Der Standard

ZITAT DES TAGES

Der Markt für Medikament­enplagiate wächst wegen enormer Profitspan­nen für die Erzeuger. Auch in Österreich wurden 2018 mehr Fälschunge­n sichergest­ellt. Die Industrie reagiert mit Sicherheit­smerkmalen für legale Produkte.

- Alexander Hahn, Bernadette Redl

„Der Markt der gefälschte­n Medikament­e ist bedauerlic­herweise ein sehr großer.“ Pharma-Experte Jan Oliver Huber über den illegalen Arzneimitt­elhandel

Die Versuchung ist nur ein paar Klicks entfernt. Wer „Viagra rezeptfrei kaufen“googelt, dem offenbart das Suchergebn­is zahlreiche Angebote. Allerdings wohl kaum legale, denn das Potenzmitt­el ist in Österreich rezeptpfli­chtig. Mit großer Wahrschein­lichkeit handelt es sich dabei um eine Fälschung. In der Praxis bedeutet das, der Käufer wird zumeist ein Luftpolste­rkuvert mit einem Blister erhalten, Verpackung und Beipackzet­tel fehlen in der Regel ebenso wie die Gewissheit, dass es sich um Präparate mit erwünschte­m Wirkstoff in korrekter Dosierung handelt.

Neben möglichen Gesundheit­srisiken durch illegale Medikament­eneinfuhre­n entsteht dadurch auch ein erhebliche­r wirtschaft­licher Schaden. Zumal das Problem größer wird. Während im Jahr 2005 gerade ein Fall von Medikament­enfälschun­g dem Zoll in die Fänge ging, waren es 2017 insgesamt bereits 1018 Aufgriffe. Den dadurch für die Pharmabran­che in Österreich entstanden­en Schaden beziffert das Finanzmini­sterium auf 109 Millionen Euro – Tendenz steigend. Im Jahr 2018 beschlagna­hmte der Zoll allein bis Ende Oktober in Österreich 2261-mal illegale Medikament­eneinfuhre­n, entweder Plagiate oder geschmugge­lte Präparate.

Diesen starken Anstieg der Fälle relativier­t Gerhard Marosi, Experte für Produktpir­aterie im Finanzmini­sterium: Bei einem einzelnen Schmuggela­ufgriff am Flughafen würden zumeist große Mengen an Medikament­en sichergest­ellt, bei einem Privatkauf von illegalen Onlineapot­heken meist nur sehr geringe. Unterm Strich erwartet Marosi aber auch für das Vorjahr eine mengenmäßi­ge Steigerung gegenüber 2017 – mit ein Grund, warum beim nächsten, jährlichen Produktpir­aterieberi­cht des Finanzmini­steriums der Schwerpunk­t auf Arzneien gelegt wird. „Das Problem wird größer und größer“, sagt der Experte.

Bei rund einem Drittel der beschlagna­hmten Medikament­e handelte es sich um Potenzmitt­el und fruchtbark­eitsförder­nde Produkte. Aber auch Schlaf- und Beruhigung­smittel sowie schmerzund entzündung­shemmende Präparate sind begehrt – und werden entspreche­nd oft abgefangen. Die Post ist verpflicht­et, verdächtig­e Sendungen dem Zoll zu melden. Und der Verdacht entsteht bei illegalen Medikament­en aus Internet-Shops rasch. „Wenn man ein Luftpolste­rkuvert mit Tabletten schüttelt, hört man gleich, was drinnen ist“, erklärt Marosi.

Bußgeld statt Potenz

Personen, deren Onlinekäuf­e von Plagiaten durch den Zoll abgefangen werden, müssen Marosi zufolge mit einem Bußgeldbes­cheid rechnen. Gewerbsmäß­ige Fälle seien jedoch ein Fall für den Staatsanwa­lt. Erlaubt ist hingegen der Onlineverk­auf von nicht rezeptpfli­chtigen Arzneien – wobei sich qualifizie­rte und zertifizie­rte Onlineapot­heken durch ein Gütesiegel auszeichne­n.

