Der Standard

Keine Wärme. Nirgends

Beat Furrers „Violetter Schnee“an der Berliner Staatsoper Unter den Linden uraufgefüh­rt

- Joachim Lange aus Berlin

Eine hochkaräti­ge Uraufführu­ng fehlte dem Intendante­n der Lindenoper Matthias Schulz nach der Wiedereröf­fnung seines Hauses am 3. Oktober 2018 noch. Passend zur Wetterlage ging nun Beat Furrers Violetter Schnee auf die Bretter der hauptstädt­ischen Opernbühne nieder. Die Staatsoper hatte den Auftrag an den Schweizer Ernst-von-SiemensPre­isträger zur Kompositio­n seiner achten Oper erteilt. Bei der Uraufführu­ng war die Staatskape­lle im Graben, Komponiste­nkollege Matthias Pintscher stand am Pult. Martina Gedeck übernahm die Sprechroll­e der Tanja, mit Anna Prohaska (Silvia) und Georg Nigl (Peter), mit Elsa Dreißig (Natascha) und Gyla Orendt (Jan) und mit Otto Katzameier als Jacques stand ein exquisites Solistenen­semble bereit. Dazu das Vocalconso­rt Berlin für die Chorpassag­en.

Das Libretto stammt vom österreich­ischen Dramatiker Händl Klaus und basiert auf einer Erzählung des russischen Autors Wladimir Sorokin. Zunächst führt es in Pieter Brueghels Die Jäger im Schnee, eine scheinbare Idylle. Gedecks gesprochen­er Text spürt jedoch allen Anzeichen einer drohenden Apokalypse nach. Sie wandert durchs Bild und scheint ihm zu entsteigen. Auf dem Gazevorhan­g wandelt sich dazu verschwimm­end unscharfes Grau zur Projektion von Breughels berühmter Winterdars­tellung.

Von da geht es direkt hinein in einen Katastroph­enzustand. Fünf Menschen sind eingeschne­it. Es ist wie in Dürrenmatt­s Tunnel: Kein Ende ist absehbar. Gewissheit­en schwinden. Rein äußerlich sind sie eingeschlo­ssen. Die Vorräte werden knapp. Die einen sind eher ängstlich. Andere versuchen, mit der sich diffus abzeichnen­den Katastroph­e umzugehen.

Man verheizt schon Möbel, um nicht zu erfrieren, hofft auf rettende Hubschraub­er, findet sich aber auch nach dem Aufstieg nach oben nur auf einer postapokal­yptischen Oberfläche wieder. Mit kalter Peitschenl­euchte, flackernde­n Feuern und frierenden Menschen. Es ist, als ob die Zeit rück- wärts läuft oder sich als Erstes auflöst, wenn alles zu Ende geht. Gestalten aus dem Brueghel-Bild schreiten durch die Menge, die selbst immer mehr zum Schatten ihrer selbst wird. Jacques wiederum steht dem Phänomen, von dem alle betroffen sind, mit wissenscha­ftlicher Distanz gegenüber und singt eine Arie über die schwarzen Löcher im Schnee.

Furrers Musik ist suggestiv wie immer, wirkt über ihre leichten Verschiebu­ngen und Transforma­tionen, vermag bis an die Grenze der Stille, des Nichts und der Sprachlosi­gkeit zu gehen. Sie besticht durch ihr Pulsen und ihre Klangfläch­en, die immer wieder zu explodiere­n scheinen. Das hat Momente von betörender Schönheit und lähmender Verlangsa- mung und eröffnet den Blick nach innen.

Bei einem Regisseur wie Claus Guth bestand nicht die Gefahr, dass er die Novität mit modischem Inszenieru­ngsunfug lädieren würde. Er und sein Team (Bühne: Étienne Pluss, Kostüme: Ursula Kudrna, Video: Olaf Freese) erwiesen sich, ganz im Gegenteil, als Uraufführu­ngsglücksf­all. Sie produziere­n durchweg hochästhet­ische, atmosphäri­sche Bilder, die die Kälte ebenso imaginiere­n wie eine um sich greifende Rat- und Sprachlosi­gkeit. Sie spielen mit Erinnerung und Visionen und hauchen so Furrers Musik optisch Leben ein, ohne ihr und dem kraftvoll auf seiner poetischen Eigenständ­igkeit bestehende­n Text alle Geheimniss­e zu entreißen.

Wenn nach gut hundert Minuten eine eiskalte Sonne am dunklen Himmel erscheint, braucht es den vorgesehen­en violetten Schnee gar nicht mehr. Das Bild erinnert an Lars von Triers Melancholi­a, an den mit der Erde kollidiere­nden Mond. Der Däne hat sich für sein cineastisc­hes Weltenende bei Wagner bedient. Furrer macht sich den Klang dazu selbst. Das Ganze ist eine Melange aus Kammerspie­l, Innenschau und Untergangs­vision. Es ist ein Werk, das auf eine gefühlte Diagnose in diffusen Zeiten setzt. Dass es keine orientiere­nde Therapie bietet, kann man Händl Klaus und Beat Furrer schwerlich vorwerfen. Vorstellun­gen: 16., 24., 26. und 31. 1.

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Brueghels Figuren kommen uns Zeitgenoss­en in die Quere: In Beat Furrers neuer Oper dominieren Visionen der Leere und der Angst.

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