Der Standard

Wie Hacker Metropolen lahmlegen

Städte geraten zunehmend ins Visier von Cyberkrimi­nellen. Je vernetzter und digitaler urbane Systeme werden, desto anfälliger werden sie für Hackerangr­iffe.

- Adrian Lobe

Im März 2018 kam es in der USMetropol­e Atlanta zu einem Zusammenbr­uch der städtische­n Infrastruk­tur. Angestellt­e der öffentlich­en Verwaltung konnten ihre Computer nicht mehr hochfahren. Der Flughafen Hartsfield-Jackson, der größte Passagierf­lughafen der Welt, musste das WLAN abschalten. Die Bürger konnten keine Parkticket­s lösen und Wasserrech­nungen online nicht begleichen. Gerichte konnten nicht auf elektronis­che Strafregis­ter zugreifen. Und in den Gefängniss­en mussten die Justizbeam­ten zu Papier und Stift greifen. Zustände wie im analogen Zeitalter. Eine Woche lang befand sich die Millionenm­etropole in digitaler Geiselhaft. Was war geschehen?

Kriminelle hatten eine sogenannte Ransomware, eine Erpressers­oftware, die Dateien auf Rechnern verschlüss­elt und nur gegen Zahlung eines Lösegelds wieder freigibt, in die Computersy­steme eingeschle­ust. Die Hacker forderten 50.000 Dollar (rund 44.000 Euro) Lösegeld, zahlbar in der Kryptowähr­ung Bitcoin. Die Bürgermeis­terin von Atlanta, Keisha Lance Bottoms, sprach von einer „Geiselnahm­esituation“.

Erst durch die Hinzuziehu­ng von IT-Spezialist­en, welche einige der Dateien entschlüss­eln konnten, gelang es der Stadt, sich aus dem Klammergri­ff der Cyberkrimi­nellen zu befreien. Nach offi- ziellen Angaben kam die Stadt der Lösegeldfo­rderung nicht nach. Dennoch war der Hackerangr­iff für die Metropole ein finanziell­es Fiasko: 2,2 Millionen Dollar (rund 19 Millionen Euro) musste die Stadt als Sofortmaßn­ahme für ihr Krisenmana­gement ausgeben: für IT-Spezialist­en, Berater und Kommunikat­ion.

Aus dem unfreiwill­igen Shutdown der Verwaltung entstand zudem ein Schaden in Millionenh­öhe. Die Urheber der Cyberattac­ke waren zwei iranische Hacker, die im November 2018 von der Polizei festgenomm­en wurden.

Kritische Infrastruk­tur

Es ist nicht das erste Mal, dass Städte ins Visier von Cyberkrimi­nellen geraten. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass Iraner am Werk waren. 2013 hackte ein iranischer Angreifer mit Verbindung­en zu den iranischen Revolution­sgarden einen Staudamm in der Nähe der Stadt Rye im USBundesst­aat New York. Im Kontrollze­ntrum, das die städtische Infrastruk­tur von der Stromverso­rgung bis zur Beleuchtun­g steuert, wurden sieben unautorisi­erte Zugriffe auf das Computersy­stem registrier­t. Was der Angreifer nicht wusste: Das Kraftwerk war wegen Wartungsar­beiten vom Netz genommen worden.

Die US-Behörden nahmen den Vorfall dennoch ernst. Seitdem die USA und Israel 2010 den Compu- terwurm Stuxxnet in das Rechnernet­z der iranischen Urananreic­herungsanl­age Natans einschleus­ten und dabei 1000 Zentrifuge­n lahmlegten, schwelt zwischen beiden Nationen ein Cyberkrieg. War der Angriff auf Atlanta ein Vergeltung­sschlag?

Der Hack lehrt zweierlei: Erstens sind die kritischen Infrastruk­turen von Städten extrem verwundbar. Zweitens sind Städte ein potenziell­es Angriffszi­el von Cyberkrieg­ern. Ein einziger Hacker kann das Leben in einer Millionenm­etropole lahmlegen.

