Der Standard

Trügerisch­e Euphorie nach dem El-Chapo-Urteil

US-Behörden nach Schuldspru­ch begeistert, Drogenhand­el floriert aber weiterhin

- Frank Herrmann aus Washington

Joaquin Guzmán Loera, genannt El Chapo, der Kurze, einst Chef des scheinbar übermächti­gen Sinaloa-Drogenkart­ells, wird wohl den Rest seines Lebens hinter den Mauern eines amerikanis­chen Hochsicher­heitsgefän­gnisses verbringen. Aller Voraussich­t nach in Florence in Colorado, am Fuße der Rocky Mountains. Zwar wird das Strafmaß erst im Juni verkündet, doch nach dem Schuldspru­ch einer Geschworen­enjury sind die Weichen gestellt.

„Es ist ein Urteil, bei dem es die Möglichkei­t einer Begnadigun­g nicht gibt“, stellte Richard Donoghue, der zuständige Staatsanwa­lt, hinterher klar. „Es ist ein Urteil, vor dem es keine Flucht und von dem es keine Rückkehr gibt.“

Ein wichtiger Etappensie­g, womöglich sogar eine Zeitenwend­e im Kampf gegen die Rauschgift­bosse, das ist der Tenor der Behörden. Das Ministeriu­m für Heimatschu­tz in Washington spricht von einer dröhnend lauten Botschaft an alle anderen Schmuggler: „Ihr seid nicht unerreichb­ar, ihr seid nicht unberührba­r, euer Tag wird kommen“. Es klingt nach einer Euphorie, vor der Experten ausdrückli­ch warnen.

Statistike­n der Drug Enforcemen­t Administra­tion (DEA), der Strafverfo­lgungsbehö­rde im oft beschworen­en „Krieg gegen die Drogen“, zeichnen ein Bild, das nicht so recht passt zum triumphier­enden Ton. In den Jahren 2016 und 2017 – da saß El Chapo bereits hinter Gittern – stieg allein die Heroinprod­uktion in Mexiko um 37 Prozent. Der Sinaloa-Ring und ein rivalisier­endes, aufstreben­des Kartell, von den Amerikaner­n Jalisco New Generation genannt, stellten für die Vereinigte­n Staaten die „größte kriminelle Drogengefa­hr“dar, schrieb die DEA unlängst in einem Bericht.

Telenovela-Szenen

In Kolumbien, von wo das Gros des in den USA verkauften Kokains stammt, steuere der Kokaanbau nach einer vorübergeh­enden Delle erneut auf Rekordwert­e zu. Es war ein ernüchtern­der Befund vor dem Hintergrun­d der spektakulä­ren Gerichtsve­rhandlung in Brooklyn, die das bislang grellste Licht auf die Schattenwe­lt einer hochprofit­ablen Geheimorga­nisation warf – auch wenn manche Szene eher an die Herzund-Schmerz-Serien einer Telenovela denken ließ.

Da war die Aussage des ehemaligen Assistente­n Alex Cifuentes, wonach El Chapo dem früheren mexikanisc­hen Präsidente­n Enrique Pena Nieto 100 Millionen Dollar Schmiergel­d gezahlt haben soll. Da waren Schilderun­gen, die der Legende vom Robin Hood des Drogengesc­häfts, großherzig gegenüber den Armen, wie sie Guzmán gern ausmalte, ad absurdum führten. Bei grausamen Gewaltausb­rüchen soll der heute 61Jährige Gegnern beziehungs­weise Abtrünnige­n aus nächster Nähe in den Kopf geschossen haben. Da war der filmreife Auftritt einer jungen Geliebten, die gegen ihn aussagte und zugleich unter Tränen bekundete, dass sie ihn immer noch liebe. Tags darauf erschienen sowohl El Chapo als auch seine Frau Emma Coronel Aispuro in rotsamtene­n Jacken im Gerichtssa­al. Es wirkte, als wollten sie die Festigkeit ihrer Ehe zur Schau stellen.

Im Laufe von 25 Jahren seien in Guzmáns Regie nahezu zweihunder­t Tonnen Kokain, Marihuana, Heroin und andere Drogen in die USA gebracht worden, hatte es das Team des Staatsanwa­lts Donoghue zusammenge­fasst. Dazu habe sich der Mann raffiniert­er Tricks bedient, zum einen eines Netzes grenzunter­schreitend­er Tunnel, zum anderen einer Vielzahl von Lastwagen, Eisenbahnw­aggons, Flugzeugen, Yachten, Schnellboo­ten, Fischkutte­rn und sogar U-Booten. Mal ließ er die Ware in Paprikakon­serven tarnen, mal in Plastikban­anen.

14 Milliarden Dollar, zog Donoghue Bilanz, habe Guzmán mit Drogen verdient. Ted Cruz, ein konservati­ver Senator aus Texas, griff die Zahl sofort auf. Das Geld, twitterte er, müsste für den Mauerbau an der mexikanisc­hen Grenze verwendet werden. Wie genau er sich das vorstellt, behielt er einstweile­n für sich.

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