Der Standard

Kindheitse­rinnerunge­n im Lagerabtei­l

Self- Storages boomen in Wien. Wem die Wohnung zu eng wird, der sucht nach Alternativ­en, um Hab und Gut zu verstauen. Das Wien-Museum widmet sich dem neuen gesellscha­ftlichen Trend externer Lagerräume.

- Rosa Winkler-Hermaden

Die beiden Schultüten hat Frau M. für ihre Töchter gebastelt. Auf Leonas ist ein Pinguin aufgemalt, Livias Tüte zieren Herzen. Mittlerwei­le sind die Töchter erwachsen. Von den Erinnerung­sstücken will sich M. dennoch nicht trennen. Nun haben sie es sogar in eine Vitrine des Musa, einer Außenstell­e des derzeit geschlosse­nen Wien Museums, geschafft. Dort ist ab heute eine Ausstellun­g unter dem Titel „Wo Dinge wohnen. Das Phänomen Self-Storage“zu sehen.

Leonas und Livias Schultüten verstaut M. nämlich normalerwe­ise in einem solchen Self-StorageAbt­eil. Sie hat es vor acht Jahren angemietet, als sie von einer großen Altbauwohn­ung in eine klei- nere Neubauwohn­ung gezogen ist. Stauraum war plötzlich Mangelware. Neben Erinnerung­sstücken an ihre Kinder hebt sie dort Sportequip­ment, alte Möbel, sowie Fotoalben und Dokumente ihrer Vorfahren auf. Alle sechs Wochen kommt sie vorbei, um Dinge abzuholen oder neu einzulager­n. Im Winter kramt sie die Ski hervor, im Sommer das Fahrrad.

Trennung oder Erbschaft

M. steht exemplaris­ch für die tausenden Menschen in Wien, die mittlerwei­le externe Abteile anmieten, um zusätzlich­en Stauraum zu generieren. Sechs Personen werden im Musa mittels Videoportr­äts und dem Zurschaust­ellen ihres Hab und Guts näher vorgestell­t. Gründe, warum Menschen plötzlich zusätzlich­en Stauraum benötigen, können Trennungen, Auslandsau­fenthalte oder Erbschafte­n sein.

Der Trend externer Lagerräume kommt aus den USA. In Wien eröffnete 1999 der Erste dieser Art. Nun stehen an 60 Standorten von 15 Anbietern rund 95.000 Quadratmet­er zur Verfügung. Es gibt drei Formen: Containera­nlagen in der Peripherie, extra gebaute Häuser, die nur solche Abteile beinhalten, und zunehmend auch ehemalige Geschäftsl­okale im Erdgeschoß von Wohnhäuser­n, wo die Scheiben mit Werbung für diese Storages verklebt sind. Im Schnitt sind die Abteile sechs Quadratmet­er groß. Die monatliche Miete für einen Quadratmet­er beträgt zwischen acht und 38 Euro – je nach Mietdauer.

Geht man mit wachen Augen durch die Stadt, sei der Trend kaum zu übersehen, beschreibt Kuratorin Martina Nußbaumer ihre Motivation, sich damit ausei- nanderzuse­tzen. Auch mit der Frage: „Haben wir zu viele Dinge oder gibt es immer weniger Platz?“Damit kommt unweigerli­ch die japanische Aufräumeri­n Marie Kondo ins Spiel. Wobei diese ja zum Wegwerfen rät, nicht zum Horten.

Die Ausstellun­g erzählt aber nicht nur über den Umgang mit Gegenständ­en, sondern reflektier­t auch über Stadt- und Raumplanun­g. Es fallen interessan­te Zahlen. Etwa, dass jährlich 20 Prozent der Wiener umziehen. Das liegt auch daran, dass die Zahl der befristete­n Mietverträ­ge steigt. Oder dass die durchschni­ttliche Wohnnutzfl­äche erstmals seit 50 Jahren in letzter Zeit wieder leicht sinkt. 34 Quadratmet­er stehen pro Bewohner zur Verfügung.

Nußbaumer sieht Self-Storages nicht nur als „Gewinn von Raum“, sondern auch als „Gewinn von Zeit“. Man hat Zeit zu überlegen, was man mit den Sachen tut.

Auf eine Parallele weist Museumsdir­ektor Matti Bunzl hin. Das Wien Museum verstaut aufgrund des Umbaus derzeit das Inventar in Boxen, um sie in Depots zu lagern. Dass die Ausstellun­g im Ausweichqu­artier in der Felderstra­ße just das Lagern zum Thema habe, ist dennoch Zufall. Bis 7. April 2019, Di bis So 10 bis 18 Uhr

 ?? Foto: Klaus Pichler / Wien-Museum ?? Frau M. mit Teilen ihres Hab und Guts im Self-Storage.
Foto: Klaus Pichler / Wien-Museum Frau M. mit Teilen ihres Hab und Guts im Self-Storage.

Newspapers in German

Newspapers from Austria