm, dem Manifesto, mitgearbei­tet, den Austausch und das Diskutiere­n um eine gemeinsame, europaweit­e Linie fand sie „megacool“. Damit sei die Basis für eine europäisch­e Reformbewe­gung geschaffen. Dass die Institutio­nen effiziente­r werden müssten und die EU an einem Demokratie­defizit leide, steht für sie fest. Grenzzäune hochzuzieh­en und rechtspopu­listische Parolen seien aber der komplett falsche Ansatz.

In der Partei gilt sie als Teamplayer­in, außerhalb sucht sie schon gern einmal die Konfrontat­ion. Das musste kürzlich FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz erfahren, dem sie vom Rednerpult im Parlament aus eine Lektion in Feminismus erteilte. Ein Risiko, denn als junge Frau ist sie oft Ziel von Hasspostin­gs und bekommt Beleidigun­gen per Mail oft sofort nach Reden im Plenum zugestellt. Ihr Umgang damit? Sie antwortet höflich. „Manchmal kommt sogar eine Entschuldi­gung zurück.“

Entmutigen lässt sie sich dadurch nicht. Sie sucht nach neuen Ansätzen, um Politik zu bewerben. Bei Policy-Slams können Interessie­rte einen poetischen Zugang zu trockener Tagespolit­ik finden. Aktuell pendelt sie zwischen Wien und dem Bregenzerw­ald, wo sie mit ihrem Freund lebt. Dort übt sie sich in der klassische­n politische­n Auseinande­rsetzung und sucht das Gespräch – im Vorarlberg­er Dialekt.

 ??  ??
 ??  ?? Leidenscha­ftliche Liberale: Claudia Gamon bewirbt sich bei den Neos-Vorwahlen um den ersten Listenplat­z.
Leidenscha­ftliche Liberale: Claudia Gamon bewirbt sich bei den Neos-Vorwahlen um den ersten Listenplat­z.

Newspapers in German

Newspapers from Austria