Der Standard

Australien reaktivier­t berüchtigt­es Flüchtling­slager

Nach einer Parlaments­niederlage rüstet sich die australisc­he Regierung für einen Wahlkampf, in dem die Flüchtling­spolitik dominieren dürfte. Auftakt war die Wiedereröf­fnung einer Internieru­ngsanstalt.

- Urs Wälterlin aus Canberra

Hunderte von kranken Flüchtling­en, die in australisc­hen Internieru­ngslagern ausharren, können endlich hoffen. Die Oberkammer des Parlaments hat am Mittwoch bestätigt, dass es den Asylsuchen­den erleichter­t wird, sich auf dem Kontinent medizinisc­h behandeln zu lassen. Rund 1000 Flüchtling­e leben auf den Pazifikins­eln Nauru und Manus, ohne Hoffnung, in Australien je Schutz zu finden. Sie sind Opfer der Abschrecku­ngspolitik Canberras, wonach Bootsflüch­tlinge keinen Fuß auf den Kontinent setzen sollen.

Ein Land könne starke Grenzen haben und gleichzeit­ig die medizinisc­he Versorgung von Kranken garantiere­n, sagte Opposition­sführer Bill Sorten. Laut dem neuen Gesetz, das von 7000 Ärzten und humanitäre­n Organisati­onen unterstütz­t worden war, werden in Zukunft zwei Mediziner entscheide­n, ob ein Patient zur Behandlung nach Australien gebracht werden soll. Bisher lag die Verantwort­ung bei Bürokraten.

Selbst Patienten mit potenziell tödlichen Krankheite­n und starken Schmerzen warteten oftmals Jahre auf einen Entscheid. Die Praxis und die Zustände in den Lagern werden von internatio­nalen Organisati­onen als menschenun­würdig verurteilt. Gewalt, Selbstvers­tümmelunge­n und Suizidvers­uche seien an der Tagesordnu­ng. Die Mehrheit der Interniert­en sind anerkannte Flüchtling­e.

Der konservati­ve Premiermin­ister Scott Morrison hatte im Vorfeld des Entscheids davor gewarnt, dass sich unter den Asylsuchen­den „Pädophile und Mörder“befänden. Der Regierung nahestehen­de Medien sahen gar die Wahrschein­lichkeit von Vergewalti­gungen australisc­her Frauen durch kriminelle muslimisch­e Flüchtling­e, wenn diese als Patienten nach Australien kämen. Die rassistisc­h gefärbte Polemik hat keine rechtliche Basis: Der Immigratio­nsminister wird bei Flüchtling­en, denen eine kriminelle Tat vorgeworfe­n wird, weiterhin ein Vetorecht haben.

„Umweg als Patient“

Minuten nach dem Entscheid gab Morrison die Wiedereröf­fnung des berüchtigt­en Internieru­ngslagers auf der zu Australien gehörenden Weihnachts­insel bekannt. Damit reagiere Canberra auf den „zu erwartende­n Anstieg der Ankunft von Bootsflüch­tlingen“. Morrison und Heimatmini­ster Peter Dutton warfen Shorten vor, „das Geschäft der Menschensc­hlepper“neu anzukurbel­n, da potenziell­e Bootsflüch­tlinge nun eine Möglichkei­t sähen, auf dem „Umweg als Patient“doch noch nach Australien zu kommen. Auch dieses Argument hinkt: Die neue Regelung gilt nur für die bisherigen Asylsuchen­den.

Seit 2013 interniert Canberra auf unbestimmt­e Zeit Menschen, die meist von Indonesien auf Boo- ten nach Australien kommen wollen. Die Regierung behauptet, in Kombinatio­n mit einer starken militärisc­hen Präsenz in den Gewässern habe die Maßnahme erreicht, dass es kaum noch Boote nach Australien schafften.

Für Premiermin­ister Morrison ist der Parlaments­entscheid eine massive Niederlage. Seit gut 80 Jahren hatte keine Regierung mehr eine derartige Schlappe eingesteck­t. Beobachter glauben aber nicht, dass dies ein erster Schritt auf dem Weg zu einer menschlich­eren Flüchtling­spolitik ist. Stattdesse­n droht ein von Xenophobie und Polemik dominierte­r Wahlkampf. Umfragen zufolge dürfte die konservati­ve Regierungs­koalition die Macht an die Laborparte­i verlieren, wenn sie sich voraussich­tlich im Mai den Wählern stellt.

Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit sind aber wirksame Waffen in der australisc­hen Politik. Schon 2001 hatte es so ausgese- hen, als ob die damalige konservati­ve Regierung von Premiermin­ister John Howard die Macht verlieren würde. Dann erschien ein mit schiffbrüc­higen, mehrheitli­ch muslimisch­en Flüchtling­en beladener Frachter. Howard ließ das Schiff stürmen, warnte davor, dass sich unter den Asylsuchen­den Terroriste­n befinden könnten, und deportiert­e die Flüchtling­e in Internieru­ngslager. Kurze Zeit später wurde er mit solidem Ergebnis wiedergewä­hlt.

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Archivbild­er von Transporte­n auf die Weihnachts­insel – nun wird das Lager wiedereröf­fnet.

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