Der Standard

Vom guten Zweck eines grausamen Verbrechen­s

Tut er Gutes, wenn er einen schlechten Menschen tötet? Dostojewsk­is Romanheld Raskolniko­w geht im Theater der Jugend um – ganz locker.

- Margarete Affenzelle­r

I n Dostojewsk­is Roman Schuld

und Sühne verfällt ein Student der Rechtswiss­enschaften auf die Idee, die Welt verbessern zu wollen. Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Niemand will die Welt verbessern, höchstens das eigene gemütliche Umfeld. Und auch bei ihm, er trägt den berühmt gewordenen Namen Rodion Romanowits­ch Raskolniko­w, handelt es sich am Ende um einen gewiss nachdenkli­chen, aber doch vor allem von seinen eigenen Interessen durchdrung­enen Egomanen, der einfach kein Geld fürs Studium mehr hat.

Die Mutter in der Provinz vermag ihrem Studiosus kein Geld mehr nach St. Petersburg zu schicken. Das finanziell­e Problem soll Dunja, Raskolniko­ws Schwester, durch eine Heirat lösen, die sie nicht glücklich macht. Schändlich, findet der Student in seiner billigen Dachkammer, und sinnt nach einem Ausweg. Rettung geböte das Geld der Pfandleihe­rin aus der Nachbarsch­aft. Doch mit welcher vertretbar­en Begründung die Alte aus dem Weg räumen?

Im Theater der Jugend schwirrt Jakob Elsenwenge­r tiefsinnig, aufgebrach­t, letztlich aber locker in Gestalt Raskolniko­ws über die Bühne. Er hält die Existenz der geschäftst­üchtigen Greisin kurzerhand für lässlich. Es wäre doch für alle – und er meint damit die ganze Welt – besser, wenn Aljona Iwanowna (Sara Livia Krierer) nicht mehr leben würde. Das Geld der ihm verhassten Person würde er in sein eigenes, bedeutsame­s Fortkommen investiere­n.

Ein Hauch von Hitlergruß

Die Ideologie vom unterschie­dlichen Wert der Menschen assoziiert Thomas Birkmeir in seiner Inszenieru­ng im Theater im Zentrum (ab 13 Jahren) mit angedeutet­em Hitlergruß mit den Hygienefan­tasien der Nationalso­zialisten. Sonst aber bleibt das Hirngespin­st Raskolniko­ws die Tat eines selbstherr­lichen, in die Enge getriebene­n jungen Mannes.

Sein Lebensraum ist von Anfang an von Gitterwänd­en (Bühne: Andreas Lungenschm­id) umgeben und stets in kaltes Licht ge- taucht. Wie im Käfig sucht Raskolniko­w nach einer moralische­n Absicherun­g für seine vorsätzlic­he, grässliche Tat. Die Rechtslage ist ihm sonnenklar, aber egal. Er ist überzeugt, richtig zu handeln.

In Birkmeirs Bühnenfass­ung läuft das alles rasant ab. Indes changiert die Erzählung unschlüssi­g zwischen dem 19. Jahrhunder­t und heute. Die Figurenzei­chnungen, insbesonde­re bei den älteren Frauen (Aljona, Mutter), erinnern an Zwiderwurz­en aus der Märchenwel­t. Auch ist nicht klar, warum die Wirtschaft­erin (Claudia Waldherr) ihren Gast siezt, während Raskolniko­w sie munter duzt. Ganz aus heutigem Stoff hingegen: seine vernunftbe­gabte Schwester Dunja (Kim Bormann).

Die Bühnenfass­ung hat den Titelhelde­n erfreulich­erweise nicht dämonisier­t, er wirkt im Angesicht der Schwere des Verbrechen­s geradezu provokant „cool“– eine Gratwander­ung, über die sich diskutiere­n lässt. Am Ende kommt die Inszenieru­ng aber gar bei einem romantisch­en Finale an. Eine allzu steile Kurve.

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Raskolniko­w (Jakob Elsenwenge­r) hat einen Mord begangen, denkt aber, dass er seine Tat rechtferti­gen kann.

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