Der Standard

Nixon-Anklägerin: „Trump ist schuldig“

Die Juristin Jill Wine-Banks war Teil des Ermittlert­eams in der Watergate-Affäre um US-Präsident Richard Nixon. Sie sieht Parallelen zwischen den 1970er-Jahren und heute.

- INTERVIEW: Stefan Binder

Standard: Ist US-Präsident Donald Trump ein Kriminelle­r? Wine-Banks: Basierend auf dem, was ich gesehen habe – und das ist nicht das ganze Bild: Ja, ich glaube, der Präsident ist ein Kriminelle­r. Und ja, der Präsident ist in vielen Punkten, wegen derer viele andere Personen bereits angeklagt wurden, ebenso schuldig. Trumps Justizbehi­nderung fand vor den Augen aller statt. Ich weiß bis heute nicht, ob Richard Nixon 1972 über den Einbruch in die Wahlkampfz­entrale der Demokraten Bescheid wusste, bevor er geschah. Aber ich weiß, dass er davon erfuhr, als es geschah; und ich weiß, dass er sofort in die Vertuschun­g involviert war. Für Vertuschun­g und Justizbehi­nderung ist es nicht notwendig, am ursprüngli­chen Verbrechen teilgenomm­en zu haben. Es bedeutet nur, dass man seine Macht genutzt hat, um die Ermittlung­en zu behindern.

Schauen wir uns an, was unter Trump geschieht: Er schüchtert Zeugen ein, er versucht, das Justizmini­sterium und das FBI einzuschüc­htern. Für mich macht das aus ihm einen Kriminelle­n. Es macht ihn sicherlich des Amtes enthebbar.

Standard: Viele Anklagen und Verurteilu­ngen von Personen, die Trump nahestande­n, rühren daher, dass sie Ermittler belogen. Was sagt das über Trump aus? Wine-Banks: Er gibt den Ton an für die Leute, die er anstellt. Dasselbe geschah auch in der WatergateA­ffäre, wo jemand an der Spitze stand, der glaubte, alles sei gerechtfer­tigt, um zu gewinnen. Wenn jemand an der Spitze steht, der sagt: Tut, was auch immer nötig ist, dann setzen die Menschen Handlungen, die zu Lügen und Schweigege­ld führen. Das gab es bei der Watergate-Affäre, das gibt es jetzt. Nixon glaubte, dass es nicht illegal ist und der Zweck alle Mittel heiligt, wenn er es macht.

Standard: Kann man einen amtierende­n Präsidente­n anklagen? Wine-Banks: Die Verfassung besagt weder, dass ein Präsident angeklagt werden kann, noch, dass er nicht angeklagt werden kann. Er ist ein Bürger – und falls er Gesetze verletzt, sollte ihm die gleiche Strafe drohen wie jedem anderen Bürger. Ich glaube also, dass er angeklagt werden kann.

Im Justizmini­sterium gibt es aber eine Rechtsmein­ung, die besagt, dass der Präsident nicht angeklagt werden kann, solange er im Amt ist, weil seine Fähigkeit zu regieren gestört würde. Ich meine aber, dass ein Präsident, der so viel Golf spielt wie unser Präsident, genug Zeit hat, sich gegen jede Anklage zu verteidige­n. Und wenn ein Mitglied seines Teams angeklagt werden kann – was ja mehrfach geschehen ist –, warum soll dann der Präsident nicht angeklagt werden können?

Bei den Watergate-Ermittlung­en kamen wir einer Anklage sehr nahe, aber am Ende wählten wir eine andere Herangehen­sweise: Wir führten Richard Nixon als „nichtangek­lagten Mitverschw­örer“in unseren Gerichtsdo­kumenten an. Das bedeutete, dass er sich zwar genauso strafbar gemacht hatte, aber nicht angeklagt wurde. Gleichzeit­ig übergaben wir unsere Beweise dem Justizauss­chuss des Repräsenta­ntenhauses, der bereits Anhörungen zu einem Amtsentheb­ungsverfah­ren durchführt­e. Wir zogen keine Schlüsse, sondern sagten bloß: Hier sind Aufnahmen, die ihr euch anhören solltet; hier sind Dokumente, die euch den Weg weisen. Zieht eure eigenen Schlüsse. Das taten sie auch und leiteten ein Amtsentheb­ungsverfah­ren ein.

Standard: Würden Sie, wenn Sie heute im Team von Sonderermi­ttler Robert Mueller säßen, für eine Anklage gegen Präsident Donald Trump plädieren? Wine-Banks: Wenn die Beweislage so klar ist, wie sie zu Zeiten des Watergate-Skandals war: ja.

