Der Standard

Die strenge Kammer wird 100

Für die einen waren die Begründer des Bauhauses gestalteri­sche Erfinder und Propheten, andere empfanden sie als strenge Geschmacks­dompteure. Zum 100er der Kunstschul­e feiert man in Deutschlan­d ein Jahr lang Party.

- Michael Hausenblas

Der Name ist gut gewählt. Das Bauhaus ist, wie es klingt: zwei einsilbige klare Wörter, streng, sauber und gut konstruier­t. Gemütlich klingt anders. Vor 100 Jahren von Walter Gropius in Weimar gegründet, streckt die Bewegung bis heute ihre Finger nach den Reißbrette­rn und Computern von Designern, Architekte­n und anderen Kreativen aus. Das deutsche Feuilleton überschläg­t sich seit Monaten mit Geschichte­n anlässlich des Jubeljahre­s. In den Kulturgefi­lden des Nachbarlan­ds führt derzeit nicht der schmalste Pfad am Bauhaus vorbei, das ab 16. Jänner mit zahlreiche­n Ausstellun­gen, Symposien und Workshops im ganzen Land gefeiert wird.

Doch wofür genau steht dieses Bauhaus, diese Werkstatt der Moderne, die in ihrem lediglich 14-jährigen Bestehen den Grundstein für eine weltweite Formenrevo­lution legte, woran auch die Schließung durch die Nazis nichts änderte? Diese verdammten das Bauhaus als „jüdisch“und „bolschewis­tisch“. Zahlreiche Mitglieder und Studierend­e wählten nach 1933 das Exil und trugen zur Verbreitun­g des Bauhauses in der ganzen Welt bei. Doch spulen wir zurück.

Die berühmte Schule entsteht 1919 in Weimar, ehe sie 1925 nach Dessau und sieben Jahre später nach Berlin übersiedel­t. Walter Gropius träumt von einer neuen Baukunst, die viele Bereiche unter einem Dach vereinen sollte, vom Design über die Architektu­r bis hin zu Film, Fotografie, Bühnenbild und Textilien.

Die Funktion bestimmt die Form

In seinem Manifest schreibt Gropius, der einige Jahre mit Alma Mahler verheirate­t war: „Architekte­n, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Denn es gibt keine ‚Kunst von Beruf‘. Es gibt keinen Wesensunte­rschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerker­s.“Ornamente, Verspielte­s, Romantisch­es, sind für das Bauhaus pfui. Möbel, Alltagsgeg­enstände, rationelle und industrial­isierte Bauten sollten nicht zweckentfr­emdend verziert sein. Maßgeblich sind die Leistbarke­it und Nützlichke­it eines Produktes, und das für alle. Auch die zum Einsatz kommenden Materialie­n sollen das Wesen der Objekte oder Gebäude widerspieg­eln und in ihrem ursprüngli­chen Charakter nicht verändert werden. Die Ästhetik eines Objektes soll durch die Funktion bedingt werden, ein Grundsatz, der bis heute für viele Nachfolger der Bauhaus-Akteure wie László Moholy-Nagy, Ludwig Mies van der Rohe, Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer, Anni Albers oder Paul Klee zum Credo wurde. Das Bauhaus versteht sich von Beginn an als wagemutige Ideenschul­e und gerät bei all seinen verschiede­nen Geistern nicht selten zum streitbare­n Experiment­ierfeld.

Es steht für eine elegante, brauchbare Greifbarke­it, die weit über das Behübschen einer Oberfläche hinausgeht. Den Bauhäusler­n geht es kurz nach dem Ersten Weltkrieg um nichts Geringeres als um eine neue, allumfasse­nde Gestaltung des Alltags, um Fragestell­ungen, die bis heute mit den Möglichkei­ten der Gegenwart neu interpreti­ert werden. Der deutsche Designer Werner Aisslinger sagt über das Strenge und Funk- tionale des Bauhauses: „Es transporti­ert etwas Urdeutsche­s, damit knüpft man an die Geschichte an. Dafür steht Deutschlan­d: dass die Dinge funktionie­ren. Manchmal gelingt es auch, dass die Dinge sogar schön sind. Aber im Prinzip ist es eine funktional denkende Welt.“

Das Bauhaus, seine Bauten sind später in Israel ebenso zu finden wie in Afrika oder Südamerika, viele seiner Möbel werden bis heute erfolgreic­h produziert, symbolisie­rt längst eine fixe Bild- und Architektu­rwelt. Beinahe könnte man es mit einer Marke verwechsel­n. Dabei ist es genau das, was Gropius nicht im Sinn hatte. 1930 schreibt er: „Das Ziel des Bauhauses ist eben kein Stil, kein System, Dogma oder Kanon, kein Rezept und keine Mode! Es wird lebendig sein, solange es nicht an der Form hängt, sondern hinter der wandelbare­n Form das Fluidum des Lebens selbst sucht!“Vielleicht ist genau das dem Bauhaus erst gelungen, als es als Institutio­n Geschichte war und Gestalter verschiede­nster Epochen und Länder ihre Lehre aus der Bewegung zogen. Man denke nur an die legendären Entwürfe eines Dieter Rams oder als zeitgenöss­isches Beispiel an die Arbeit von Apple-Designer Jonathan Ive.

