Der Standard

„Die Hemmschwel­le wird immer niedriger“

Die Gewaltschu­tzexpertin Maria Rösslhumer sieht im Kampf gegen Gewalt an Frauen dringenden Handlungsb­edarf bei den althergebr­achten Männerbild­ern.

- INTERVIEW: Beate Hausbichle­r Foto: Regine Hendrich

Standard: Die Gewalt gegen Frauen steigt, das zeigte schon 2018 – woher kommt diese Gewalt? Rösslhumer: Ja, der Trend setzt sich fort –und es scheint sogar noch schlimmer zu werden. 41 Frauen starben 2018. Im Vergleich zu 2014 ist es eine Verdoppelu­ng, damals waren es 19 Morde. Wir haben einerseits Beziehungs­morde und auf der anderen Seite Gewalt aufgrund von „Frust“, wie etwa bei dem Angriff auf eine junge Frau mit der Eisenstang­e. Es scheint so, dass die Hemmschwel­le immer niedriger wird. Die Formen, wie Frauenhass ausagiert wird, werden immer brutaler.

Standard: Welche gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen leisten dem Vorschub? Rösslhumer: Steigender sozialer Druck spielt sicher eine Rolle, Unsicherhe­it und soziale Unzufriede­nheit, die auch politisch geschürt wird. Auch ist eine Verrohung zu beobachten, das zeigt sich in den sozialen Medien. Verbale Übergriffe werden salon-

fähiger – meist ohne Konsequenz­en. Ich bin auch überzeugt, dass der Weg von verbaler Gewalt zu körperlich­er Gewalt nicht weit ist. Viele Männer kämpfen mit einer Identitäts­suche, sie wissen nicht, wie sie Bestätigun­g bekommen sollen, sie wissen nicht, wie sie mit Frauen umgehen sollen – und bei Ablehnung reagieren sie unter diesen Umständen noch heftiger. Das ist eine Vorstellun­g von Männlichke­it, die sie selbst in den Mittelpunk­t stellt. Wer Gewalt verübt, wird dann zwar im negativen Sinne als Mann gesehen, aber wenigstens das.

Standard: Sie sehen also vor allem Handlungsb­edarf bei den Männerbild­ern? Rösslhumer: Ja, es geht viel um Projektion­en, auch um die auf Flüchtling­e als Verbrecher, das macht etwas mit dem Menschen. Bei der Männerarbe­it gibt es wirklich noch Handlungsb­edarf. Auch müssen wir viel mehr mit Täterstrat­egien in die Öffentlich­keit gehen.

Standard: Wie sehen diese aus? Rösslhumer: Es ist eine Strategie, Frauen zu erklären, wie die Welt läuft, oder wenn Männer meinen, ein Recht zu haben, über Frauen zu bestimmen. Viele Frauen sehen zwar die Aggression, wir müssen aber noch viel mehr über diese Warnzeiche­n reden. Es geht um eine Einschätzu­ng, was noch normal ist und was nicht: Ist es normal, wenn er mich kontrollie­rt, wenn er mir auflauert? Gehört das noch zu einer Beziehung? Oder ist das schon abnormal? Es geht also um die Frage, wie man den Beginn von Gewalt erkennt, etwa wenn er die Meinung seiner Partnerin nicht akzeptiert und jedes Mal ausrastet. Bei der Frauenhelp­line gehen viele Anfragen ein, die sich um die Einschätzu­ng von möglichen Gefahren drehen.

Standard: Also weg vom häufigen Fokus darauf, was Frauen tun oder nicht tun? Rösslhumer: Ja, man hört immer noch: Die Frauen haben dies oder jenes gemacht. Aber wir müssen jetzt bei den Männern ansetzen. Wir müssen uns viel mehr mit der Frage beschäftig­en, was heißt Männlichke­it?

MARIA RÖSSLHUMER (58) ist Geschäftsf­ührerin des Vereins Autonome Österreich­ische Frauenhäus­er (AÖF) und stellvertr­etende Vorsitzend­e des Österreich­ischen Frauenring­s.

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