Nixon-Anklägerin: „Trump ist schuldig“
Die Juristin Jill Wine-Banks war Teil des Ermittlerteams in der Watergate-Affäre um US-Präsident Richard Nixon. Sie sieht Parallelen zwischen den 1970er-Jahren und heute.
Standard: Ist US-Präsident Donald Trump ein Krimineller? Wine-Banks: Basierend auf dem, was ich gesehen habe – und das ist nicht das ganze Bild: Ja, ich glaube, der Präsident ist ein Krimineller. Und ja, der Präsident ist in vielen Punkten, wegen derer viele andere Personen bereits angeklagt wurden, ebenso schuldig. Trumps Justizbehinderung fand vor den Augen aller statt. Ich weiß bis heute nicht, ob Richard Nixon 1972 über den Einbruch in die Wahlkampfzentrale der Demokraten Bescheid wusste, bevor er geschah. Aber ich weiß, dass er davon erfuhr, als es geschah; und ich weiß, dass er sofort in die Vertuschung involviert war. Für Vertuschung und Justizbehinderung ist es nicht notwendig, am ursprünglichen Verbrechen teilgenommen zu haben. Es bedeutet nur, dass man seine Macht genutzt hat, um die Ermittlungen zu behindern.
Schauen wir uns an, was unter Trump geschieht: Er schüchtert Zeugen ein, er versucht, das Justizministerium und das FBI einzuschüchtern. Für mich macht das aus ihm einen Kriminellen. Es macht ihn sicherlich des Amtes enthebbar.
Standard: Viele Anklagen und Verurteilungen von Personen, die Trump nahestanden, rühren daher, dass sie Ermittler belogen. Was sagt das über Trump aus? Wine-Banks: Er gibt den Ton an für die Leute, die er anstellt. Dasselbe geschah auch in der WatergateAffäre, wo jemand an der Spitze stand, der glaubte, alles sei gerechtfertigt, um zu gewinnen. Wenn jemand an der Spitze steht, der sagt: Tut, was auch immer nötig ist, dann setzen die Menschen Handlungen, die zu Lügen und Schweigegeld führen. Das gab es bei der Watergate-Affäre, das gibt es jetzt. Nixon glaubte, dass es nicht illegal ist und der Zweck alle Mittel heiligt, wenn er es macht.
Standard: Kann man einen amtierenden Präsidenten anklagen? Wine-Banks: Die Verfassung besagt weder, dass ein Präsident angeklagt werden kann, noch, dass er nicht angeklagt werden kann. Er ist ein Bürger – und falls er Gesetze verletzt, sollte ihm die gleiche Strafe drohen wie jedem anderen Bürger. Ich glaube also, dass er angeklagt werden kann.
Im Justizministerium gibt es aber eine Rechtsmeinung, die besagt, dass der Präsident nicht angeklagt werden kann, solange er im Amt ist, weil seine Fähigkeit zu regieren gestört würde. Ich meine aber, dass ein Präsident, der so viel Golf spielt wie unser Präsident, genug Zeit hat, sich gegen jede Anklage zu verteidigen. Und wenn ein Mitglied seines Teams angeklagt werden kann – was ja mehrfach geschehen ist –, warum soll dann der Präsident nicht angeklagt werden können?
Bei den Watergate-Ermittlungen kamen wir einer Anklage sehr nahe, aber am Ende wählten wir eine andere Herangehensweise: Wir führten Richard Nixon als „nichtangeklagten Mitverschwörer“in unseren Gerichtsdokumenten an. Das bedeutete, dass er sich zwar genauso strafbar gemacht hatte, aber nicht angeklagt wurde. Gleichzeitig übergaben wir unsere Beweise dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses, der bereits Anhörungen zu einem Amtsenthebungsverfahren durchführte. Wir zogen keine Schlüsse, sondern sagten bloß: Hier sind Aufnahmen, die ihr euch anhören solltet; hier sind Dokumente, die euch den Weg weisen. Zieht eure eigenen Schlüsse. Das taten sie auch und leiteten ein Amtsenthebungsverfahren ein.
Standard: Würden Sie, wenn Sie heute im Team von Sonderermittler Robert Mueller säßen, für eine Anklage gegen Präsident Donald Trump plädieren? Wine-Banks: Wenn die Beweislage so klar ist, wie sie zu Zeiten des Watergate-Skandals war: ja.