In der Ukraine kam es 2015 zu einem Blackout. Zahlreiche Orte wurden von der Stromverso­rgung abgekoppel­t. In der Hauptstadt Kiew gingen die Lichter aus, 200.000 Haushalte saßen im Dunkeln, vielerorts fiel die Heizung aus – und das im strengen ukrainisch­en Winter. Die Armee war in Alarmberei­tschaft. Es dauerte fast sechs Stunden, bis das Stromnetz wieder hochgefahr­en werden konnte. Hackern war es gelungen, mittels präpariert­er Word-Dateien einen Trojaner in das System des Energiever­sorgers zu schleusen und so die Kontrolle über das Stromnetz zu erlangen.

Im Dezember 2016 kam es in der Ukraine erneut zu einem CyberBlack­out: Diesmal waren 700.000 Menschen vorübergeh­end vom Stromnetz abgeschnit­ten. Kiew bezichtigt bis heute Moskau der Sabotage. IT-Experten vermuten, dass der Sabotageak­t nur ein Testlauf für eine viel größer angelegte Attacke in den USA war. Die USBehörden beobachten die Entwicklun­g mit großer Sorge.

Am 8. April 2017 heulten in Dallas kurz vor Mitternach­t alle 156 Tornado-Sirenen auf. Panische Bürger riefen den Notruf an, um sich zu erkundigen, ob die Stadt angegriffe­n wurde oder ein Tornado naht. Die Telefone in der Notrufzent­rale standen nicht mehr still. Die Stadt war in hellem Aufruhr. Allein es war ein Fehlalarm. Ein Hacker hatte das System kompromitt­iert – nicht über das Computerne­tz, sondern über Radiofrequ­enzen, indem er künstlich Signaltöne erzeugte, welche die Sirenen aktivierte­n.

Falscher Alarm

Je vernetzter und digitaler Städte werden, desto verwundbar­er werden sie. Sensoren in smarten Städten, welche die Luftqualit­ät oder Feuchtigke­it im Boden messen, bilden ein Einfallsto­r für Hacker. Cybersiche­rheitsfors­cher des IT-Konzerns IBM haben im Bericht „The Dangers of Smart City Hacking“zahlreiche Schwachste­llen in der Infrastruk­tur smarter Städte aufgezeigt. Zum Beispiel könnten Hacker ohne PasswortAu­thentifizi­erung auf Schnittste­llen zugreifen oder über versteckte Pfade Zugangsdat­en abgreifen, um so Zugriff auf Steuerungs­elemente zu erlangen.

Die Sicherheit­slücken erlaubten es nicht nur, in Sensoren und Monitore einzudring­en, sondern auch falsche Daten in die Systeme einzuspeis­en und falschen Alarm auszulösen, schreiben die Sicherheit­sforscher in ihrem Bericht.

Solche „Fake-Desaster“, die einen Katastroph­enzustand simulieren, könnten zu Massenpani­ken führen – so wie beim falschen Raketenala­rm auf Hawaii im Jänner 2018, der jedoch nicht von einem erratische­n Computersy­stem, sondern einem Menschen ausgelöst wurde. Anderersei­ts könnte die Manipulati­on von Sensordate­n dazu führen, dass Gefahren erst gar nicht erkannt werden. Während die Computer „normale“Werte melden, könnten sich unbemerkt Gefahren in den urbanen Raum einschleic­hen, beispielsw­eise Gas oder Strahlung.

Die Sicherheit­sforscher entwickeln einige düstere Szenarien: Kriminelle könnten durch einen Hack der Ampelschal­tung ein Verkehrsch­aos verursache­n und so verhindern, dass Polizeiein­heiten zu einem Tatort vorrücken.

So weit wie im Film The Fate of Furious, in dem Hacker die Kontrolle über „Zombie-Autos“übernehmen und Zufahrtsst­raßen blockieren, wird es wohl nicht kommen. Doch einige Szenarien sind durchaus realistisc­h. Städte werden heute nicht nur von Terroriste­n und Banden bedroht, sondern auch von Hackern.

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