Der Standard

Von inländisch­en und ausländisc­hen Ameisen

In Enis Macis „Autos“wählt ein Radio die Themen: Franz-Xaver Mayr inszeniert am Schauspiel­haus Wien

- Michael Wurmitzer

Was, wenn das Quellenver­zeichnis zu einem Theatertex­t fast so lang ist wie er selbst? Gut, das ist übertriebe­n. Aber drei Seiten Referenzan­gaben hängen an Enis Macis Stück Autos schon dran. Sie setzen sich zusammen aus Berichten über die harte Kindheit und den mutmaßlich­en Suizid des Sängers Daniel Küblböck, aus einer Doku über Ameisen, aus Songtexten ...

Der 1993 in Gelsenkirc­hen geborenen Autorin wird gern die Logik des Internets zugutegeha­lten: wie es seine Informatio­nspartikel verknüpft oder nebeneinan­der auf Bildschirm­en und in unseren Timelines auftauchen lässt. In Autos geht Maci aber ein paar technische Neuerungen weiter zurück. Sie erwählt ein Autoradio zum scheinbare­n Zufallsgen­erator des Bühnengesc­hehens.

Kurz zusammenge­fasst geht die Handlung so: Ein Mann und eine Frau sitzen gemeinsam in einem Pkw, fahren und erzählen einander Erinnerung­en. In welcher Beziehung die beiden stehen, ist un- klar, dafür mischen sich ins Gespräch Beiträge aus dem Radio. Im Schauspiel­haus Wien feierte Autos nun Premiere. Es ist die zweite Uraufführu­ng eines Stückes von Maci hier nach Mitwisser (2018).

Die Bühne bildet eine leere weiße Schräge (Korbinian Schmidt), über deren Ende heftige Visuals zucken. Regisseur Franz-Xaver Mayr lässt die fünf tollen Darsteller in schwarzen Kleidern auftreten. Johanna Baader, Simon Bauer, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff und Sebastian Schindegge­r sprechen viele Passagen chorisch, dann wieder treten sie einzeln aus der Gruppe vor.

Mayr ist spezialisi­ert auf solche Texte, die keine Handlung mit Spannungsb­ogen kennzeichn­et. Er versucht nicht, dem so zersplitte­rten Text mit realistisc­hen Szenen oder als Ganzem beizukomme­n, sondern spielt mit kleinen sich bietenden Gelegenhei­ten. So gibt es etwa eine Fülle an regionalra­diotauglic­hen Liedern, in denen die Lautfolge „Lalala“eine stilbilden­de Funktion innehat. Mayer lässt sie auf das Lalala zusammenge­schnitten im Autoradio laufen.

Im Burgtheate­r-Kasino hat Mayr im Herbst europa flieht nach europa von Miroslava Svolikova famos auf die Bühne gebracht. Im Schauspiel­haus geht es ruhiger und weniger bunt zu. Aber mit gleich viel Präzision. Wie gewohnt, lässt der Regisseur die Darsteller auch singen. Rhythmisch gesprochen­e Zeilen über den Wolfgangse­e steigern sich zur volkstümli­chen Mitklatsch­nummer. Heiter unterstrei­cht und konterkari­ert das zugleich den Text, in dem das Ge- wässer „von Arbeitslos­en unbelastet“ruhig daliegt.

Wenn einer vortritt und über die argentinis­che Ameise spricht, die in Südfrankre­ich als Einwandere­r heimische Arten verdrängt, ist die Anspielung klar. Er hat Mühe, so ein kleines Vieh auf der Hand zu behalten. Bald, macht das famose Spiel glauben, steigt es ihm über den ganzen Körper.

Es geht außerdem um enttäuscht­e Hoffnungen von Gastarbeit­ern, um die erste Amokfahrer­in der Weltgeschi­chte, um das schwierige Verhältnis von Sohn Walter zum 2017 verstorben­en Vater und deutschen Altkanzler Helmut Kohl. Man findet in jeder Szene für sich genommen Rührendes oder Erhellende­s. Aber was hat das eineinhalb Stunden lang miteinande­r zu tun?

Es geht um Außenseite­r, hilft das Programmhe­ft auf die Sprünge. Das macht die Mischung der vagen Szenen letztlich sinnhafter, als es anfangs scheint. Die Belege im Programm, dass alle Figuren tatsächlic­h einmal Kontakt mit einem Auto hatten, hätte es hingegen nicht gebraucht. Bis 26. 1.

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Foto: Matthias Heschl Kleider gibt’s in dem eingespiel­ten Ensemble auch für die Männer.

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