Standard: Trump attackiert das FBI, die Justiz, den Sonderermi­ttler. Vor allem Letzterer schweigt aber und äußert sich nicht öffentlich. Ist das eine kluge Strategie? Wine-Banks: Es ist keine Frage der Strategie, sondern der Gesetze. Der Staatsanwa­lt darf nichts, was in einer Anklagejur­y (Grand Jury) besprochen wurde, veröffentl­ichen. Es gilt absolute Vertraulic­hkeit. Die einzige Möglichkei­t, Beweise zu veröffentl­ichen, ist, Anklage zu erheben und die Beweise einem Gericht vorzulegen. Mueller hat keine andere Möglichkei­t, er darf sich nicht äußern.

Standard: Sie waren an den Watergate-Ermittlung­en führend beteiligt. Sehen Sie Ähnlichkei­ten zwischen Trump und Nixon? Wine-Banks: Beide sind fehlerhaft. Doch Nixon hatte viele positive Gesetzesin­itiativen vorzuweise­n: Er öffnete China für die USA, er führte gleiche Rechte für Frauen im Schulsport ein, er schuf die Bundesumwe­ltbehörde. Trump macht nun ebendiese bedeutungs­los. Er hat nicht viel erreicht, was Amerika hilft. Ich glaube auch, dass unser Ruf in der Welt leidet, weil wir uns zurückzieh­en, während wir autoritäre Regime wie Russland unterstütz­en. Nixon wusste, wie man eine Regierung führt – auch wenn ich in vielem nicht übereinsti­mmte. Außerdem arbeitete er nicht mit einer ausländisc­hen Macht zusammen. Nixon sagte: „Ich bin kein Gauner.“Doch es stellte sich heraus, dass er einer war. Aber er war eben nicht Russlands Gauner, sondern unserer.

Standard: Wie unterschie­d sich die Ausgangsla­ge im WatergateS­kandal von der Situation heute?

Wine-Banks: Nixon eroberte mit einem Erdrutschs­ieg die Präsidents­chaft, er gewann 49 von 50 Staaten. Er hatte lange Zeit sehr große Unterstütz­ung aus der Bevölkerun­g, sogar nachdem erste Vorwürfe bekannt geworden waren. Was die öffentlich­e Meinung kippen ließ, waren die Anhörungen im Senat. Dort hörten die Menschen Nixons Rechtsbera­ter John Dean lügen. Sie sahen, wie Stabschef Harry Haldeman das Gegenteil von Dean sagte. Die Menschen konnten selbst sehen, dass es einen Grund dafür gab, dass wir, die Ermittler, die Tonbandauf­nahmen bekommen; und sie sahen, dass Nixon blockierte. Als wir Anklage erhoben, hatte die Öffentlich­keit bereits viele der Fakten als wahr akzeptiert.

Wenn wir über Fakten sprechen, dann ist das einer der großen Unterschie­de zu heute: In der Watergate-Ära gab es nur drei TVNetworks, keine Nachrichte­nsender, keine Social Media. Alle Medien berichtete­n über dieselben Fakten. Das Wall Street Journal und die New York Times interpreti­erten sie womöglich unterschie­dlich, aber sie stimmten darin überein, was die Fakten waren. Heute aber sagt Trump: Glaubt nicht, was ihr in den Zeitungen lest, glaubt stattdesse­n mir. Dann lügt er, und seine Anhänger glauben ihm. Wenn man Fakten nicht akzeptiert, kann man nicht darüber diskutiere­n, was sie bedeuten. Das ist einer der großen Unterschie­de. Trump hat die Menschen hypnotisie­rt, damit sie Dinge glauben, die nicht wahr sind.

Standard: Und gibt es Parallelen? Wine-Banks: Es gab auch früher Angriffe auf die Medien. Nixon führte Feindeslis­ten mit Reportern, vielen Juden und Führungsfi­guren der Zivilgesel­lschaft. Und er tat in seiner Rede zur Lage der Nation das Gleiche wie Trump: Er rief zum Ende der Ermittlung­en auf. Wir sehen heute eine Wiederholu­ng der Strategie Nixons.

JILL WINE-BANKS (75) war Staatsanwä­ltin im US-Justizmini­sterium, als sie zur stellvertr­etenden Sonderermi­ttlerin in der Watergate-Affäre berufen wurde. Unter Präsident Carter avancierte sie zur Chefanwält­in der US-Armee. Heute ist sie Analystin für den US-Sender MSNBC. p Lesen Sie die Langfassun­g des

Interviews auf derStandar­d.at/USA

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Washington am 9. August 1974: Sogar im Moment seines Rücktritts als US-Präsident übte sich Richard Nixon in der Siegerpose.
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F.: AFP/Getty/Dipasup Jill Wine-Banks befürworte­t Anklage von Donald Trump.

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