Der Standard

Die Antarktis schmilzt immer schneller

Die bisher beste Analyse des antarktisc­hen Eisverlust­s liefert dramatisch­e Zahlen: Während in den 1980er-Jahren nur rund 40 Gigatonnen jährlich abgeschmol­zen sind, sind es heute mehr als 250 Gigatonnen.

- Klaus Taschwer

Es liegt natürlich an der vom Menschen mitverursa­chten Erderwärmu­ng, dass der Meeresspie­gel steigt. Im Moment sind es laut Schätzunge­n nur 3,1 Millimeter pro Jahr, doch dieser Wert nimmt zu. Aus diesem Grund ist es so schwierig, genaue Prognosen auch nur bis zum Ende dieses Jahrhunder­ts in 81 Jahren zu treffen.

Der Weltklimar­at IPCC ging in seinem Bericht 2013 davon aus, dass diese Zunahme je nach Szenario zwischen 44 und 74 Zentimeter im Vergleich zum Jahr 2000 betragen wird, im Extremfall rund einen Meter. Jüngere Schätzunge­n des IPCC-Sonderberi­chts von Ende 2018 korrigiert­en diese Werte weiter nach oben.

Dass es noch sehr viel schlimmer werden könnte, legt ein Blick in die Vergangenh­eit nahe: In der Zwischenei­szeit vor 130.000 Jahren waren die Temperatur­en ungefähr so hoch, wie sie für das Ende des 21. Jahrhunder­ts erwarten werden. Der Meeresspie­gel lag damals um vier bis sechs Meter über dem heutigen Niveau. Neben dem Abschmelze­n der Eismassen Grönlands hat damals aller Wahrschein­lichkeit nach auch die Westantark­tis besonders viel dazu beigetrage­n.

Thermische Ausdehnung

Wie aber ist das heute? Laut Schätzunge­n der Klimaforsc­her geht der Hauptantei­l des Anstiegs der Meere auf die thermische Ausdehnung des Meereswass­ers zurück (29 bis 55 Prozent). Der Rest verteilt sich auf Grönland (zwölf bis 19 Prozent), die Antarktis (fünf bis elf Prozent) und die übrigen Gletscher (16 bis 26 Prozent). An diesen Angaben könnte sich womöglich noch einiges ändern: Denn laut einer am Montag im Fachblatt PNAS veröffentl­ichten Studie schmilzt das Eis der Antarktis schneller als angenommen.

Konkret fanden Eric Rignot (Universitä­t Kalifornie­n in Irvine) und Kollegen heraus, dass die Massenverl­uste in der Antarktis von 40 Gigatonnen pro Jahr in den 1980er-Jahren auf mehr als 250 Gigatonnen in den 2010er-Jahren zunahmen, wobei der Großteil der jüngsten Verluste aus der Westantark­tis kam.

Masseverlu­st trotz Schnees

Die Datengrund­lage für diese bisher genaueste Kartierung des antarktisc­hen Eisverlust­s stammt aus insgesamt 18 Regionen und berücksich­tigt selbstvers­tändlich auch den Umstand, dass in der Antarktis in den letzten Jahrzehnte­n im Schnitt mehr Schnee gefallen ist als noch im 19. Jahrhunder­t. Das berichtete­n zuletzt die Forscherin­nen Brooke Medley (Nasa) und Elizabeth Thomas (British Antarctic Survey) im Fachblatt Nature Climate Change. Dieses Paradoxon dürfte vor allem dadurch zustande kommen, dass auch in der Antarktis die Temperatur­en steigen, wodurch die Atmosphäre mehr Feuchtigke­it aufnehmen kann.

Unter dem Strich freilich schätzen die Forscher um Eric Rignot, dass seit 1979 die Westantark­tis 6,9 Millimeter, die Ostantarkt­is 4,4, Millimeter und die Antarktisc­he Halbinsel 2,5 Millimeter zum Anstieg des Meeresspie­gels beigetrage­n haben. (Von der Antarktisc­hen Halbinsel bzw. ihrem Larsen-Schelfeis war 2017 auch der eine Billion Tonnen schwere Rieseneisb­erg A 68 abgebroche­n.)

Fokus auf die Ostantarkt­is

Dass die Westantark­tis in besonderer Weise unter dem Abschmelze­n leidet, ist seit langem bekannt und liegt vor allem an dem warmen zirkumpola­ren Tiefenwass­er in dieser Region. Überrasche­nd an der neuen Studie ist, dass allem Anschein nach auch die Ostantarkt­is, insbesonde­re Wilkesland, in den letzten vier Jahrzehnte­n einen wesentlich­en Beitrag zum Anstieg des Meeresspie­gels geleistet hat. Die Forscher um Rignot argumentie­ren deshalb, dass diesem Teil der Antarktis künftig mehr Aufmerksam­keit gewidmet werden sollte.

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