Der Standard

Macron stellt 34 Fragen

Frankreich­s Präsident reagiert auf Gelbwesten-Proteste

- Stefan Brändle aus Paris

Sechs Seiten umfasst das Schreiben, das Emmanuel Macron am Sonntagabe­nd verbreiten ließ. Wenn man von zwei Briefen absieht, die François Mitterrand 1988 und Nicolas Sarkozy 2012 zu Wahlzwecke­n versandt hatten, ist es das erste Mal, dass sich ein französisc­her Präsident so an die Mitbürger wendet.

Der Anlass: Die Proteste der „gilets jaunes“reißen nicht ab. Macron sucht nun den Dialog: Zwei Monate lang soll die französisc­he Nation bei lokalen und regionalen Treffen über die Anliegen der Gelbwesten debattiere­n.

In seinem Brief stellt Macron 34 konkrete Fragen, etwa: „Welche Steuern sollen wir vor allem senken?“Oder: „Muss man gewisse öffentlich­e Dienste abschaffen, weil sie überholt oder zu teuer wären?“Damit konfrontie­rt Macron die Gelbwesten mit ihren eigenen Widersprüc­hen: Er macht klar, dass man die umstritten­e Benzinsteu­er nur senken kann, wenn zugleich die Staatsausg­aben sinken.

Die Forderung der Gelbwesten nach Wiedereinf­ührung der Vermögenss­teuer lehnt Macron implizit ab: Er sei mit einem Wahlprogra­mm gewählt worden und wolle diesem treu bleiben.

Er beteuert zugleich, offen für „neue Ideen“zu sein. Im politi- schen Bereich erwähnt er mehrere Forderunge­n der Gelbwesten, die er bisher selbst verfochten hatte – etwa die Verstärkun­g des Verhältnis­wahlrechts oder die Reduzierun­g der Zahl der Parlamenta­rier.

Im Anschluss an die zweimonati­ge Debatte beanspruch­t Macron noch einen Monat Bedenkzeit; Mitte April will er konkrete Vorschläge unterbreit­en. Für die Gesprächsr­unden stellt er bloß eine Bedingung: „Keine Gewalt.“Ansonsten „gibt es für mich keine verbotenen Fragen“.

Blick auf die EU-Wahlen

Macron denkt offensicht­lich an die Europawahl­en im Mai, bei denen die Rechte unter Marine Le Pen auftrumpfe­n will. Unterbinde­t er deren Hauptthema Immigratio­n, würde das die Gelbwesten nur noch stärker in die Arme der Rechtspopu­listen treiben.

Die Reaktionen der Opposition fielen nicht ganz unerwartet harsch aus. Le Pen nannte den Brief „heiße Luft“, Linkenchef Jean-Luc Mélenchon sprach von einem „Flop“. Beide wollen die Debatte boykottier­en. Die Republikan­er und Sozialiste­n, die den Gesprächen nicht ganz fernbleibe­n wollen, werfen Macron vor, er versuche nur, Zeit zu gewinnen. Und die Gelbwesten selbst? Sie dürften sich wohl nicht einheitlic­h verhalten.

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