Der Standard

Kunst mit heikler Herkunft

Die Erforschun­g von Provenienz­en wird Museen noch lange beschäftig­en, insbesonde­re im Hinblick auf die Kolonialis­musdebatte. Aktuell wird die Restitutio­n eines chinesisch­en Objektes empfohlen. Seine Herkunft bleibt ungeklärt.

- Olga Kronsteine­r

An Arbeit wird es den Provenienz­forscherin­nen und -forschern angesichts der laufenden Kolonialis­musdebatte künftig nicht mangeln. Die Rekonstruk­tion der Herkunft von Objekten ist von hoher Relevanz. Die bisherigen Erfahrungs­werte werden einer fundierten Herangehen­sweise fernab politische­r Phrasendre­schereien jedenfalls dienlich sein. Schließlic­h soll es um eine profession­elle Handhabung und nicht um Lippenbeke­nntnisse gehen.

Die Auseinande­rsetzung mit dem Thema Kolonialis­mus begann im Museumsumf­eld bereits Anfang der 1990er-Jahre. Allerdings geriet sie ins Hintertref­fen, da die Beutezüge der Nationalso­zialisten die öffentlich­e Diskussion beherrscht­en und deren Auf- arbeitung Priorität hatte: Aus Respekt vor den Opfern des Holocausts und deren Nachfahren galt es sich dieser historisch­en Verantwort­ung zu stellen.

Nun steht das nächste Kapitel an, das übrigens nicht nur ehemalige Kolonialmä­chte betrifft, sondern auch Privatsamm­ler, den Kunsthande­l und Museumsbes­tände weltweit. Europa fällt hier eine besondere Rolle zu, konkret im Hinblick auf seine historisch­e Sammlungsf­orm der Kunstkamme­r. Diese bildet seit dem 16. Jahrhunder­t das ideelle Fundament nachfolgen­der musealer Sammlungen des 19. Jahrhunder­ts, insbesonde­re der Museen für angewandte Kunst, wie Kunsthisto­rikerin Silke Reuther betont.

Die Leiterin der Abteilung Provenienz­forschung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe ist eine der Autorinnen des jüngst vom Deutschen Museumsbun­d publiziert­en Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsg­ut aus kolonialen Kontexten. Denn auf fachlicher Ebene sollen nicht allein formale Kolonialhe­rrschaften die Grundlage für Restitutio­n bilden. Der Kontext muss sowohl zeitlich als auch geografisc­h breiter betrachtet werden.

Etwa im Falle des Sammelgebi­ets Asiatika, beispielsw­eise bei Objekten aus China. Denn dort waren im Laufe der Jahrhunder­te gebietswei­se ebenfalls Kolonialhe­rren aktiv: darunter die Niederland­e, Frankreich, Russland oder das Deutsche Reich. In diesen Phasen gelangten immer wieder Grabbeigab­en, Antiken oder kaiserlich­e Porzellane nach Europa.

Anfang des 20. Jahrhunder­ts stand China als Folge des Boxeraufst­andes gegen die „Vereinigte­n acht Staaten“(Deutsches Reich, Frankreich, Großbritan­nien, Ita- lien, Japan, Österreich-Ungarn, USA, Russland) vor dem wirtschaft­lichen Zusammenbr­uch. Damals gelangten ungeahnte Mengen an Asiatika aus Privathäus­ern und Palästen auf den Markt, in Museen und Privatsamm­lungen. Bis nach Österreich, wo renommiert­e Sammlungen begründet wurden, wie jene des Asiatikahä­ndlers Anton Exner, die er 1944 als Schenkung („auf den Todesfall“) dem Museum für angewandte Kunst (Mak) überließ.

Rund 3700 Objekte dieser Herkunft befinden sich noch heute im Mak, 177 weitere im Weltmuseum. Eines dieser Objekte, der gusseisern­e Kopf eines Würdenträg­ers aus dem MAK-Bestand, war nun Gegenstand akribische­r Provenienz­forschung. Am Freitag empfahl der Beirat die Restitutio­n an die Nachfahren eines gewissen „Dr. Ernst Bunzl“.

Dieser war einst als Rechtsanwa­lt in Wien tätig und mit Helene, Tochter des Industriel­len Friedrich („Fritz“) Waerndorfe­r, verheirate­t. Nach dem „Anschluss“drohte Ernst Bunzl aufgrund seiner jüdischen Herkunft ein Berufsverb­ot. Er flüchtete vor dem NS-Regime über Frankreich nach Brasilien.

Entzogenes Eigentum

Das bei der Spedition Hausner eingelager­te Umzugsgut blieb im Zolllager in Pantin nordöstlic­h von Paris hängen, wurde im Juni 1940 von der deutschen Besatzung beschlagna­hmt und nach Deutschlan­d transporti­ert. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich Bunzl vergeblich um die Auffindung seines entzogenen Eigentums bemüht.

Wann und unter welchen Umständen Anton Exner das Stück erwarb, ist unbekannt. Die Herkunft aus der Sammlung Ernst Bunzls allerdings über einen historisch­en Ausstellun­gskatalog dokumentie­rt: 1930 gastierte das gusseisern­e Objekt unter namentlich­er Nennung des Leihgebers bei einer Ausstellun­g im Österreich­ischen Museum für Kunst und Industrie (heute Mak). Allerdings: Wann und wie der Kopf eines Würdenträg­ers in den Besitz Bunzls gelangte, blieb im Dunkeln. Das Objekt datiert aus der Song-Dynastie (960–1279 n. Chr.), die vollständi­ge Rekonstruk­tion seiner Herkunft wäre ein Mammutproj­ekt.

 ?? Foto: Archiv Erben ?? War Besitzer der Skulptur: Sammler Ernst Bunzl.
Foto: Archiv Erben War Besitzer der Skulptur: Sammler Ernst Bunzl.

Newspapers in German

Newspapers from Austria