Der Standard

Gewaltschu­tz fängt im Kleinen an

Wir müssen endlich die Frage stellen, was Männer gegen Gewalt tun können

- Beate Hausbichle­r

Es waren letztes Jahr schon viel zu viele. Und im erst zwei Wochen alten neuen Jahr sind es schon vier Frauen, die durch Männer aus ihrem engsten sozialen Umfeld ums Leben kamen. Männer, mit denen sie ihr Leben teilten, bis zur tödlichen Gewalt oder zumindest früher einmal.

Frauenmord oder Femizid – das sind Begriffe, die manchmal wirken, als wären sie aus der Zeit gefallen. Die Tatsache geschlecht­erspezifis­cher Gewalt scheint oft nicht mehr in eine Gesellscha­ft zu passen, in der – so scheint es zumindest – nurmehr über das Klein-Klein des feministis­chen Fortschrit­ts diskutiert wird; über Feinheiten oder – wie das Urteil auch so oft ausfällt – Überspannt­heiten. Seien es die Frauenquot­en oder die leidigen Political-Correctnes­s-Diskussion­en.

Doch sind es tatsächlic­h Kleinigkei­ten? Oder ist es angesichts der anhaltende­n geschlecht­erspezifis­chen Gewalt nicht vielmehr notwendig, wirklich alle alten Frauen- und Männerroll­en über den Haufen zu werfen? Damit kein Mann mehr auf die Idee kommt, auf eine Frau mit einer Eisenstang­e einzuprüge­ln, wenn sie seine Annäherung­sversuche ablehnt.

Gerade beim Thema Gewalt gegen Frauen zeigt sich, dass sich die verbleiben­den großen Probleme bei der Gleichbere­chtigung von Frauen nicht so leicht von den kleinen trennen lassen. Dieses große Ganze zu sehen ist eine enorme Herausford­erung beim Kampf gegen Gewalt an Frauen.

Denn diese hat nicht nur eine viel zu lange Geschichte, sie ist gerade wegen dieser langen Geschichte auch gespickt mit vielen unterschie­dlichen Mechanisme­n, die fest in unserer Gesellscha­ft verankert sind. o ist etwa in den seltensten Fällen in der Berichters­tattung von Frauenhass die Rede. Stattdesse­n wird leidenscha­ftlich die Vorgeschic­hte von Beziehungs­taten durchleuch­tet. Dass es eine On-offBeziehu­ng gewesen sei, dass Eifersucht im Spiel war, dass die Frau eine Scheidung ankündigte. Frauenhass würde den Umstand aber durchaus gut erklären, warum man auf all das mit dem Umbringen der Partnerin oder Expartneri­n reagiert. Stattdesse­n fokussiert man aber auf Gewalt gegen Frauen noch immer so, als ob es Einzelfäll­e wären – und blendet strukturel­le Probleme aus, die diese Gewalt reproduzie­ren.

SUnd diese Probleme beginnen dort, wo sie viele noch immer nicht sehen wollen – etwa wenn die Verteidigu­ng konservati­ver Familien- und Beziehungs­modelle gegen feministis­chen Eifer ausgerufen wird. Doch ein Zurück zu alten Rollenbild­ern bringt Frauen keinen Schutz, sondern leistet der Gewalt gegen sie weiter Vorschub.

Finanziell­e Abhängigke­it oder der noch immer selbstvers­tändliche Reflex, vor allem das Verhalten von Frauen in den Blick zu nehmen, wenn es zu Gewalt kommt – all das ist fester Bestandtei­l unserer Gesellscha­ft. Dieser Reflex zeigt sich bei sexueller Gewalt darin, dass sofort die moralische Integrität der Frau infrage gestellt wird.

Frauen haben sich in den letzten Jahrzehnte­n zahlreiche neue Möglichkei­ten und Lebensentw­ürfe erkämpft. Wenn physische Gewalt die Antwort auf die Versuche ist, ein selbstbest­immtes Leben zu führen, dann ist es höchste Zeit, einen genauen Blick auf die Männer zu richten und sie zu fragen, welchen Beitrag sie leisten können. Dabei geht es um jedes noch so kleine Detail im Zusammenle­ben, das helfen könnte, Gewalt gegen Frauen endlich ernst zu nehmen. Und zwar nicht erst, wenn eine Frau tot ist.

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