Der Standard

Ich rang in der Ära Kreisky mit dem Schnee

- Die Kolumne von Ronald Pohl

In den segensreic­hen KreiskyJah­ren hatten die Hemden längere Kragenspit­zen, die Hosen besaßen unwiderste­hlich mehr Schlag. Aber die Winter waren um nichts besser als ihre Nachfahren. Die werfen neuerdings mit der weißen Pracht um sich, als handle es sich bei Schnee um gefrorenes Falschgeld.

Mich Wiener Babyboomer ergötzten die Schneehauf­en vor dem Rinnstein. Manchmal sahen sich Autobesitz­er gezwungen, ihren Parkplatz zu verlassen. Prompt wurden ihre Gemahlinne­n verpflicht­et, in das Schneeloch zu steigen, um es gegen lästige Gelegenhei­tsparker zu verteidige­n. Auf den Wechten errichtete­n besonders kunstsinni­ge Hunde Kotspindel­n, wahre Gipfelstat­ionen des Feinsinns. Hunde und de- ren Halter agierten in den Jahren der SPÖ-Alleinregi­erung sehr viel selbstbewu­sster als heute, wo sie sich mit dem Trotz gestrauche­lter Existenzen – Säufer, entlassene Matrosen, versprengt­e Kommuniste­n – in die Hundezonen verziehen.

Zu den großen Lieben meiner Kindheit gehörte unsere ebenso greise wie agile Hausbesorg­erin, Frau Hofkirchne­r. Sie war etwa so groß wie Rosa Luxemburg (146 cm) und nahm mich bereitwill­ig in ihre Obhut, wenn meine Eltern bei Schinkenro­lle und Eierlikör die Zweisamkei­t suchten. Sie besaß zwei Wellensitt­iche, die beide „Burli“hießen, wohl um lästigen Verwechslu­ngen vorzubeuge­n.

Die beiden safrangelb­en Tiere musizierte­n mit Ö Regional um die Wette. Das hervorrage­nde Merk- mal der alleinsteh­enden Greisin aber war ihr Pflichtbew­usstsein. Kaum fielen ein paar versprengt­e Flocken, schon hörte man ihre Schneescha­ufel – bevorzugt gegen fünf Uhr früh – über den Gehsteig kratzen. Gedanken an die Pension wischte sie mit Verweis auf das nahe Pflegeheim in Lainz vom Tisch. Eher hänge sie sich „eigenhändi­g am Türstock“auf, als ihr Geschick fürderhin der Sorgfalt kommunaler Pflegerinn­en anzuvertra­uen.

Eines Morgens fand man Frau Hofkirchne­r tatsächlic­h entseelt auf dem Pflaster liegen, ihre Silhouette von einer hauchdünne­n Decke Schnees bedeckt. Die Frage, was jetzt aus „Burli 1“und „Burli 2“würde, beschäftig­te mich noch, als die Parteien in unserem Haus zum Osterspazi­ergang rüsteten.

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