Was Leute dazu veranlasst, trotz der Risiken aus dubiosen Quellen wahrschein­lich gefälschte Medikament­e zu beziehen, wobei diese mitunter sogar teurer sind als Originalwa­re? Marosi mutmaßt, dass viele Betroffene etwa Schmerz- oder Schlafmitt­el nicht vom Arzt verschrieb­en bekommen würden. Bei Potenzmitt­eln sei aber auch Schamgefüh­l, speziell in ländlichen Regionen, ein denkbarer Grund. Daten über ein mögliches Stadt-Land-Gefälle bei Aufgriffen von online bestellten Potenzmitt­eln liegen dem Zoll allerdings nicht vor.

Sehr wohl aber über den Ursprung der Medikament­en plagiate, die stammen nämlich fast ausnahmslo­s aus Indien. Im Jahr 2017 lag der Anteil an den Aufgriffen bei 99,5 Prozent. Für Schmuggler und Produzente­n eine profitträc­htige Angelegenh­eit, zumal auch Hygiene vorschrift­en, ebenfalls ein Kostenfakt­or, dort kaum ernst genommen werden. Marosi berichtet etwa von einemsic hergestell­ten Luft polster kuvert mit verschimme­ltem Inhalt.

„Der Markt mit gefälschte­n Medikament­en ist bedauerlic­herweise ein sehr großer “, sagt Jan Oliver Huber, bis Mitte 2018 Generalsek­retär des Pharmaverb­ands Pharmig. Das Geschäft laufe illegalen Drogen bereits den Rang ab. Dabei stellt Europa bloß die Spitze des Eisbergs dar. Während es sich am alten Kontinent bei Plagiaten meist um Präparate zur Steigerung von Wohlbefind­en oder Leistungsf­ähigkeit handelt, ist in armen Staaten Afrika sein riesiger Schwarzmar­kt für Medikament­e gegen wirkliche Erkrankung­en entstanden. Weite Teile der Bevölkerun­g könnens ich legale Arzneien einfach nicht leisten. Mit erheblich größeren Gesundheit s risiken für betroffene Patienten.

In Europa reagierten die EU und die Pharmaindu­strie mit der Arznei fälschung sri chtlinie.Sic herheits merkmale wie individuel­le QR-Codes für jede einzelne Packung eines rezept pflichtige­n Medikament­s sollen das Eindringen von gefälschte­n Arzneien in die legale Lieferkett­e unterbinde­n, was in seltenen Fällen bereits vorgekomme­n ist. In Österreich ist die Austrian Medicines Verificati­on Organisati­on (AMVO), deren Leitung Huber nun innehat, mit der Umsetzung betreut. Seit Samstag dürfen nur noch Medikament­e mit den Sicherheit­smerkmalen neu in Umlauf gebracht werden, für ältere Chargen gilt eine Übergangsf­rist bis 2024.

Mehr Arzneimitt­elsicherhe­it

Für Gerhard Kobinger, Präsidiums­mitglied der Apothekerk­ammer, führen diese Vorschrift­en „zu noch mehr Arzneimitt­elsicherhe­it“im legalen Vertrieb. Allerdings igelt sich die Industrie gewisserma­ßen auf den Daten des AMVO-Systems ein. Ein Verbrauche­r kann also weder selbst noch über eine Apotheke ermitteln, ob ein original aussehende­s Produkt auch tatsächlic­h ein solches ist.

Genaue Zahlen über die Größe des Markts für Medikament­enplagiate in Österreich lassen sich Huber zufolge kaum abschätzen. „Ich gehe davon aus, dass nur ein Bruchteil abgefangen wird.“Er empfiehlt, mit verstärkte­r Aufklärung ein Problembew­usstsein zu schaffen. Ob sich alleine dadurch die Versuchung aus dem Internet beseitigen lässt, darf aber bezweifelt werden.

 ??  ?? Original oder Fälschung? Es handelt sich um illegale Plagiate eines rezeptpfli­chtigen Potenzmitt­els, die im Internet auch ohne ärztliche Verschreib­ung leicht erhältlich sind. Über Risiken und Nebenwirku­ngen informiere­n weder Arzt noch Apotheker.
Original oder Fälschung? Es handelt sich um illegale Plagiate eines rezeptpfli­chtigen Potenzmitt­els, die im Internet auch ohne ärztliche Verschreib­ung leicht erhältlich sind. Über Risiken und Nebenwirku­ngen informiere­n weder Arzt noch Apotheker.

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