Standard: Trump attackiert das FBI, die Justiz, den Sonderermittler. Vor allem Letzterer schweigt aber und äußert sich nicht öffentlich. Ist das eine kluge Strategie? Wine-Banks: Es ist keine Frage der Strategie, sondern der Gesetze. Der Staatsanwalt darf nichts, was in einer Anklagejury (Grand Jury) besprochen wurde, veröffentlichen. Es gilt absolute Vertraulichkeit. Die einzige Möglichkeit, Beweise zu veröffentlichen, ist, Anklage zu erheben und die Beweise einem Gericht vorzulegen. Mueller hat keine andere Möglichkeit, er darf sich nicht äußern.
Standard: Sie waren an den Watergate-Ermittlungen führend beteiligt. Sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen Trump und Nixon? Wine-Banks: Beide sind fehlerhaft. Doch Nixon hatte viele positive Gesetzesinitiativen vorzuweisen: Er öffnete China für die USA, er führte gleiche Rechte für Frauen im Schulsport ein, er schuf die Bundesumweltbehörde. Trump macht nun ebendiese bedeutungslos. Er hat nicht viel erreicht, was Amerika hilft. Ich glaube auch, dass unser Ruf in der Welt leidet, weil wir uns zurückziehen, während wir autoritäre Regime wie Russland unterstützen. Nixon wusste, wie man eine Regierung führt – auch wenn ich in vielem nicht übereinstimmte. Außerdem arbeitete er nicht mit einer ausländischen Macht zusammen. Nixon sagte: „Ich bin kein Gauner.“Doch es stellte sich heraus, dass er einer war. Aber er war eben nicht Russlands Gauner, sondern unserer.
Standard: Wie unterschied sich die Ausgangslage im WatergateSkandal von der Situation heute?
Wine-Banks: Nixon eroberte mit einem Erdrutschsieg die Präsidentschaft, er gewann 49 von 50 Staaten. Er hatte lange Zeit sehr große Unterstützung aus der Bevölkerung, sogar nachdem erste Vorwürfe bekannt geworden waren. Was die öffentliche Meinung kippen ließ, waren die Anhörungen im Senat. Dort hörten die Menschen Nixons Rechtsberater John Dean lügen. Sie sahen, wie Stabschef Harry Haldeman das Gegenteil von Dean sagte. Die Menschen konnten selbst sehen, dass es einen Grund dafür gab, dass wir, die Ermittler, die Tonbandaufnahmen bekommen; und sie sahen, dass Nixon blockierte. Als wir Anklage erhoben, hatte die Öffentlichkeit bereits viele der Fakten als wahr akzeptiert.
Wenn wir über Fakten sprechen, dann ist das einer der großen Unterschiede zu heute: In der Watergate-Ära gab es nur drei TVNetworks, keine Nachrichtensender, keine Social Media. Alle Medien berichteten über dieselben Fakten. Das Wall Street Journal und die New York Times interpretierten sie womöglich unterschiedlich, aber sie stimmten darin überein, was die Fakten waren. Heute aber sagt Trump: Glaubt nicht, was ihr in den Zeitungen lest, glaubt stattdessen mir. Dann lügt er, und seine Anhänger glauben ihm. Wenn man Fakten nicht akzeptiert, kann man nicht darüber diskutieren, was sie bedeuten. Das ist einer der großen Unterschiede. Trump hat die Menschen hypnotisiert, damit sie Dinge glauben, die nicht wahr sind.
Standard: Und gibt es Parallelen? Wine-Banks: Es gab auch früher Angriffe auf die Medien. Nixon führte Feindeslisten mit Reportern, vielen Juden und Führungsfiguren der Zivilgesellschaft. Und er tat in seiner Rede zur Lage der Nation das Gleiche wie Trump: Er rief zum Ende der Ermittlungen auf. Wir sehen heute eine Wiederholung der Strategie Nixons.
JILL WINE-BANKS (75) war Staatsanwältin im US-Justizministerium, als sie zur stellvertretenden Sonderermittlerin in der Watergate-Affäre berufen wurde. Unter Präsident Carter avancierte sie zur Chefanwältin der US-Armee. Heute ist sie Analystin für den US-Sender MSNBC. p Lesen Sie die Langfassung des
Interviews auf derStandard.at/USA