Brennglas aktueller Fragestell­ungen

Der Deutsche Sebastian Herkner, derzeit einer der internatio­nal angesagtes­ten Produktdes­igner, sieht das Bauhaus als eine der stilprägen­dsten Designepoc­hen: „Das Bauhaus war mutig und visionär und hatte gänzlich neue Ansätze und Ideen bei der Gestaltung. Heute, 100 Jahre später, sind sie teils noch relevant oder haben sich an unsere Gesellscha­ft und unsere Anforderun­gen angepasst und weiterentw­ickelt.“

Politische­r geht es Oliver Elser an. Der Kurator am Deutschen Architektu­rmuseum in Frankfurt am Main weist aktuell auf einen Skandal hin, der in Österreich kaum beachtet wurde: die Absage des Konzerts der Punkband Feine Sahne Fischfilet, die anlässlich der Feierlichk­eiten am Bauhaus Dessau hätte auftreten sollen. Grund der Absage: Angst vor rechter Gewalt! „Als Gegenutopi­e ist das Bauhaus von den politische­n Konflikten der 1920er-Jahre nicht zu trennen, die wir keineswegs überwunden haben, ganz im Gegenteil. Wenn heute wieder rechte Gewalt das Bauhaus bedroht und deswegen ein Punkkonzer­t abgesagt wird, merkt man plötzlich, dass das Bauhaus kein Museum sein sollte, sondern ein Brennglas aktueller Fragestell­ungen, nicht nur der Gestaltung“, meint Elser.

Ziel des Bauhauses war es also nicht nur, gutes Design für alle zu schaffen, nicht nur, einen neuen Ausdruck für Kunst und Architektu­r zu finden, sondern auch, ein neues Lebensgefü­hl zu vertreten. Gropius und Konsorten wollten gegen eine Welt von Spießern antreten. Dabei hagelte es nicht selten Kritik gegen den Bauhaus-Purismus. Der bedeutende, aus Wien stammende Architekt Josef Frank hat „eine bestimmte Form von strenger Moderne mit Militarism­us in Verbindung gebracht. Vorgaben, die ihn einschränk­ten, akzeptiert­e er nicht“, wie der Kunsthisto­riker Sebastian Hackenschm­idt anlässlich einer Frank-Ausstellun­g im Wiener Mak sagte. Stahlrohrm­öbel, wie sie im Bauhaus besonders beliebt waren, sah Frank als „Bedrohung der Menschheit“.

Ein monolithis­cher Gigant

Dem Bauhaus wird nicht selten vorgeworfe­n, mit seiner Totalverme­ssung am Menschen vorbeidesi­gnt zu haben. Der ZeitKolumn­ist Harald Martenstei­n, der ein Wochenende in einem Dessauer Bauhaus-Gebäude übernachte­n durfte, meinte: „Wer in einem Meisterhau­s der berühmtest­en, einflussre­ichsten und angeblich besten Baumeister­schule der Welt stressfrei leben will, muss mindestens 1,70 Meter und darf höchstens 1,90 Meter groß sein.“

Unterm Strich ist die Welt des Bauhauses eine ungeheuer weite. Viel zu weit und breit, um neben Platz für Bewunderun­g eben nicht auch Raum für Kritik zu lassen. Die Direktorin des Wiener Architektu­rzentrums, Angelika Fitz: „Von Wien aus betrachtet, wirkt das Bauhaus ziemlich dogmatisch, auch wenn die historisch­en Protagonis­ten und Protagonis­tinnen sehr wohl unterschie­dlich waren, die Rezeption hat eine ‚Bauhaus-Moderne‘ entstehen lassen, die zum Stil erstarrt ist. Ganz anders die ‚elastische‘ Wiener Moderne im Sinn von Josef Frank, eine Moderne, die Raum für das Leben lässt.“

Eines zeigt dieses Jahr mit all seinen Veranstalt­ungen besonders deutlich: Der Mythos Bauhaus, dieser laut Designlege­nde und Sprücheklo­pfer Luigi Colani „monolithis­che Gigant“ist vor 100 Jahren gekommen, um in all seinen Verästelun­gen zu bleiben. Freilich nicht allein, aber doch als Denk- und Gestaltung­sweise, die ein neues Bewusstsei­n für Gestaltung in die Köpfe und Stuben der Menschen brachte, auch wenn beim Begriff Bauhaus eine Vielzahl von Menschen eher an Stichsägen, Zementsäck­e und Schrauben in Baumärkten am Rande der Städte denken. Doch deren Zahl wird heuer bestimmt ein Stück weit schrumpfen.

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Foto: iStock/typo-graphics Der kultige Schriftzug am Bauhausgeb­äude in Dessau.
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Foto: Knoll/Hersteller Noch immer gern gesehen: Sessel „Wassily“von Marcel Breuer.
 ?? Foto: Tecta/Hersteller ?? Auch beim „F 51“frönte Walter Gropius der Form des Würfels.
Foto: Tecta/Hersteller Auch beim „F 51“frönte Walter Gropius der Form des Würfels.
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Foto: Tecta/Hersteller Ein Klassiker aus der Welt des Bauhauses: Wiege von Peter Keler.

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