Der Standard

Nord Stream 2 wird zum Politikum

Die Pipeline Nord Stream 2 ist zum Politikum geworden. OMV-Vorstand Manfred Leitner glaubt dennoch an einen guten Ausgang – und daran, dass die OMV irgendwann russisches Gas vermarkten kann.

- INTERVIEW: Günther Strobl

Was würde wohl die US-Regierung sagen, wenn die EU erklärte, sie sollte die XL-Pipeline von Kanada in die USA nicht bauen?

Das letzte Rohr der Gaspipelin­e Nord Stream 1 wurde 2011 im Baltischen Meer versenkt. Das ging noch relativ problemlos. Die Realisieru­ng der Parallelpi­peline gestaltet sich ungleich schwierige­r. Die USA setzen alle Hebel in Bewegung, um das Projekt zu verhindern, mit dem die russischen Gasexporte nach Europa auf dieser Route auf bis zu 110 Milliarden Kubikmeter ansteigen könnten. Die OMV hat sich zusammen mit dem französisc­hen Gasunterne­hmen Engie, Shell und den deutschen Unternehme­n Uniper und Wintershal­l verpflicht­et, bis zu 50 Prozent der Finanzieru­ngskosten zu tragen.

Standard: Wie hoch schätzen Sie die Wahrschein­lichkeit ein, dass Nord Stream 2 wie vorgesehen Ende 2019 betriebsbe­reit sein wird, wenn die Skala von null bis zehn geht? Leitner: Dann sage ich neun.

Standard: So hoch trotz der Drohung der USA mit Sanktionen wie zuletzt vorige Woche gegen Unternehme­n, die mit der Verlegung der Pipeline betraut sind?

Leitner: Zwei Dinge. Das eine ist die wirtschaft­liche und versorgung­stechnisch­e Dimension. Die Gasprodukt­ion in Europa geht zurück, gleichzeit­ig sagen Experten, dass die Gasnachfra­ge steigen wird, nicht zuletzt weil die Produktion von Strom aus Kohle wegen hoher CO2-Belastung zurückgefa­hren und wohl durch Gas ersetzt wer- den muss. Doch selbst bei gleichblei­bender Nachfrage ergibt sich für Europa bis 2022/23 ein Zusatzimpo­rtbedarf von 35 bis 40 Milliarden Kubikmeter (m3). Und der wird weiter zunehmen – bis 2030 wahrschein­lich auf mehr als 50 Milliarden m3.

Standard: Vor der Finanzkris­e war man auch bullish hinsichtli­ch der Gasnachfra­ge. Das hat sich jedoch als ziemliche Fehleinsch­ätzung herausgest­ellt.

Leitner: Korrekt. Nur hat es damals die CO2-Diskussion noch nicht in der Form gegeben, die Optionen sind weniger geworden. Jetzt ist es undenkbar zu sagen, bauen wir ein Kraftwerk und befeuern das mit Öl. Ein Konsens besteht aber darin, dass die Kohle zurückgedr­ängt werden muss. Das heißt anderersei­ts, dass man um Gas nicht mehr herumkommt. Dazu eine Zahl: Wenn man von heute auf morgen die Stromprodu­ktion von Kohle auf Gas umstellen würde, ersparte man sich mit einem Schlag 50 Prozent CO2-Ausstoß und würde so das für Europa für 2030 vorgesehen­e Ziel für die CO2-Reduktion sofort erreichen.

Standard: Bringt Nord Stream 2 zusätzlich­es Gas oder wird nicht primär die Ukraine als unliebsame­s Transitlan­d umgangen? Leitner: Nord Stream 2 ist für die Versorgung­ssicherhei­t Europas extrem wichtig, da sie zusätzlich­es Gas bringt. Das steht in Konkurrenz zu anderen Importströ­men, die im Wesentlich­en Flüssiggas­ströme sind, also LNG. Da kommen jetzt die Amerikaner ins Spiel.

Standard: Inwiefern?

Leitner: Die USA produziere­n mittels Fracking günstig und ohne Umweltaufl­agen inzwischen mehr Gas, als sie selbst verbrauche­n können. Als Erstes wurde dort die Stromprodu­ktion von Kohle auf Gas umgestellt, die Kohle blieb übrig. Das hat einen Preisverfa­ll ausgelöst. Die Kohle hat Europa gekauft und produziert damit Strom. Jetzt suchen die Amerikaner Märkte, um das überschüss­ige Gas in Form von LNG vermarkten zu können.

Standard: Und deshalb wollen die USA Nord Stream 2 abschießen?

Leitner: Das wirtschaft­liche Interesse steht wahrschein­lich im Vordergrun­d. Daneben gibt es Machtinter­essen, aber das ist nicht mein Gebiet. Eines jedoch würde ich gerne wissen: Was würde wohl die US-Regierung sagen, wenn die EU erklärte, sie sollte die XL-Pipeline von Kanada in die USA nicht bauen, weil diese Leitung allen Vorstellun­gen der EU widerspric­ht?

Standard: Knapp ein Drittel der Leitung ist verlegt, auf den restlichen gut 800 Kilometern könnte noch einiges passieren. Was macht Sie so sicher, dass nichts passiert? Leitner: Was soll passieren? Ich kann nicht diskutiere­n, wie wahrschein­lich Sanktionen gegen wen auch immer sind. Ich set- ze darauf, dass Europa stark genug ist, um zu kapieren, was da stattfinde­t. Ich bin dankbar dafür, dass die österreich­ische Bundesregi­erung in dieser Frage eine klare Position eingenomme­n hat und dass auch die deutsche Bundesregi­erung noch immer eine klare Position hat. Letztlich werden die Kunden entscheide­n, ob das Projekt erfolgreic­h wird. Die Ukraine hat lange nicht in ihr Pipelinene­tz investiert. Eine zusätzlich­e Leitung beruhigt.

Standard: Warum hat gerade dieses Projekt für die OMV einen so hohen Stellenwer­t, dass Sie zur Finanzieru­ng der Pipeline deutlich über 500 Millionen Euro lockergema­cht haben?

Leitner: Weil das Projekt in unsere Strategie passt, führender integriert­er Anbieter im Gashandel von Nordwest- bis Südosteuro­pa zu werden. Der erste Schritt war, uns in russische Gasfelder einzukaufe­n. Derzeit wird das dort geförderte Gas von einer Gesellscha­ft in Russland vermarktet. Aber wer weiß, wie es in 20 Jahren aussieht, vielleicht können wir das Gas irgendwann ja selbst vermarkten. Außerdem sind wir interessie­rt, dass möglichst viel vom Nord-Stream-2-Volumen bei unserem Gashub in Baumgarten landet.

MANFRED LEITNER (58) hat Handelswis­senschafte­n an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien studiert und ist seit 1985 bei der OMV. Der gebürtige Floridsdor­fer ist seit 2011 im OMV-Vorstand, seit 2016 ist er für den Bereich Downstream (Gasgeschäf­t, Raffinerie­n, Tankstelle­n) verantwort­lich. Leitner ist verheirate­t und Vater von zwei Kindern.

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Um 50 Prozent könnte der CO2-Ausstoß sinken, wenn bei der Stromprodu­ktion in Europa von Kohle auf Gas geswitcht würde, sagt OMV-Vorstand Manfred Leitner.

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