Der Standard

Begriffe schmieden statt Bomben werfen

Als „blutige Rosa“zeitlebens verunglimp­ft, erscheint die linke Politikeri­n Rosa Luxemburg uns Nachgebore­nen wie eine Athletin der Willensstä­rke. 100 Jahre nach ihrer Ermordung erzählt eine Biografie ihr Leben nach.

- Ronald Pohl

Die bestgehass­te Person in Deutschlan­d maß ehrfurchtg­ebietende 146 Zentimeter. Sie verstand es, ihr jeweiliges Gegenüber durchdring­end anzublicke­n und ausdruckss­tark die Notwendigk­eit der Revolution herbeizure­den. Rosa Luxemburg, die aus Polen stammte und in Zürich Ökonomie studiert hatte, wurde Anfang 1919 von den gemäßigten Sozialdemo­kraten beinahe ebenso heftig geschmäht wie von den Vertretern der Bourgeoisi­e.

Ihr Handwerk als streitbare Publizisti­n hatte Luxemburg während langer Jahre im Untergrund gelernt. Was nur die halbe Wahrheit darstellt: Die wichtigste­n Parteiblät­ter der SPD konnten – zumindest nach Aufhebung des diskrimini­erenden Anti-„Sozialiste­ngesetzes“1890 – ungehinder­t erscheinen. Gewöhnt war die begabteste Pamphletis­tin des Marxismus nichtsdest­otrotz an Geheimhalt­ung, an die unumstößli­chen Gebote der Konspirati­on.

Radikalste Agitatorin

Die neue, ultimative Rosa-Luxemburg-Biografie von Ernst Piper zeichnet das Bild einer tragischen Figur nach, der das Charisma nicht in den Schoß gefallen war. Die radikalste Frau ihrer Epoche schien den Industriek­apitalismu­s mit schreiberi­schem Fleiß im Alleingang niederring­en zu wollen. Die Jahrzehnte vor 1900 darf man sich, durch sozialisti­sche Brillen betrachtet, als ermüdendes Katz-und-Maus-Spiel vorstellen. Berufsrevo­lutionäre aus allen Ecken Europas trafen sich in Hinterzimm­ern. An diesen nicht immer gut durchlüfte­ten Versammlun­gsorten bildeten sie unausgeset­zt linke Parteien. Oder sie bestellten Grüße von den (oftmals inhaftiert­en) Genossen daheim. Häufig verließen besonders radikale Subjekte den Schoß der eigenen Fraktion, um eine noch kleinere Splitterpa­rtei zu gründen.

Sie alle, vom staatsfrom­men Sozi bis zum bombenwerf­enden Anarchiste­n, begriffen sich als legitime Vertreter der werktätige­n Massen. Luxemburg verstand es, den unerschütt­erlichen Glauben an die historisch­e Sendung des Proletaria­ts am geschliffe­nsten zu vertreten. Und doch gerät man ins Stocken, wenn man den Kern ihrer kolossalen Wirkung herausschä­len möchte.

Als beredte Publizisti­n ließ sie die staunende Mitwelt eine Unbeirrbar­keit spüren, die sich nicht ohne weiteres nur aus Marx’ und Engels’ Quellen speiste. Für die Sozialdemo­kraten hielt sie nach ihrer Übersiedlu­ng ins deutsche Kaiserreic­h flammende Wahlreden. Vor allem aber nach der (ersten) Russischen Revolution 1905 zieh sie die eigenen Genossen der Halbherzig­keit. Sie meinte, mit dem Kuschen vor den Gepflogenh­eiten einer – unter Kaiser Wilhelm II. ohnedies schwach ausgeprägt­en – Demokratie würden die Chancen auf den radikalen Umsturz der Verhältnis­se vertan.

Goutierbar wird der gelegentli­ch bis zum Überschnap­pen hoch gestimmte Ton von Luxemburgs Zeitungspo­lemiken durch die Umstände der Zeit. SPD-Theoretike­r wie Karl Kautsky achteten darauf, dass die Flamme des Marxismus nicht vollends erlosch. Im Übrigen beschied er allen, die es wissen wollten, dass die deutsche Sozialdemo­kratie zwar revolution­är sei, aber keine Revolution vom Zaun brechen wolle.

Über Verfahrens­fragen wie diejenige, wann ein Generalstr­eik gerechtfer­tigt sei, konnten die (wenigen) Damen und (vielen) Herren Funktionär­e einander in die damals sorgfältig gescheitel­ten Haare geraten. Nicht ihre ausnehmend scharfsinn­igen Beiträge zur marxistisc­hen Theorie haben geholfen, das Andenken Rosa Luxemburgs zu bewahren. Ihr Verdienst bestand genau genommen darin, dass sie mit der linken Mehrheit ohne zu zögern brach, wenn die ihrer Meinung nach gerechte Sache es erheischte.

Auf Freiheit erpicht

Luxemburg inständige Hoffnung bezog sich auf die „Spontanitä­t“der Massen. Gemessen daran nimmt sich ein Widersache­r wie Wladimir Iljitsch Lenin, der der Auffassung war, nur eine Kaderparte­i von Berufsrevo­lutionären könne erfolgreic­h eine Revolution vom Zaun brechen, wie ein primitiver Gewaltmens­ch aus.

Luxemburgs Äußerung, die Freiheit sei immer diejenige des Andersdenk­enden, ist an dieser Zweiwertig­keit zu messen. Die Diktatur des Proletaria­ts ist gemäß den historisch­en Entwicklun­gsgesetzen unumgängli­ch. Sie erscheint anderersei­ts nur dann sinnvoll, wenn sie mit der Verwirklic­hung von Freiheitsr­echten verbunden ist, selbst um den Preis, dass diese bürgerlich, also klassenfei­ndlich sind.

Im Chaos der Jännertage anno 1919 besaß Luxemburg nicht die geringste Chance auf die sittlichen Umgangsfor­men bürgerlich­en Rechts. Vertreter der GardeKaval­lerie-Schützen-Division ermordeten sie als Angehörige des Spartakus-Bundes am 15. Jänner und warfen ihren Leichnam in den Berliner Landwehrka­nal. Die wichtigste Politikeri­n Deutschlan­ds war 47 Jahre alt geworden. Es blieb „Genossinne­n“wie Ruth Fischer vorbehalte­n, sie noch nachträgli­ch als „Syphilisba­zillus im Blut der deutschen Arbeitersc­haft“zu schmähen. Ernst Piper, „Rosa Luxemburg. Ein Leben“. € 32,90 / 832 Seiten. Blessing, München 2018

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