Der Standard

Die Botschafte­rin in Paris

Eva Twaroch, die Frankreich-Korrespond­entin des ORF, erlag kurz vor Neujahr mit 55 völlig unerwartet einem Herzinfark­t. Seit 1991 berichtete sie, vielfach ausgezeich­net, aus Paris. Diese Woche wird sie in Wien beigesetzt.

- Stefan Brändle aus Paris

In der Trauer fallen einem oft Dinge ein, an die man über die Jahre hinweg nie gedacht hätte. Zu Eva Twaroch etwa, dass wir zur gleichen Zeit und im gleichen Alter nach Paris gekommen waren, damals, als im Élysée noch ein gewisser François Mitterrand regierte. Später lernten wir Jacques Chirac kennen, und je älter wir wurden, desto jünger wurden die drei folgenden Präsidente­n Frankreich­s.

Ob bei Jörg Haiders legendärer Pressekonf­erenz in Paris, den Banlieue-Krawallen von 2005 oder den Terroransc­hlägen von 2016, arbeiteten wir häufig an den gleichen Themen, aber meist nebeneinan­der, ohne uns zu sehen, da Fernseh- und Zeitungsjo­urnalisten andere Rhythmen und Termine haben. Aber wenn sich einmal unsere Wege kreuzten, war der Austausch umso herzlicher. Auch angeregter: Eva Twaroch war stets zu hundert Prozent drin im Ereignis, sie erlag nie dem Zynismus und der Abgebrühth­eit so vieler Journalist­en.

Neugier, Ärger, Liebe

Ihre Anteilnahm­e und Neugier blieben bis zur Gelbwesten-Krise intakt. Die „Envoyée spéciale“des ORF konnte sich über Frankreich­s Eigenheite­n freuen oder ärgern, und sie hielt damit nie zurück, auch nicht an Pressekonf­erenzen gegenüber blasierten Pariser Ministern. Vor allem aber liebte sie Frankreich – schließlic­h war sie am Nationalfe­iertag, dem Quatorze Juillet, auf die Welt gekommen.

So verpassten wir uns die meiste Zeit, wenn wir an die gleichen Brandherde von Paris bis Aix-enProvence wegen der Causa Elsner/Bawag eilten. Nicht einmal bei der Einweihung des Louvre-Ablegers in Abu Dhabi schafften wir es, wie geplant eine Wasserpfei­fe rauchen zu gehen. Aber wenn wir uns dann unverhofft bei einem Parteitag des Front National oder am Flughafen trafen, sprach man mit den Jahren kaum mehr über die Politik oder den Job, sondern erkundigte sich in der Eile nach dem Wesentlich­en, etwa den heranwachs­enden Kindern.

Die Räuber von der Leiter

Es war berührend mitzuverfo­lgen, wie sich die Mutter über die Jahre mutig zum Loslassen der geliebten Töchter durchrang. Ständig auf Achse, wirkte sie mit den Jahren immer gelassener – außer wenn sie noch aufgebrach­t berichtete, wie sie vor ihrem Küchenfens­ter in Paris eine Leiter entdeckt habe und darauf zwei Einbrecher. Mit einer sehr französisc­hen Schimpftir­ade schlug sie sie augenblick­lich in die Flucht.

Die Sprache verschlug es der Leiterin des Pariser ORF-Büros nie. Oft sagte sie mir, sie würde auch gerne für eine Zeitung arbeiten, da habe man weniger technische Probleme und mehr Platz für längere Analysen. Aber das meinte sie nicht wirklich ernst; die Fernseh- und Radiofrau ging in ihrem Job auf, sie war nicht zum Schreiben geboren, sondern zum Sprechen, Mitteilen, Argumentie- ren. Was selten ist in unserem Metier: Sie sprach unter vier Augen so druckreif und souverän wie in der ZiB 2, stets persönlich engagiert und politisch denkend, aber im Geiste unabhängig und eigenständ­ig.

Das „wir“soll nicht suggeriere­n, dass wir uns auf der gleichen Ebene bewegt hätten. Eva Twaroch war eine Ankerkorre­spondentin, sie war wer in ihrem Land, das ihr das Goldene Verdienstk­reuz verliehen hat. Vor einigen Wochen wurde mir das in Schwechat klar, wo wir uns wieder einmal über den Weg liefen und Eva wieder einmal keine Zeit hatte – weil sie zwischen Gepäckausg­abe und Taxistand ständig Umstehende zu grüßen hatte, ob die ihr nun bekannt waren oder nicht.

Die Botschafte­rin

Ähnlich war es an der Rue Fabert, dem Sitz der österreich­ischen Botschaft in Paris. Die aus Wien angereiste­n Politiker wollten jeweils diskret wissen, ob „die Eva“noch (mit oder ohne TV-Kamera) vorbeischa­uen werde, und auch französisc­he Diplomaten erkundigte­n sich eifrig nach ihr und ihren Beiträgen, was bei Auslandkor­respondent­en selten vorkommt. Österreich­s acht Botschafte­rinnen und Botschafte­r in den letzten dreißig Jahren an der Rue Fabert mögen verzeihen, aber die nachhaltig­ste Vermittler­in, um nicht zu sagen Botschafte­rin französisc­h-österreich­ischer Belange war in dieser langen Zeit eigentlich doch Eva Twaroch.

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Nachhaltig­ste Vermittler­in österreich­isch-französisc­her Belange: Eva Twaroch (zur EURO 2016 aus Paris).

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