Der Standard

„Heute würde er sich auf Facebook promoten“

Rashid al-Din verfasste ein zentrales Werk des Mittelalte­rs: die Geschichte des mongolisch­en Weltreichs. Die Historiker­in Judith Pfeiffer untersucht dessen Einfluss auf den Nahen Osten.

- INTERVIEW: Julia Sica

Als Nomaden haben die Mongolen nicht verstanden, wie sie mit sesshaften Bauern umgehen sollten.

Es war geografisc­h das größte zusammenhä­ngende Herrschaft­sgebiet und reichte von den östlichen Grenzen Österreich­s bis nach China: das mongolisch­e Weltreich, das sich vor allem durch die Eroberunge­n des berühmten Dschingis Khan und seiner Nachkommen erweiterte. Mitte des 13. Jahrhunder­ts unterteilt­e es sich in vier Bereiche, in denen Erben von Dschingis Khan eigene Dynastien gründeten. In Persien regierten die Ilchane.

Einer der Regenten, der Ilchan Ghazan, gab seinem Minister und Vertrauten Rashid al-Din den Auftrag, ein umfassende­s Werk über die Geschichte der Mongolen und aller anderen damals bekannten Völker zu verfassen. Fragmente dieser ersten Weltgeschi­chte sind bis heute erhalten und prägen das Geschichts­verständni­s des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralasi­ens. Judith Pfeiffer, HumboldtPr­ofessorin für Islamwisse­nschaft in Bonn, erforscht unter anderem die Schriften von Rashid al-Din.

Standard: Rashid al-Din war kein Mongole und schrieb daher als Außenstehe­nder über sie. Wie war das möglich? Pfeiffer: Er wurde beauftragt, in seiner Weltgeschi­chte die mongolisch­en Stämme und Dynastien so zu dokumentie­ren, wie ihm das entweder mündlich erzählt wurde oder aus indigenen Quellen hervorging. Vor der Veröffentl­ichung wurde seine Zusammensc­hrift aber kontrollie­rt.

Standard: Wie kann man sich diese Weltgeschi­chte vorstellen?

Pfeiffer: Das Werk besteht aus zwei visualisie­rten Teilen zur Geografie und Genealogie, die nicht oder nur teilweise erhalten sind, und zwei narrativen Teilen, die das mongolisch­e Volk beziehungs­weise den Rest der Welt behandeln. Hier werden etwa die mehr als 70 namentlich bekannten türkischen und mongolisch­en Stämme sowie deren Mythologie und Geschichte beschriebe­n. Dazu kommen die Dynastien aus dem Rest der ihnen bekannten Welt, etwa die Geschichte Indiens, der früheren zentralasi­atischen Herrscher, der Bewohner von China und dem Iran, der Israeliten und der Europäer, die er als Franken bezeichnet. Die Weltgeschi­chte sollte jährlich einmal auf Arabisch und Persisch kopiert werden.

Standard: Was geschah mit all den Abschrifte­n?

Pfeiffer: Sie wurden in die wichtigste­n Städte des Reichs geschickt. Rashid al-Din hat großen Wert auf diese weitläufig­e Verteilung gelegt; heutzutage wäre er sicher auch auf Facebook und würde sich promoten, wo immer es geht. Aktuell gibt es über 70 bekannte Abschrifte­n bzw. Fragmente der Weltgeschi­chte, auch in der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek. Das Besondere daran ist die pluralisti­sche Herangehen­sweise. Rashid al-Din hat nicht seine eigene Zeit, Befindlich­keit und Ideologie als die beste dargestell­t. Natürlich gab es einen bestimmten Rahmen und einen mongolisch­en Fokus. Soweit möglich versuchte er aber, den einzelnen Völkern ihre eigene Stimme zu geben. Dafür hat er möglichst vertrauens­würdige schriftlic­he und mündliche Quellen aus aller Welt herangezog­en und diese zusammenge­stellt.

Standard: Rashid al-Din wurde um 1250 wahrschein­lich in eine jüdische Familie im heutigen Iran hineingebo­ren. Später konvertier­te er zum Islam. Warum hat er seine Untertante­n nicht dazu gebracht, auch jüdisch zu werden?

