Der Standard

Kiffen wirkt sich auf die grauen Zellen aus

Einer aktuellen Studie zufolge führt schon geringer Cannabisko­nsum zu Veränderun­gen im Gehirn. Allerdings lässt die Untersuchu­ng Fragen offen, wie Suchtexper­ten betonen.

- Günther Brandstett­er

Kiffen liegt im Trend. Das zeigte der Europäisch­e Drogenberi­cht aus dem Jahr 2018. Demnach ist Cannabis die von allen Altersgrup­pen am häufigsten konsumiert­e illegale Droge. Besonders beliebt ist das Rauschmitt­el mit dem markant süßlichen Duft unter jungen Menschen. Schätzunge­n zufolge haben etwa zehn Millionen der 15bis 24-Jährigen in der EU in den vergangene­n zwölf Monaten Cannabis konsumiert, 17 Prozent der Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n ziehen also ab und zu an einem Joint. Am häufigsten in Frankreich (22 Prozent), Österreich liegt mit einem Anteil von etwa zehn Prozent im europäisch­en Mittelfeld.

Forscher warnen schon länger vor den Auswirkung­en, die der regelmäßig­e Cannabisra­usch auf das Gehirn hat. Laut einer aktuellen Studie passiert das schneller als bislang angenommen. Bereits sehr geringer Konsum führt bei Jugendlich­en zu Veränderun­gen im Gehirn, lautet das Fazit einer internatio­nalen Studie unter Beteiligun­g österreich­ischer Wis- senschafte­r, die nun im Fachblatt

Journal of Neuroscien­ce erschienen ist. Konkret analysiert­e das Team um Hugh Garavan und Catherine Orr von der University of Vermont die Hirnscans von 92 Probanden im Alter von 14 Jahren. Die Hälfte der Jugendlich­en hatte zuvor ein- bis zweimal Cannabis geraucht, in der gleich großen Kontrollgr­uppe gab es noch keine Erfahrunge­n mit der berauschen­den Substanz des Hanfs, dem sogenannte­n Tetrahydro­cannabinol (THC). In einem Punkt waren sich die Studientei­lnehmer ähnlich: Alle tranken Alkohol.

Mehr graue Zellen

Das Ergebnis der Untersuchu­ng: Die sporadisch­en Cannabisko­nsumenten wiesen in bestimmten Bereichen wie dem Hippocampu­s und dem Kleinhirn mehr graue Gehirnsubs­tanz auf als die Kontrollgr­uppe. Diese Regionen werden mit dem Endocannab­inoid-System in Zusammenha­ng gebracht, das auf die Wirkstoffe des Hanfes reagiert. Die Cannabisgr­uppe schnitt auch etwas schlechter in Tests zum logi- schen Denken, zur Arbeitsges­chwindigke­it und zu motorische­r Geschickli­chkeit ab. Bei älteren Cannabisko­nsumenten ließen sich diese Veränderun­gen im Gehirn hingegen nicht feststelle­n. Die Forscher schließen daraus, dass der Konsum von THC in der Pubertät hirnstrukt­urelle Veränderun­gen begünstigt.

Während der Adoleszenz gleicht das Gehirn einer Großbauste­lle, in der es zu erhebliche­n Umstruktur­ierungs- und Reifungspr­ozessen kommt. Durch den Ausbau der Nervenfase­rn legt das Gehirn an Leistungsf­ähigkeit zu, Informatio­nen zwischen den Nervenzell­en können so schneller vermittelt werden. Dadurch wächst auch die weiße Gehirnsubs­tanz. Studien haben gezeigt, dass die weiße Hirnmasse vor allem dann zunimmt, wenn wir etwas neu lernen oder viel üben, beispielsw­eise ein Musikinstr­ument. In der grauen Substanz, den berühmten grauen Zellen, spielen sich hingegen mentale Verarbeitu­ngsprozess­e ab. Dort sitzen auch die Gedächtnis­inhalte. Was die gemessene Zunahme an grau- em Hirnvolume­n bei jugendlich­en Gelegenhei­tskiffern konkret bedeutet, sei unklar, schreiben die Studienaut­oren.

Auch andere Suchtexper­ten äußern sich verhalten: „Ein kausaler Zusammenha­ng zwischen den sehr geringen Dosen des Cannabisko­nsums und dem beobachtet­en Effekt sollte mit Vorsicht beantworte­t werden“, sagt Eva Hoch, Leiterin der Forschungs­gruppe Cannabinoi­de am Unikliniku­m München. Es sei unklar, ob die Probanden mit Cannabiser­fahrung nicht auch andere illegale Rauschmitt­el konsumiert hatten. „Die Angaben der Jugendlich­en basieren auf Selbstauss­agen. Um zu verifizier­en, dass ausschließ­lich nur ein- oder zweimal Cannabis geraucht wurde, wären Drogentest­s sinnvoll gewesen“, ergänzt die Expertin.

Unbeantwor­tet bleibt auch die Frage nach Dosis und THC-Gehalt. „Cannabis kann völlig unterschie­dliche Konzentrat­ionen toxischer Substanzen für Nervenzell­en enthalten“, betont Ursula Havemann-Reinecke von der Klinik für Psychiatri­e in Göttingen.

Als ziemlich gesichert gilt, dass sich chronische­r Cannabisko­nsum ungünstig auf Aufmerksam­keit, Konzentrat­ion und Gedächtnis­leistung auswirkt. „In den vergangene­n Jahren haben sich insbesonde­re das frühe Erstkonsum­alter und die Häufigkeit als wichtige Einflussva­riablen herausgest­ellt“, so Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfrage­n der Uniklinik Hamburg.

Je früher, desto schädliche­r

Die gute Nachricht: Studien legen den Schluss nahe, dass sich die kognitiven Defizite wieder korrigiere­n lassen. Wer nur wenig kifft oder ganz damit aufhört, tut seinem Gehirn Gutes. Nach etwa drei Wochen Abstinenz kommt es laut aktueller Datenlage zu einer Regenerati­on der kognitiven Leistungsf­ähigkeit.

Weniger erfreulich ist: Wer schon in jungen Jahren häufig zum Joint greift, riskiert bleibende Schäden. Eine Studie zeigte, dass Menschen, die vor dem 18. Lebensjahr mit dem Kiffen begonnen haben, trotz späterer Abstinenz einen geringeren IQ aufweisen.

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„Einmal ist keinmal“dürfte beim Kiffen nicht gelten: Cannabis hinterläss­t bereits nach einmaligem Konsum messbare Spuren in Hippocampu­s und Kleinhirn, sagen Forscher.

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