„Kurz ist nicht eitler als Fischer“
Fotograf Dragan Tatic setzt seit 15 Jahren Politiker in Szene: von Heinz Fischer bis Sebastian Kurz. Den Vorwurf der Inszenierung kann er nicht nachvollziehen: „Einmal fuchtelt der Kurz herum, einmal der Putin oder die Merkel.“
Politiker kommen und gehen, Dragan Tatic bleibt. Schwarz, rot, schwarz, schwarz und zwischendurch auch grün: Das ist die Farbenpalette der Politiker, für die der 39-Jährige schon als offizieller Fotograf gearbeitet hat. Das Wechselspiel der Parteien habe nichts mit Opportunismus zu tun, sagt Tatic, sondern mit Professionalität: „Du musst ein guter Fotograf sein, und ich habe für fast alle schon irgendwas fotografiert.“
Dass Tatic nicht nur ein guter, sondern ein ausgezeichneter Fotograf ist, bestätigen auch Kollegen, sonst würde er nicht schon lange in der ersten Reihe der Politfotografie stehen. Das dokumentieren seine Auftraggeber, die er seit gut 15 Jahren in Szene setzt: von Bundespräsidenten (Thomas Klestil, Heinz Fischer) über Außenminister (Michael Spindelegger, Sebastian Kurz) bis zum Kanzler (Kurz).
„Fotopropaganda“
Ist von der Kommunikation der Regierung die Rede, fallen oft die Worte Message-Control, Macht der Bilder und Inszenierung – und zwar selten im positiven Sinne. Der Medienwatchblog Kobuk zeigte im Mai 2017 unter dem Titel „Die Zeitungen sind voller Fotopropaganda von Kurz und Kern“, wie oft Medien im Reservoir von offiziellen Partei- und Regierungsfotografen fischen, um ihre Artikel damit zu illustrieren. „Alle Welt lauscht Kurz“, schrieb
Kobuk. Sehr oft taucht bei den Fotocredits ein Name auf: Dragan Tatic. Er ist seit 2013 der offizielle Fotograf von Kurz – zuerst als Außenminister, jetzt als Kanzler.
Tatic arbeitet aber nicht für die ÖVP, sondern als Pauschalist im Bundespressedienst: „95 Prozent der Kurz-Termine mache ich.“
Tatic hat sicher hunderte, wahrscheinlich sogar tausende Fotos von Kurz und seinen Presseterminen gemacht. „Was mich ärgert, ist dieser Inszenierungsvorwurf“, sagt er im Gespräch mit dem
Standard. Pro Fototermin schickt der 39-Jährige vier bis fünf seiner Bilder an die Nachrichtenagentur APA, aus deren Bildarchiv sich wiederum Medien bedienen. Eine Korrekturschleife aus dem Kanzleramt, die seine Fotos absegnet, gibt es nicht, betont er: „Meine Fotos schaut vorher niemand an.“
Auf den Bildern sei Kurz keineswegs immer als der Aktive zu sehen, der seinem Gegenüber die Welt erklärt: „Diese Fotos gibt es von beiden Seiten. Einmal fuchtelt der Kurz herum, einmal fuchtelt der Putin oder die Merkel herum.“Nur: „Eine österreichische Zeitung wird das Foto drucken, auf dem der österreichische Politiker den aktiven Part hat. Das ist verständlich.“
Dass seine Politikerfotos immer wieder den Weg in die Zeitung und Onlinemedien finden, sei einzig und allein die Entscheidung der jeweiligen Redaktionen, denn: „Fast alle Termine sind medienöffentlich.“Er habe zum Beispiel bei Pressekonferenzen mit Kurz weder einen privilegierten Zugang noch stehe er in der Pole-Position, um besseres Material zu liefern.