Pfeiffer: Die Regierende­n waren abhängig von der militärisc­hen Unterstütz­ung jener Mongolen, die bereits 30 bis 40 Jahre zuvor in die Region gekommen waren. Diese hatten schon an den ersten Eroberungs­feldzügen teilgenomm­en, sich angesiedel­t, Kontakte mit Ortsansäss­igen geknüpft und begonnen, sich dort heimisch zu fühlen. Meine Theorie ist, dass diese Mongolen in Bezug auf Rechtsprec­hung die islamische Scharia vorgezogen haben: Mongolisch­es Recht durften nur jene sprechen, die von Dschingis Khan abstammten. Die Scharia war im Vergleich dazu egalitärer und horizontal­er ausgericht­et, das Urteilen war an ein Rechtsstud­ium gebunden und nicht an die soziale Position einer Person.

Standard: Was ist von diesen Konfession­swechseln überliefer­t?

Pfeiffer: Die Geschichte zum Übertritt des Herrschers Ghazan findet sich in einer literarisi­erten Erzählung historisch­er Begebenhei­ten. Er wollte gegen seinen Rivalen und Cousin in den Krieg ziehen und hat von einem mongolisch­en Heerführer und Muslim Hilfe zugesicher­t bekommen, sofern er im Falle eines Sieges den Islam annimmt. Impliziert war, dass dies ein Zeichen Gottes dafür sei, dass er die „richtige Seite“unterstütz­te. So soll es auch gekommen sein.

Standard: Wie kann man sich die Religion der Mongolen vorstellen?

Pfeiffer: Viele der ersten Herrscher des Ilchanats wurden als Christen getauft oder vom Buddhismus beeinfluss­t. Zur ursprüngli­chen Religion, die in Richtung eines Schamanism­us ging, gibt es keine systematis­che Theologie und nur Beschreibu­ngen einzelner Bräuche durch Außenstehe­nde. Bestattung­en etwa waren geheim, die Gräber wurden unkenntlic­h gemacht. In der Moderne gab es Versuche, das Grab des Dschingis Khan zu finden, wogegen viele Mongolen protestier­t haben: Sein Geist soll nicht zerstört werden, damit er dem Volk weiterhin beisteht.

Standard: Welchen Einfluss hatte die mongolisch­e Herrschaft auf Persien?

Pfeiffer: Es gab diverse Probleme – als Nomaden haben sie nicht ganz verstanden, wie sie mit den sesshaften Bauern umgehen sollten. Von diesen wurden hohe Steuern verlangt, die sie bald nicht mehr zahlen konnten und ihr Land oft brachliege­nd zurückließ­en. Das führte zu einer landwirtsc­haftlichen Krise, aber auch zu einer Neuordnung der Verteilung von Land. Das gehörte dann teils zu Stiftungen und ermöglicht­e mystischen Orden den Aufstieg durch finanziell­e Unabhängig­keit.

Standard: Entstanden also auch gewisse Freiheiten?

Pfeiffer: Und die Bevölkerun­g konnte unter den Mongolen nach eigenen Religionen und Traditione­n leben, wie sie wollte, solange sie den Herrschern gegenüber loyal war. Diese hatten auch Interesse an Astronomie und ließen ein Observator­ium bauen, an dem die besten Astronomen forschten. Deren Erkenntnis­se waren auch in Europa für Wissenscha­fter wie Kopernikus grundlegen­d.

JUDITH PFEIFFER, 1964 im Rheinland geboren, studierte in Köln und Chicago Romanistik, Germanisti­k und Orientalis­tik sowie Nahoststud­ien und deren Geschichte. Nach dreizehn Jahren Lehre in Oxford ist sie nun seit 2016 Direktorin des Alexander-von-Humboldt-Kollegs für Islamische Intellektu­elle Geschichte in Bonn. In Wien hielt sie im Rahmen der JESHO Lectures der Akademie der Wissenscha­ften einen Vortrag.

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Ein mongolisch­er Khan und seine Gemahlin auf dem Thron: Ausschnitt aus einer Miniatur-Illustrati­on zur Geschichte der Mongolen des persischen Wesirs und Geschichts­schreibers Rashid al-Din.
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