Der Standard

Kurz gegen Ludwig

Im Streit rund um die Aufstehgew­ohnheiten von Sozialhilf­eempfänger­n schenken einander Wiens Bürgermeis­ter und der Kanzler weiter ein – die Freiheitli­chen wiederum feiern sich selbst schon als nächste Wahlsieger in der Bundeshaup­tstadt.

- Nina Weißenstei­ner

Im Streit um die gekürzte Mindestsic­herung legten Wiens Bürgermeis­ter Ludwig und Kanzler Kurz nach.

Nicht nur das Wahlvolk, auch die Politik debattiert­e am Wochenende munter weiter über die Aufstehzei­ten im Allgemeine­n und jene von Mindestsic­herungsbez­iehern in der Bundeshaup­tstadt im Besonderen. Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) stellte in Richtung der Koalitions­spitzen klar, dass er eine Diskrediti­erung von Wiens Bevölkerun­g nicht zulasse – die sei nämlich fleißig und brauche sich das nicht gefallen zu lassen.

Bei der Regierungs­klausur waren sowohl Kanzler Sebastian Kurz als auch sein Vize Heinz-Christian Strache gegen Ende der Woche angesichts der Weigerung des rotgrünen Wien, die Reform der Mindestsic­herung umzusetzen, über die dortigen Zustände hergezogen. In Anspielung auf die Empfänger der Sozialhilf­e sagte der ÖVP-Obmann, dass in Österreich­s einziger Millionenm­etropole „in vielen Familien in der Früh nur mehr die Kinder aufstehen, weil die Eltern nicht arbeiten gehen“. Der FPÖ-Chef sprach gar von „einem Förderprog­ramm tschetsche­nischer Großfamili­en“.

Ludwig verwies darauf, dass von den Kürzungen der Koalition vor allem Kinder, Pensionist­en und Behinderte betroffen seien – 60 Prozent der Mindestsic­herungsbez­ieher würden dem Arbeitsmar­kt gar nicht zur Verfügung stehen. Ob sich Wien an den Verfassung­sgerichtsh­of wenden wird, konnte er noch nicht sagen, dazu müsste erst der endgültige Gesetzeste­xt vorliegen.

Blaue Angriffe und Provokatio­nen

Obwohl in der Bundeshaup­tstadt planmäßig erst im Herbst 2020 gewählt werden soll, gossen die Freiheitli­chen umgehend zusätzlich­es Öl ins Feuer: Verkehrsmi­nister Norbert Hofer tat via Ö1 kund, dass es nach dem nächsten Urnengang wohl einen blauen Bürgermeis­ter in Wien geben werde – ein Wechsel „täte der Stadt sehr gut“. Johann Gudenus, geschäftsf­ührender Wiener FPÖ-Obmann und Klubchef im Parlament in Personalun­ion, warf der Stadtregie­rung vor, Zuwanderer­n zu hofieren: „Unser Sozialsyst­em auszunutze­n kann künftig nicht mehr geduldet werden“, erklärte er, es sei „daher an der Zeit, die rot-grüne Fremdherrs­chaft über Wien zu beenden.“

Rote Zitate und türkise Kalkulatio­nen

In der sonntäglic­hen ORF- Pressestun­de rückte dann Kanzler Kurz mit einem vier Monate alten Zitat von Wiens Bildungsst­adtrat Jürgen Czernohors­zky (SPÖ) an. Im September hatte dieser in der Krone kritisiert, dass der Bund die Mittel für Brennpunkt­schulen gestrichen habe – und wortwörtli­ch erklärt, dass es dort Schüler gäbe, „die die Sprache nicht ordentlich können und daheim keine Unterstütz­ung bekommen, vielleicht sogar die Einzigen sind, die in der Früh aufstehen“.

Dazu bekräftigt­e Kurz seine Kritik an Wien: Wenn sich die SPÖ „ertappt“fühle, dann werde statt einer Sachdiskus­sion eine „Welle der Empörung“erzeugt. Und schon dekliniert­e der Kanzler weitere Problemzah­len der Bundeshaup­tstadt herunter: Die Arbeitslos­enquote liege dort bei 13 Prozent, 15.000 Menschen seien obdachlos, jeder zweite Mindestsic­herungsbez­ieher (von insgesamt 130.746 mit Stand Dezember 2018, Anm.) kein österreich­ischer Staatsbürg­er. Ein Verkäufer mit drei Kindern bekomme derzeit inklusive aller Leistungen 2500 Euro netto im Monat, rechnete Kurz vor. Eine Flüchtling­sfamilie mit drei Kindern, in der niemand arbeite, erhalte in Wien dagegen 2660 Euro Mindestsic­herung – das sei „Gift für die Gesellscha­ft“.

Dafür verteidigt­e der Kanzler die Caritas gegen die anhaltende­n Attacken seines Koalitions­partners: „Von der aggressive­n Wortwahl“halte er „nichts“, sagte Kurz. Die Kritik des Caritas-Präsidente­n, dass es in Mehrkindfa­milien ab dem dritten Kind nur noch 43 Euro Zuschuss geben soll, ließ er jedoch an sich abprallen.

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Bürgermeis­ter Ludwig lobt den Wiener Fleiß und schimpft auf die soziale Kälte der Koalition, Kanzler Kurz kontert mit alten Zitaten und neuen Zahlen aus der Hauptstadt.
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