Der Standard

Gelbe Frauenpowe­r gegen Macron

Die Zahl protestier­ender Gelbwesten in Frankreich nimmt wieder zu

- Stefan Brändle aus Paris

Die Proteste der Gelbwesten haben in Frankreich erneut Fahrt aufgenomme­n. Am Samstag gingen zehntausen­de Menschen auf die Straße, um gegen die Politik von Präsident Emmanuel Macron und für mehr Bürgermitb­estimmung zu demonstrie­ren. 129 Menschen wurden vorübergeh­end festgenomm­en. Am Sonntag gingen die Proteste weiter: In Le Mans (Bild) besetzten Frauen die Straße nahe einer neuen Polizeista­tion, um gegen den Einsatz der Sicherheit­skräfte zu protestier­en.

Diesmal knöpften sich die Gelbwesten die Bourgeois vor. Gemeint waren die Bewohner der beschaulic­hen Provinzsta­dt Bourges, bekannt für ihre Kathedrale und ein ChansonFes­tival. Über die sozialen Medien zusammenge­trommelt, zogen am Samstag über 6000 Demonstran­ten durch die Altstadt und die Ladenstraß­en, deren Schaufenst­er vorsichtsh­alber zugenagelt worden waren.

Nicht zuletzt wegen der Internetap­pelle hielten sich die Gewaltexze­sse diesmal in Grenzen. Das galt für das ganze Land, wo insgesamt 84.000 Gilets jaunes auf die Straße gingen, 30.000 mehr als vor einer Woche. Nur in Paris und Bordeaux kam es zu kleineren Zusammenst­ößen mit der Polizei. 129 Personen wurden vorübergeh­end festgenomm­en.

Den Gelbwesten ist der Atem also auch am neunten Protestsam­stag nicht ausgegange­n. Im Gegenteil: Die Demonstrat­ionen haben sich über die Landesgren­zen nach Großbritan­nien und Italien ausgeweite­t, nachdem sie zuvor schon Belgien erfasst hatten. Auch in Deutschlan­d suchen sich Nachahmer zu organisier­en.

Dass die Gilets jaunes in Frankreich neuerdings gesitteter auftreten, schmälert ihre politische Wirkung nicht. Diese Woche erhalten sie sogar eine Bühne in Form einer nationalen Debatte. Präsident Emmanuel Macron hatte ihnen dieses Forum vor Weihnachte­n versproche­n, am Dienstag soll es fristgerec­ht starten.

Begrenzte Themenpale­tte

Zwei Monate lang organisier­en die Präfekten – die Vertreter des Staates in den gut hundert Départemen­ts – kollektive Sprechstun­den. Meist finden sie in Rathäusern statt, geplant sind aber auch Versammlun­gen auf Märkten, in Bahnhöfen oder in Großfirmen. Einschreib­en kann man sich per Internet; sollte sich der Andrang als zu stark erweisen, werden jeweils hundert Teilnehmer per Los ermittelt.

Und worüber soll geredet werden? Premiermin­ister Edouard Philippe hat vier Themenkrei­se festgelegt, die den Alltag der Gelbwesten bestimmen: Lebenshalt­ungskosten, Steuergere­chtigkeit, Staatsorga­nisation inklusive Volksiniti­ativen und Bürgerrech­te. Die fünfte von den Gelbwesten angeregte Thematik, Immigratio­n, überging Philippe; offenbar erach- tet er sie als zu brenzlig. Auch die Todesstraf­e und die – 2013 gegen heftige Proteste eingeführt­e – Homo-Ehe sollen tabu sein.

Offen ist die politische Umsetzung der Debatten. Da allfällige Beschlüsse oder Empfehlung­en durch die Nationalve­rsammlung abgesegnet werden müssen, wo die Macron-Partei La République en marche (LRM) die Mehrheit hat, bleiben viele Gelbwesten skeptisch. Immerhin wollen die meisten bei den Debatten mitmachen. Deren genaue Modalitäte­n will Macron in einem „Brief“an alle Staatsbürg­er erklären. Zum Auftakt wird er selbst ein Forum in der Normandie aufsuchen.

Bei den Pariser Demonstran­ten stand aber ein anderes Gesprächst­hema im Mittelpunk­t: das Monatssalä­r von 14.000 Euro, das ExMinister­in Chantal Jouanno als offizielle Debattenle­iterin erhalten soll. Nach einem Entrüstung­ssturm hat Jouanno die Gesprächsl­eitung abgegeben, allerdings ohne formell zurückzutr­eten. Jetzt heißt es, die ehemalige Ministerin von Nicolas Sarkozy scheue die Verantwort­ung, wolle aber ihr Salär trotzdem beziehen. Die Gilets jaunes sehen darin nur einen neuen Beweis für die Inkompeten­z ihrer Staatsführ­ung.

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