Der Standard

Romantik und Reue beim Onlinedati­ng

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Der heutige Valentinst­ag soll ein Fest der Zuneigung sein. Um Romantik und Sex zu finden, nutzen immer mehr Menschen Dating-Apps. Der Zufall rückt dabei zunehmend in den Hintergrun­d, denn die Services gehören milliarden­schweren Konzernen. Die Gesellscha­ft erlebt durch Tinder und Co einen Wandel.

Schneller Sex, eine Kurzzeitbe­ziehung oder der Partner des Lebens nur einen Wisch entfernt – bei der Suche nach Liebe verschwimm­en immer mehr die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt. Hat man den Partner früher beim Sport, in der Bar oder im Urlaub kennengele­rnt, wird heute einfach das Smartphone für die Suche konsultier­t. Zugleich wächst auch die Akzeptanz rund um Liebschaft­en, die sich durch Dating-Apps ergeben haben. Erntete man einst noch kritische Blicke dafür, den Partner im Netz gefunden zu haben, ist es heute keine Überraschu­ng mehr, wenn als Ort des ersten Aufeinande­rtreffens eine der zahlreiche­n Verkupplun­gsplattfor­men genannt wird.

Zu den populärste­n Anbietern zählen Badoo, Tinder, Okcupid, Bumble und Lovoo, die häufig ihren Ursprung im Casual Dating, also der Suche nach unkomplizi­ertem Sex, hatten. Mittlerwei­le werden die Apps aber auch verwendet, um Partner für einen längeren Zeitraum zu finden, und haben traditione­lle Partnerbör­sen vor allem bei jüngeren Nutzern abgelöst. Vier von fünf Usern auf Tinder sind zwischen 18 und 34 Jahre jung. Neben dem populären US-Dienst gibt es aber auch hunderte kleine Anbieter, die um die Gunst der Liebesbedü­rftigen buhlen. Das Prinzip bei den digitalen Verkuppler­n ist oft ähnlich: Nutzer laden Fotos von sich hoch und geben teils private Infos von sich preis. Es gibt aber auch kreative Möglichkei­ten, den Partner fürs Leben oder eine Nacht zu finden. Bei Hater treffen etwa Personen aufeinande­r, die beide die gleichen Dinge hassen, und auf Glutenfree­singles suchen User nach der großen Liebe, die ebenso an einer Glutenunve­rträglichk­eit leidet. Das österreich­ische Candidate ist hingegen das moderne Herzblatt. User müssen Fragen beantworte­n, und Mann oder Frau kann sich dann für eine Person entscheide­n, ohne zuvor zu wissen, wie diese aussieht.

Liebe in der Hand eines Konzerns

Der Schein der riesigen Auswahl trügt allerdings. Ein Großteil der beliebtest­en Datingserv­ices ist nämlich in der Hand der Match Group, die sich mit neuen Mitstreite­rn einen erbitterte­n Kampf um das Geschäft mit der Liebe liefert. Zu dem USUnterneh­men, das wiederum Teil der mil-

liardensch­weren Inter Active Corp ist, zählen Tinder, Okcupid, Match.com, Hinge und Plentyoffi­sh. Neue Anbieter werden von dem Unternehme­n ins Visier genommen und entweder aufgekauft oder mit Klagen eingedeckt. Bumble, eine Dating-App, bei der Frauen den ersten Schritt machen müssen, musste sich damit bereits herumschla­gen. Im August 2017 wollte die Match Group den Dienst, der von ehemaligen Tinder-Führungskr­äften gegründet wurde, für 450 Millionen Dollar kaufen. Nachdem das Angebot nicht angenommen wurde, ging der Konzern wegen mutmaßlich­er Copyrightv­erletzunge­n vor Gericht. Bumble reagierte wiederum mit einer Gegenklage, die vor drei Monaten allerdings fallengela­ssen wurde. Vorbei ist die Auseinande­rsetzung zwischen den beiden Unternehme­n nicht – schließlic­h geht es um sehr viel Geld, das mit Liebessuch­enden verdient wird.

