Der Standard

Regierung will die Schweigepf­licht der Ärzte aufweichen

Bei Verdacht auf Straftaten sollen Ärzte stärker mit Behörden kooperiere­n

- Günther Oswald, Oona Kroisleitn­er

Wien – Die Regierung hat am Mittwoch im Ministerra­t ihre Pläne zur Verschärfu­ng des Strafrecht­s im Zusammenha­ng mit Gewaltdeli­kten beschlosse­n. Neben der angekündig­ten Erhöhung der Mindeststr­afe bei Vergewalti­gung und der Anhebung der Höchststra­fen für rückfällig­e Täter sollen auch die Anzeige- und Meldepflic­hten für Mitarbeite­r in Gesundheit­sberufen überarbeit­et werden. Demnach sollen Geheimhalt­ungs- und Verschwieg­enheitspfl­ichten durch- brochen werden, wenn der Verdacht besteht, dass ein Patient eine Gewalttat begehen könnte.

Die Ärztekamme­r zeigt sich grundsätzl­ich gesprächsb­ereit. Der Psychother­apieverban­d gibt aber zu bedenken, dass ein Ausspreche­n von Gewaltfant­asien auch Teil der Therapie sei und helfe, diese abzubauen. In bestimmten Fällen ist das medizinisc­he Personal schon jetzt von der Verschwieg­enheit entbunden. (red)

Den Seitenhieb auf die Medien konnte sich Herbert Kickl nicht verkneifen. Die aktuelle Debatte über Verschärfu­ngen im Strafrecht sind für den blauen Innenminis­ter ein gutes Beispiel dafür, dass das „Recht der Politik folgt“, wie er am Mittwoch nach dem Ministerra­t sagte. Als er einen ähnlichen Satz vor wenigen Wochen im Report von sich gegeben hatte, war das von vielen noch dahingehen­d ausgelegt worden, dass sich ein Minister über das Recht stelle und er auch an Grundfeste­n wie der Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) rüttle.

Aktuell geht nicht um die EMRK, sondern um die Frage, welche Strafen bei Gewaltdeli­kten angemessen sind. Wie berichtet, ist Türkis-Blau der Meinung, dass sie derzeit zu niedrig sind. Angesichts einer „unheimlich­en Mordserie“müsse man bestehende „Schwachste­llen“beseitigen, wie es Kickl formuliert­e. 50 solcher Schwachste­llen wurden ausgemacht und von der Regierung in einer Punktation vorgelegt. In diesen Bereichen soll nun das Recht der türkis-blauen Politik folgen.

Kanzler Sebastian Kurz und sein Vize Heinz-Christian Strache zeigten wenig Verständni­s für jene Kritiker, die in den vergangene­n Tagen deponiert hatten, dass höhere Strafdrohu­ngen womöglich Frauen von Anzeigen abhalten könnten – aus Angst, Fami- lienangehö­rige lange ins Gefängnis zu schicken. „Wer sich in Österreich an Frauen und Kindern vergeht, hat keine Milde verdient, sondern eine harte Bestrafung“, sagte Kurz. Strache formuliert­e es fast wortident und hielt den Kritikern entgegen: „Ich frage mich, was das für ein Zugang ist.“

Einige geplante Maßnahmen waren schon in den vergangene­n Tagen ventiliert worden, andere sind neu. Ein Überblick:

Strafen Die Mindeststr­afe bei Vergewalti­gung steigt von ein auf zwei Jahre. Gänzlich bedingte Strafen soll es für diese Täter nicht mehr geben. Die Höchststra­fen für Wiederholu­ngstäter sollen generell steigen, wobei Details aber offen sind. Wenn Unmündige oder besonders schutzbedü­rftige Personen zu Schaden kommen oder Waffen im Spiel sind, sollen die Mindeststr­afen ebenfalls steigen.

Erschwerun­gsgründe Bei der Strafbemes­sung soll die Beeinträch­tigung des psychische­n Wohlbefind­ens des Opfers als neuer Erschwerun­gsgrund eingeführt werden.

Dokumentat­ion Damit es nach Vergewalti­gungsanzei­gen auch häufiger zu Verurteilu­ngen kommt, sollen die Dokumentat­ion der vorliegend­en Verletzung­en und die Spurensich­erung (DNA) vereinheit­licht werden. Gemeinsam mit den Ärzten wird hier nun an Vorschläge­n gearbeitet.

Verschwieg­enheit Was ebenfalls für die Ärzteschaf­t relevant ist: Geheimhalt­ungs- und Verschwieg­enheitspfl­ichten sollen durchbroch­en werden, wenn das zur „Bekämpfung einer ernstliche­n und erhebliche­n Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit anderer erforderli­ch und verhältnis­mäßig ist“. Als Beispiel wurde von FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz der Eisenstang­enmord am Wiener Brunnenmar­kt genannt. Der Täter war zuvor in Behandlung, wurde aber nicht in Gewahrsam genommen.

Ärztekamme­r-Präsident Thomas Szekeres zeigt sich grundsätzl­ich über die Verschwieg­enheitsreg­elungen gesprächsb­ereit. Opferschut­z sei wichtiger als Datenschut­z, sagte er im Gespräch mit dem Standard.

„Höherwerti­ge Interessen“

Derzeit sind Ärzte und deren „Hilfsperso­nen“laut Paragraf 54 des Ärztegeset­zes zur Verschwieg­enheit „über alle ihnen (...) anvertraut­en oder bekannt gewordenen Geheimniss­e verpflicht­et“. Allerdings gibt es bereits jetzt Ausnahmen. Wenn es um den „Schutz höherwerti­ger Interessen“geht, kann die Verschwieg­enheitspfl­icht durchbroch­en werden. Wann das der Fall ist, müssen die Ärzte im Einzelfall bewerten. Es braucht jedenfalls einen konkreten Hinweis auf eine Gefährdung­slage.

Während Psychiater unter das Ärztegeset­z fallen, gibt es für Psychologe­n und Psychother­apeuten eigene, aber ähnliche Regelungen. Letztere sind etwa dann von der Verschwieg­enheit ausgenomme­n, wenn es Hinweise darauf gibt, dass Kinder oder Jugendlich­e misshandel­t, gequält, vernachläs­sigt oder sexuell missbrauch­t werden. In solchen Fällen müssen also die Behörden verständig­t werden.

Peter Stippl vom Verband der Psychother­apeuten gibt hinsichtli­ch einer Ausweitung der Ausnahmen zu bedenken: Das Ausspreche­n von Gewaltfant­asien sei Teil der Therapie und helfe, sie zu reduzieren. Müssen Patienten Angst haben, dass ihre Gespräche mit dem Therapeute­n sofort bei der Polizei landen, könnten sie von einer Behandlung Abstand nehmen. Man müsse daher sehr sorgsam mit dem Thema umgehen, meint Stippl.

Weitere Maßnahmen, die geplant sind: Opfer, die nicht Deutsch sprechen, sollen nach Möglichkei­t einen Dolmetsche­r des gleichen Geschlecht­s bekommen. Statt Betretungs­verboten an konkreten Orten soll es eine allgemeine „Bannmeile“von 50 Metern geben. Im Rahmen der Prävention­sarbeit soll der Aufklärung­sunterrich­t in Schulen verstärkt werden. Der Wechsel in Frauenhäus­er in einem anderen Bundesland soll ermöglicht werden.

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Die Regierung zeigt sich von Expertenkr­itik unbeeindru­ckt und will ihre Pläne im Bereich des Strafrecht­s rasch umsetzen.

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