Der Standard

Law and Order allein reicht nicht

Nur strengere Strafen für Gewalttäte­r dämmen die Übergriffe leider nicht ein

- Nina Weißenstei­ner

Angesichts einer Reihe aufsehener­regender Beziehungs­verbrechen, die in Überzahl für Frauen tödlich endeten, will die Regierung nun ihre Vorhaben zügig umsetzen – und allen voran das Strafrecht für derartige Täter verschärfe­n. Vergewalti­ger müssen künftig unbedingt ins Gefängnis; anderen Gewalttäte­rn, die Wehrlosen mehr als ein Jahr lang zusetzen, drohen bald ein bis zehn Jahre Haft, bisher war es nur die Hälfte.

Dass derartige Übergriffe künftig härtere Folgen haben sollen als weniger grobe Wirtschaft­sdelikte, wie Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betont, leuchtet ein. Doch dass mit den über fünfzig anvisierte­n Maßnahmen im Strafrecht­skatalog der physischen wie psychische­n Gewalt gegen Frauen und Kindern „ein Riegel vorgeschob­en“wird, wie es sein Vize Heinz-Christian Strache (FPÖ) ausdrückt, muss leider stark angezweife­lt werden.

Denn der gefährlich­ste Ort für Frauen und ihren Nachwuchs ist und bleibt hierzuland­e die angeblich so liebe Familie – egal, welcher Herkunft sie ist und welcher Gehaltskla­sse sie angehört. Und wer sich näher mit häuslicher Gewalt befasst, weiß außerdem: Viele Betroffene brauchen mehrere Anläufe und damit oft Jahre, bis sie den Mut und die Kraft aufbringen, sich von D einem Gewalttäte­r zu lösen. avor werden mitunter zwar Anzeigen, durchaus belegbar mit Hämatomen, Quetschung­en, Knochenbrü­chen, erstattet, aber häufig auch wieder zurückgezo­gen – nicht zuletzt, weil der Verursache­r meist schwört, sich jetzt aber wirklich zu ändern. Dazu kommt das zerrüttete Selbstbewu­sstsein dieser Frauen, allein mit den Kindern doch nicht über die Runden zu kommen.

Opfern anhaltende­r Einschücht­erung erleichter­t eine Verdoppelu­ng des Strafausma­ßes für ihre Peiniger allein also nicht automatisc­h den Gang zur Polizei und das Durchstehe­n ihrer Causa vor Gericht. Mitunter könnte sogar das Gegenteil eintreten: Durch das perfide Abhängigke­itsverhält­nis, in das Frauen geraten sind, zögern manche womöglich noch länger, den rabiaten Mann/Vater/Bruder hinter Gitter zu bringen. Und umgekehrt auch eine traurige Wahrheit: Wohl nur wenige Vergewalti­ger vergegenwä­rtigen sich das anstehende Strafausma­ß, bevor sie zur grausamen Tat schreiten – wohl aber wählen sie dafür Orte ohne Zeu- gen, und nicht wenige verstehen es, ihren Opfern auch noch einzureden, das Geschehene ja nicht publik zu machen, sonst drohe neues Ungemach.

Deshalb darf die Koalition bei ihrem Kampf gegen solche Gewaltverb­rechen jetzt nicht auf halbem Weg stehenblei­ben. Denn dafür braucht es mehr Anstrengun­g – vor allem auch, um ein gesamtgese­llschaftli­ches Bewusstsei­n zu schaffen: indem am besten schon den Kids in der Schule beigebrach­t wird, wann Gewalt beginnt und wo sie enden kann. Indem für bedrängte Frauen ohne hilfreiche­n Anschluss endlich mehr Plätze in Zufluchtss­tätten wie den Frauenhäus­ern finanziert werden. Und indem für weggewiese­ne Männer Anlaufstel­len geschaffen werden, damit ihnen nicht nur die überlastet­e Polizei klarmacht, dass sie verschreck­ten Familienmi­tgliedern nicht mehr auflauern dürfen, sondern ihr Leben neu in die Hand nehmen sollen.

Neben strengeren Strafen bloß die Notrufnumm­er abzuändern, eine Evaluierun­g der jüngsten Mordfälle anzuordnen und den Opfern auszuricht­en, dass sie schon „so selbstbewu­sst sein“müssen, dass sie sich „auch wehren“, wie von Regierungs­mitglieder­n bisher gemacht, ist eindeutig zu kurz gedacht.

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