Medien könnten zu allen Terminen ihre eigenen Fotografen schicken, machen das aber oft aus Kostengründen nicht – etwa bei Auslandsterminen. „Viele Zeitungen sagen leider: Den Fotografen lassen wir daheim.“Deswegen habe ihn der Vorwurf geärgert, dass alles kontrolliert werde und niemand sonst fotografieren dürfe: „Das ist kompletter Schwachsinn. Würde man sagen: Nur der Dragan darf da jetzt mit, wäre das ein Skandal.“
Zum Beispiel als Kurz im Dezember 2018 mit seiner Entourage und einigen Journalisten nach Ruanda und Äthiopien flog. Tatic war der einzige Fotograf an Bord, viele Medien verwendeten seine Fotos. Solch Solistenstatus bedauert er: „Man ist ja befreundet, und du wirst ehrgeiziger. Konkurrenz spornt an.“
Gleichzeitig freut er sich, wenn seine Bilder publiziert werden, was auch der Standard manchmal macht – zuletzt als Kurz das Neujahrskonzert besuchte: „Welchem Fotografen gefällt das nicht?“
Marillenkönigin
Dass Medien seine Fotos bringen, sei auch während seiner neun Jahre mit Heinz Fischer nicht anders gewesen. Ganz im Gegenteil: Ein Bundespräsident hat viele repräsentative Aufgaben: „Die lustigsten Termine waren, wenn etwa die Marillenkönigin oder der Rauchfangkehrer zu Besuch gekommen sind.“Tatic hat fotografiert, andere Medien wie die APA haben apportiert: „Zu solchen Terminen kommt keine Agentur.“
Aufgewachsen ist Tatic im niederösterreichischen Wöllersdorf als Kind jugoslawischer Gastarbeiter. Sein Berufswunsch hat sich im Alter von 14 Jahren herauskristallisiert. Um seine Passion auszuleben, ging er nach einer Lehre Anfang der 2000er Jahre nach Wien. Er arbeitete als Kinderfotograf und entwickelte ein Faible für Pressekonferenzen. Nicht nur, aber auch aufgrund von Geldknappheit: „Mit dem Presseausweis habe ich gemerkt, dass man überall hin- und gratis essen kann.“Und so nahmen die Termine immer mehr zu, genauso wie seine Fähigkeiten als Fotograf.
Kühe melken
Mit Politikerfotografie hat Tatic, der Vater eines 14 Monate alten Sohnes ist, im Jahr 2003 begonnen – im Dienste des damaligen Bundespräsidenten Thomas Klestil. Klestil ist gestorben, Tatic blieb in der Präsidentschaftskanzlei, um von 2004 bis 2012 Heinz Fischer zu begleiten. „Ein Politiker zum Angreifen.“
Genauso war Fischer aber auch einer mit Kalkül, der die Mechanismen des Medienbusiness für seine Zwecke genutzt hat: „Er war sich für nichts zu blöd“, sagt Tatic. „Ob das jetzt das Melken einer Kuh war oder was auch immer.“Fischer hat Fotos sehr gut antizipiert: „Der hat eine Kamera genommen und sich fotografiert, weil er wusste, da sind jetzt 40 Fotografen, und ich bin morgen damit in jeder Zeitung.“
Eine sportliche Herausforderung war Fischers Leidenschaft fürs Wandern: „Ich bin mit ihm auf jeden großen Berg gestiegen. Mit voller Fotoausrüstung.“Auch hier hat sich Fischer gekonnt inszeniert. Er ist zum Beispiel mit einem Stock im Stile eines Stabhochspringers über eine Gatschlacke gesprungen. Und Tatic war da, um den Auslöser zu drücken. Ein Foto für die Ewigkeit.
Kurz mit Heinz Fischer zu vergleichen, sei schwierig, was sie dennoch verbindet: „Beide sind zwischenmenschlich extrem angenehm. Kurz ist nicht eitler als Fischer.“Wenn es um Eitelkeit geht, sieht Tatic Christian Kern an vorderster Front: „Da war viel mehr Show dahinter und viel mehr Inszenierung als bei Kurz.“Der Ex-Kanzler und SPÖ-Chef ließ sich nicht selten mit Sonnenbrille ablichten und zum Beispiel beim Gaberln in seinem Büro: „Da ist nicht zufällig ein Fotograf dahergekommen.“
Fischer mit Fes
Tatic erzählt von einer NewYork-Reise. Kern war Kanzler, Kurz Außenminister. Beide hatten einen Fotografen dabei: „Meine Fotos hat niemand kontrolliert, bei Kern war das ganz streng.“Sein Pressesprecher habe erst die Freigabe geben müssen, welche Bilder ausgeschickt werden.
Im Laufe seiner vielen Jahre als Politikerfotograf gab es erst eine Beschwerde. Aber die war saftig. Heinz Fischer besuchte 2004 die österreichischen Truppen in Bosnien und bekam einen Fes geschenkt. Der Bundespräsident marschierte mit der Kopfbedeckung lustig durch die Reihen der Soldaten. Tatic schickte davon Fotos aus, die Medien übernahmen sie dankbar. „Es gab einen heftigen Anruf aus Fischers Team, dass ich ihn nicht mit dem Fes zeigen kann.“Zu heikel war die politische Gemengelage rund um die EU und die Türkei. Der „ordentliche Anpfiff“von damals ist heute nur mehr eine Anekdote. p