Der Standard

Die Zerstörer

-

Anlässlich der Erinnerung an die Eröffnung der Pariser Friedensko­nferenz vor hundert Jahren wird die bittere Bemerkung des großen Ökonomen John Maynard Keynes, damals Mitglied der britischen Delegation, über eine akute „Universali­smusmüdigk­eit“zitiert. Vor einer schicksalh­aften Brexit-Abstimmung im Londoner Unterhaus mit unwägbaren politische­n und wirtschaft­lichen Folgen für Europa und vor allem für Großbritan­nien spricht man im Allgemeine­n über „Europamüdi­gkeit“. s geht nach der durch die „Schlafwand­ler“(Christophe­r Clark) verursacht­en „Urkatastro­phe“auch heute in der internatio­nalen Politik weniger darum, der durch den zügellosen Nationalis­mus ausgelöste­n Verbrechen 1939–1945 zu gedenken als sie zu vergessen. Die Europäer verdanken den Frieden und den Wohlstand den großen christdemo­kratischen und sozialdemo­kratischen Baumeister­n nach 1945 und den Gründungsv­ätern des europäisch­en Friedenspr­ojekts, unterstütz­t von weitsichti­gen US-Präsidente­n. Sie alle hatten aus dem Aufstieg der Diktaturen Hitlers und Mussolinis gelernt.

Heute erleben wir wieder das Zeitalter der Zerstörer. Das politische Weltbild, in dem die Nachkriegs­generation­en gelebt haben, bricht zusammen, absolute Gewissheit­en schmelzen wie Schnee in der Sonne, weltweit werden Tabus gebrochen. Diverse Meinungsum­fragen zeigen die wachsende Anziehungs­kraft des autoritäre­n Denkens und den Hang der Befragten zu einem „starken Mann“. Die beherrsche­nden Figuren in der Weltpoliti­k – Trump, Putin, Xi

EJinping und ihre kleineren Kopien wie Orbán und Erdogan – verachten die liberale Demokratie und streben mit unterschie­dlichen Mitteln eine absolute Kontrolle über die Justiz und die Medien, über die politische Entscheidu­ngsbildung und die wirtschaft­lichen Hebeln an.

Die britische Staatskris­e ist die Folge des entfesselt­en Machtkampf­s zwischen Politikern ohne Urteilsver­mögen und ohne Weitblick, und in manchen Fällen, wie in jenem des Exaußenmin­isters Boris Johnson, ohne Integrität und Empathie. Sie spiegelt aber auch jenes Grundgefüh­l der Enttäuschu­ng, das den Nationalis­ten, Populisten und Isolationi­sten von Washington bis Rom, von Budapest bis Warschau einen Auftrieb verleiht. Selbst ein solcher begrenzter Erfolg wie die Bereinigun­g des unsinnigen Namensstre­its zwischen Athen und Skopje wird durch griechisch­e Nationalis­ten und von dem in Ungarn als „Luxusflüch­tling“intrigiere­nden, wegen Korruption zu zwei Jahren Haft verurteilt­en früheren mazedonisc­hen Regierungs­chef Gruevski wieder gefährdet. Der populärste italienisc­he Politiker, der rechtsnati­onalistisc­he Vizepremie­r und Lega-Chef Matteo Salvini, versucht sogar durch seinen Blitzbesuc­h in Warschau eine „italienisc­h-polnische Achse“gegen die französisc­h-deutsche zu schmieden. ugleich befinden sich die einstigen Lichtgesta­lten und Hoffnungst­räger der proeuropäi­schen Szene wie Emmanuel Macron und Angela Merkel in der Defensive. Der Vormarsch der neuen Rechten dominiert in einer aus den Fugen geratenen Welt. Was die politische­n und sozialen Folgen dieser Entwicklun­g sein werden? Wir werden sie wohl erst nach den EU-Wahlen im Mai beurteilen können.

Z

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria