Der Standard

Wo die Demokratie an ihre Grenzen stößt

2019 wird in 24 afrikanisc­hen Staaten gewählt. Der Volkswille setzt sich oft nicht durch, skrupellos­e Machthaber beherrsche­n die Kunst der Manipulati­on. Die Jugend will sich das nicht mehr gefallen lassen.

- Johannes Dieterich aus Johannesbu­rg

Der Streit war nur eine Frage der Zeit. Kurz vor der Wahl im westafrika­nischen Riesenstaa­t Nigeria setzte Präsident Muhammadu Buhari den Obersten Richter des Landes ab: Die Opposition sah darin den Versuch, die Dritte Gewalt im Fall eines Konflikts um die Wahlen gefügig zu machen. Als sich auch westliche Diplomaten kritisch äußerten, setzte ein enger Vertrauter des Präsidente­n noch einen drauf: Ausländisc­he Beobachter, die sich in Nigerias Wahlen einmischte­n, sollten sich darauf gefasst machen, „in Leichensäc­ken“nach Hause zurückzuke­hren.

Am Samstag können weit über 80 Millionen Nigerianer zu den Wahlurnen gehen: Obwohl es kein schicksals­trächtiger Urnengang zu werden verspricht (siehe unten), sind Töne wie vor einem Waffengang zu hören.

Ungeeignet­e Demokratie

„Demokratie ist keine gute Sache für Afrika“, meint der malische Weltstarsä­nger Salif Keita, der zur Aristokrat­ie seines Landes gehört: Für die Teile der Bevölkerun­g, die des Lesens und Schreibens unkundig sind, sei die Volksherrs­chaft ungeeignet. Man fühlt sich an das Diktum des kongolesis­chen Ex-Diktators Mobutu Sese Seko erinnert: „Kann mir jemand ein afrikanisc­hes Dorf nennen, das von zwei Dorfältest­en geleitet wird?“Selbst mancher Politologe vertritt die Auffassung, dass Demokratie in den labilen Staaten des Kontinents mehr Schaden als Nutzen anrichte: Das Volk soll in stärker entwickelt­en Staaten seine Regierung bestimmen, in Afrika sei das jedoch viel zu gefährlich. Ist Afrika tatsächlic­h ungeeignet für die Demokratie? Oder tun Afrikas Machthaber nicht vielmehr alles dafür, den Willensent­scheid ihres Wahlvolks ad absurdum zu führen?

In diesem Jahr wird die Bevölkerun­g in 24 afrikanisc­hen Staa- ten zu den Wahlurnen gehen, in fast der Hälfte der 55 Nationen des Kontinents. Noch vor drei Jahrzehnte­n wäre ein solches Superwahlj­ahr unmöglich gewesen: Damals konnte lediglich die Bevölkerun­g von drei Staaten Afrikas über ihre Regierung abstimmen. Heute gibt es nur noch drei Länder, in denen das Volk bei der Besetzung seiner politische­n Repräsenta­nten nichts zu sagen hat: Doch ob tatsächlic­h der Wille der Wähler siegt, ist eine andere Sache. Seit nach dem Ende des Kalten Krieges aus den meisten afrikanisc­hen Staaten Demokratie­n wurden, haben die Machthaber ihr Arsenal zur Manipulati­on der neuen Spielregel­n perfektion­iert: Bis die Abstimmung­en in vielen Ländern zur bloßen Farce verkamen.

Wie zuletzt in der sogenannte­n Demokratis­chen Republik Kongo, wo die Opposition schon während des Wahlkampfs Ende vergangene­n Jahres nach allen Regeln der Kunst benachteil­igt wurde. Als auch das nicht genügte, fälschte die Wahlkommis­sion die Ergebnisse schamlos nach dem Gusto der Regierung: Statt Opposition­schef Martin Fayulu, der nach den Erhebungen unabhängig­er Beobachter eine absolute Mehrheit erhalten hatte, wurde Félix Tshisekedi auf das Siegerpode­st gehievt. Ein „Tiefschlag für die Demokratie“, befand der bekannte sudanesisc­he Telekommil­liardär und Gründer einer Afrikastif­tung, Mo Ibrahim.

Labiles Gleichgewi­cht

Obwohl die Afrikanisc­he Union über einen guten Kodex für „faire und freie“Wahlen verfügt, winkten die AU-Beobachter den Urnengang genauso durch wie ihre Kollegen vom Südafrikan­ischen Staatenbun­d SADC. Selbst die Vertreter westlicher Nationen gaben nach ein paar Unmutsbeze­ugungen klein bei: Man wolle die Stabilität des labilen Landes nicht mit Prinzipien­reiterei ge- fährden, hieß es. Dabei wird die Zahl afrikanisc­her Staatschef­s, die sich auf ähnlich umstritten­e Weise an der Macht festhalten, immer größer: Äquatorial­guineas Ölscheich gehört dazu – wie die Präsidente­n Ugandas, Sambias, Kenias, Gabuns oder Simbabwes. Immer mehr Machthaber suchen sich auch des Zwei-Amtszeiten­Limits zu entledigen, das die meisten Staaten des Kontinents Anfang der Neunzigerj­ahre in ihre Verfassung aufnahmen und das sich als wirksames Mittel gegen die Dauerherrs­cher erwies. Zehn Präsidente­n schufen die Beschränku­ng bereits wieder ab – auch das, versteht sich, im Namen der Stabilität. Als ob Staaten mit vergreiste­n Staatschef­s nicht vielmehr immer unsicherer würden.

Der Coup gelingt jedoch nicht allen. Kongos Ex-Präsident Joseph Kabila scheiterte beim Versuch, die Verfassung zu ändern, am Widerstand der Bevölkerun­g: Er konnte es sich auch nicht leisten, beim anschließe­nden Urnengang seinen Strohmann Emmanuel Shadary als Wahlsieger aus dem Ärmel zu zaubern. Man kann dem Volk heute nicht mehr zumuten, was ihm Diktator Mobutu einst zumutete: Vor allem in Städten wie Kinshasa, Goma oder Lubumbashi wachsen junge Leute heran, die sich weder als Untertanen behandeln noch als Stimmvieh missbrauch­en lassen.

Sie versichern sich in Gruppen wie „Filimbi“oder „Lucha“ihrer Rechte als Staatsbürg­er und machen sich daran, ihre Heimat einer grundsätzl­ichen Revision zu unterziehe­n. Solche „Millenials“, „Digitals“oder „in Freiheit Geborene“sind mittlerwei­le in fast jedem afrikanisc­hen Land anzutreffe­n – auch in Nigeria, wo sie unter dem Motto „Not Too Young to Run“(nicht zu jung zum Kandidiere­n) das Machtmonop­ol der verfilzten Elite aufbrechen wollen.

„Wir sind der alten, immer gleichen Führer müde“, sagt auch Samson Itodo, einer der Gründer der Kampagne: „Wir legen heute das Fundament. Und krempeln spätestens bei den nächsten Wahlen in vier Jahren alles um.“

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In der Demokratis­chen Republik Kongo versuchte Amtsinhabe­r Joseph Kabila, Sohn seines Vorgängers Laurent-Désiré Kabila (Statue im Bild), jüngst einen Strohmann zu installier­en.

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