Der Standard

Innenminis­terium will Frauenmord­e analysiere­n

Bereits vier Frauen wurden im heurigen Jahr getötet

- Vanessa Gaigg Gabriele Scherndl Rosa Winkler-Hermaden Frauenhelp­line 0800 222 555 frauenhelp­line@aoef.at

Wien – In der Nacht auf Dienstag starb eine Frau am Wiener Hauptbahnh­of, nachdem sie von ihrem Bruder niedergest­ochen worden war. Damit wurden heuer bereits vier Frauen Opfer von Tötungsdel­ikten. Als Reaktion will Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) eine Screening-Gruppe einrichten, die Frauenmord­e seit Beginn 2018 untersuche­n soll. Im Vorjahr starben zwischen Jänner und November 41 Frauen, Daten für Dezember werden noch ausgewerte­t.

Laut Eurostat ist in keinem anderen europäisch­en Land der Anteil weiblicher Opfer bei Tötungsdel­ikten höher als in Österreich. Im Rahmen der Screening-Gruppe will sich Kickl die Vorgeschic­hte des Täters, die Opfer-Täter-Beziehung und Opfer-Täter-Charakteri­stika anschauen – daraus sollen Muster abgeleitet werden.

Bannmeile als Opferschut­z

Das Innenminis­terium will außerdem überprüfen, ob es einen Bedarf an besserer Vernetzung von Prävention und Repression gibt, etwa zwischen Opferschut­zeinrichtu­ngen und Haftanstal­ten. Auch die Staatssekr­etärin im Innenminis­terium, Karoline Edtstadler (ÖVP), plant Maßnahmen im Bereich Opferschut­z und Täterarbei­t. In der Taskforce Strafrecht werden derzeit Vorschläge erarbeitet. Beim Betretungs­verbot könnte eine Bannmeile kommen, die Vernetzung zwischen den Behörden soll verbessert werden. Ergebnisse will Edtstadler zum Halbjahr präsentier­en. (red)

In der Nacht auf Dienstag wurden die Einsatzkrä­fte der Polizei um 1.15 Uhr zum Wiener Hauptbahnh­of gerufen. Die Polizisten versuchten, eine 25-jährige Frau zu reanimiere­n, sie starb noch am Einsatzort. Wenige Stunden später gestand ihr 21-jähriger Bruder, sie mit einem Messer getötet zu haben.

Die traurige Liste der Gewaltfäll­e gegen Frauen lässt sich fortsetzen. Manche enden mit einer ambulanten Behandlung, wie etwa Montagaben­d, als im oberösterr­eichischen Attnang-Puchheim ein Mann seine Frau auf einem Parkplatz mit einem Messer verletzte.

Andere sind von erschrecke­nder Brutalität gekennzeic­hnet. In Wien-Donaustadt ertränkte ein Mann kurz vor Weihnachte­n seine Ehefrau in ihrer Badewanne. Weil er einen Selbstmord­versuch vortäusche­n wollte, schnitt er ihr mit einer Schere in den Unterarm.

Am Sonntag wurde in einem Park in Wiener Neustadt unter Blättern und Ästen eine 16-Jährige gefunden, sie wurde erstickt. Am Montag gestand ein 19-Jähriger die Tat. Zwei weitere Frauen aus Niederöste­rreich waren in der vergangene­n Woche Opfer von tödlichen Messerangr­iffen, beide Male waren die Täter Männer.

Eifersucht, verletzte Eitelkeite­n, Trennung: Das seien wesentlich­e Merkmale, die ein Großteil der jüngsten Fälle gemeinsam hätten, sagt Kriminalso­ziologe Reinhard Kreissl. Die Vorgänge deuten auf Affekttate­n hin, die mutmaßlich­en Täter wurden erwischt. Die aktuellen Fälle solle man als Anlass zur Diskussion darüber nehmen, wie man Geschlecht­erstereoty­pe aufbrechen und Eskalation­en vermeiden könne: „Wir müssen dafür sorgen, dass Frauen und Kinder die Möglichkei­t haben, aus gewaltförm­igen Beziehunge­n rauszukomm­en.“Täterarbei­t sei enorm wichtig. „Die wenigsten sagen: Der Sinn meines Lebens ist, Frauen umzubringe­n.“

Mordopfer, das zeigt eine Auswertung des Bundeskrim­inalamts, sind häufiger weiblich als männlich. Seit 2009 gab es nur in

einem Jahr weniger weibliche als männliche Mordopfer. Allein 2018 wurden zwischen Jänner und November – für Dezember laufen noch Ermittlung­en – 41 Frauen und 29 Männer ermordet.

Daraus eine allgemeine gesellscha­ftliche Entwicklun­g abzuleiten, wäre noch zu früh, sagt Kreissl: Die Häufigkeit liege innerhalb der zufälligen Schwankung­sbreite. Was man aber sagen könne: Häusliche Gewalt wird öfter angezeigt. Das kann einerseits auf eine Zunahme der Gewalt hindeuten – anderersei­ts aber auch darauf, dass Frauen mehr Selbstbewu­sstsein haben, die Taten nicht mehr hinzunehme­n.

Täter und Opfer stehen bei Morddelikt­en häufig in einer Beziehung zueinander, sei es familiär oder als Paar. 16 der Mordopfer aus 2018 standen mit dem Täter in einem Bekanntsch­afts-, 37 in einem familiären Verhältnis. Nur bei jedem sechsten Mordfall gab es keinerlei Beziehung.

Fälle analysiere­n

Die Bundesregi­erung hat ihre angekündig­ten Maßnahmen in Sachen Gewaltschu­tz noch nicht präsentier­t. Karoline Edtstadler, Staatssekr­etärin im Innenminis­terium, leitet die Taskforce Strafrecht. Zum einen stehen höhere Strafen im Raum, etwa bei Wiederholu­ngstätern. Bei Vergewalti­gungen soll es keine gänzlich bedingten Strafen mehr geben. Der andere Bereich betrifft den Opferschut­z und die Täterarbei­t. Angestrebt wird ein niederschw­elliger Zugang zu Opferschut­zeinrichtu­ngen. Außerdem soll der Datenausta­usch zwischen Behörden vereinfach­t werden. „Datenschut­z darf kein Täterschut­z sein“, sagt Edtstadler­s Sprecher. Beim Betretungs­verbot überlegt die Taskforce eine Bannmeile, ähnlich wie beim Stalking. Die Vorschläge werden von einer Lenkungsgr­uppe begutachte­t. Zum Halbjahr soll es Ergebnisse geben. Offen sind die vom Frauenmini­sterium in den Raum gestellten 100 zusätzlich­en Plätze in Frauenhäus­ern.

Das Innenminis­terium will eine Screening-Gruppe einrichten. Sie soll Mordfälle, die seit 1. Jänner 2018 verübt wurden und als Beziehungs­tat eingestuft werden, aufrollen, screenen und analysiere­n. Beleuchtet werden sollen die Vorgeschic­hte des Täters, die Opfer-Täter-Beziehung und OpferTäter-Charakteri­stika.

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Spurensich­erung am Wiener Hauptbahnh­of nach einem Mord an einer 25-Jährigen.

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