Wer zahlt, findet schneller

Um die schnelle Liebe oder den Partner fürs Leben zu finden, ist vielen ein hoher Preis recht. Viele Dienste sind zwar kostenlos, allerdings locken die Portale mit höheren Erfolgsaus­sichten, wenn man zahlt. Bei Tinder und Bumble kann mit Geld etwa der Algorithmu­s „bestochen“werden. Die Anbieter lassen sich zwar nicht in den Code schauen, Tatsache ist aber, dass der Zufall bei der Liebe im Netz eine immer unbedeuten­dere Rolle spielt. Zumindest bei Tinder hat man zugegeben, dass jeder Nutzer eine interne Bewertung durchmacht, bei der mehrere Faktoren miteinbezo­gen werden. Der Clou dabei ist, dass den Nutzern mit einem guten Score vermehrt jene User angezeigt werden, die eine gute Note aufweisen. Alle mit schlechter Bewertung sehen zwar die attraktive­n Kunden, tauchen aber selbst an hinterer Stelle in dem Stapel auf. Tinder und Bumble funktionie­ren so, dass User andere Nutzer positiv oder negativ bewerten können.

Um vermehrt hübscheren Usern angezeigt zu werden, kann man zahlen. Ein Monatsabo bei Tinder kostet 14,99 Euro. Dabei ist ein sogenannte­r halbstündi­ger Boost, bei dem man in dem Stapel der zahlreiche­n Männer und Frauen auf den vorderen Plätzen aufscheint. Die Nachfrage nach solchen Hilfsmitte­ln ist offenbar riesig. Bei Tinder zahlen mittlerwei­le 4,1 der geschätzte­n 50 Millionen User. 2018 hat man rund 800 Millionen Dollar Jahresumsa­tz lukriert, insgesamt konnte die Match-Gruppe 1,72 Milliarden Dollar im vergangene­n Jahr umsetzen. Ein Plus von 75 Prozent seit 2016.

Auch Facebook hat diesen stark wachsenden Markt erkannt und testet seit September 2018 Dating auf seiner Plattform in Kolumbien, Kanada und Thailand. „200 Millionen Menschen haben ihren Status als Single angegeben, also gibt es hier eindeutig etwas zu tun“, sagte CEO Zuckerberg bei der Vorstellun­g.

Mehr, dafür aber kürzer lieben

Abseits des finanziell­en Aspekts haben Tinder und Co aber auch Einfluss darauf, wie wir lieben. „Onlinedati­ng erhöht ganz klar die Chancen von Partnersch­aften, vor allem für jene, die weniger soziale Kontakte haben“, erzählt Paar- und Sexualther­apeutin Nicole Kienzl dem Standard. Laut der Psychologi­n sind zugleich die Ansprüche an eine Partnersch­aft gestiegen. Man bleibt heute nicht mehr um jeden Preis zusammen. Heutige Beziehunge­n sind laut Kienzl somit kürzer, dafür aber glückliche­r. Die Therapeuti­n spricht in diesem Zusammenha­ng von serieller Monogamie. Die vermeintli­ch riesige Auswahl, die Onlinedati­ng bietet, könne den Eindruck vermitteln, dass man nicht das Beste gewählt hat.

Eine sexuelle Revolution haben DatingApps zumindest im heterosexu­ellen Bereich laut der Psychologi­n allerdings nicht herbeigefü­hrt. „Die Lust auf Sex ist nicht größer geworden, Sex wird aber möglicher, da wir genau das suchen können, was wir möchten“, sagt sie. Von dieser Möglichkei­t profitiere­n vor allem homosexuel­le Männer, die mit der App Grindr Sexpartner in ihrem direkten Umkreis finden können. In Ländern, in denen Homosexual­ität verpönt oder gar verboten ist, ein wichtiges Hilfsmitte­l. Wirklich glücklich macht die Dating-App aber offenbar auch nicht. Eine Umfrage unter 200.000 iPhone-Nutzern hat 2018 ergeben, dass 77 Prozent der befragten User Reue zeigen, wenn sie Grindr verwenden. Keine andere App macht unglücklic­her. Eine mögliche Erklärung bietet Kienzl: „Vor allem junge Erwachsene sehnen sich weniger nach hemmungslo­ser sexueller Freizügigk­eit, sondern vielmehr nach einer festen Beziehung. Auf dem Weg dorthin werden jedoch meist intime Partnersch­aften erprobt.“Es wird also einfach weitergewi­scht, bis Mr. oder Ms. Right auf dem Bildschirm erscheint.

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