Macron stellt 34 Fragen
Frankreichs Präsident reagiert auf Gelbwesten-Proteste
Sechs Seiten umfasst das Schreiben, das Emmanuel Macron am Sonntagabend verbreiten ließ. Wenn man von zwei Briefen absieht, die François Mitterrand 1988 und Nicolas Sarkozy 2012 zu Wahlzwecken versandt hatten, ist es das erste Mal, dass sich ein französischer Präsident so an die Mitbürger wendet.
Der Anlass: Die Proteste der „gilets jaunes“reißen nicht ab. Macron sucht nun den Dialog: Zwei Monate lang soll die französische Nation bei lokalen und regionalen Treffen über die Anliegen der Gelbwesten debattieren.
In seinem Brief stellt Macron 34 konkrete Fragen, etwa: „Welche Steuern sollen wir vor allem senken?“Oder: „Muss man gewisse öffentliche Dienste abschaffen, weil sie überholt oder zu teuer wären?“Damit konfrontiert Macron die Gelbwesten mit ihren eigenen Widersprüchen: Er macht klar, dass man die umstrittene Benzinsteuer nur senken kann, wenn zugleich die Staatsausgaben sinken.
Die Forderung der Gelbwesten nach Wiedereinführung der Vermögenssteuer lehnt Macron implizit ab: Er sei mit einem Wahlprogramm gewählt worden und wolle diesem treu bleiben.
Er beteuert zugleich, offen für „neue Ideen“zu sein. Im politi- schen Bereich erwähnt er mehrere Forderungen der Gelbwesten, die er bisher selbst verfochten hatte – etwa die Verstärkung des Verhältniswahlrechts oder die Reduzierung der Zahl der Parlamentarier.
Im Anschluss an die zweimonatige Debatte beansprucht Macron noch einen Monat Bedenkzeit; Mitte April will er konkrete Vorschläge unterbreiten. Für die Gesprächsrunden stellt er bloß eine Bedingung: „Keine Gewalt.“Ansonsten „gibt es für mich keine verbotenen Fragen“.
Blick auf die EU-Wahlen
Macron denkt offensichtlich an die Europawahlen im Mai, bei denen die Rechte unter Marine Le Pen auftrumpfen will. Unterbindet er deren Hauptthema Immigration, würde das die Gelbwesten nur noch stärker in die Arme der Rechtspopulisten treiben.
Die Reaktionen der Opposition fielen nicht ganz unerwartet harsch aus. Le Pen nannte den Brief „heiße Luft“, Linkenchef Jean-Luc Mélenchon sprach von einem „Flop“. Beide wollen die Debatte boykottieren. Die Republikaner und Sozialisten, die den Gesprächen nicht ganz fernbleiben wollen, werfen Macron vor, er versuche nur, Zeit zu gewinnen. Und die Gelbwesten selbst? Sie dürften sich wohl nicht einheitlich verhalten.